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Schlapphüte als Finanzbeamte

Bundesregierung will Verfassungsschutz über Status der Gemeinnützigkeit von Vereinen entscheiden lassen. Kritik von Linkspartei und NGOs

Von Nick Brauns *

Einer Vereinigung, die in einem der 16 Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern als »extremistisch« aufgelistet wird, soll zukünftig automatisch bundesweit die Gemeinnützigkeit entzogen werden. So sieht es der Entwurf für das Jahressteuergesetz 2013 der Bundesregierung vor, der nach der parlamentarischen Sommerpause am 12. September im Finanzausschuß des Bundestages zur Beratung ansteht. Die mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit verbundene Steuerpflicht und das Ausbleiben von absetzbaren Spenden würden für viele Vereine das Ende bedeuten.

Schon seit Jahrzehnten wurde mutmaßlich verfassungsfeindlichen Vereinen durch Finanzämter die Gemeinnützigkeit entzogen. Eine ausdrückliche gesetzliche Handhabe dafür besteht unterdessen erst seit 2008, als mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD eine entsprechende, offiziell vor allem gegen Rechtsextreme gerichtete Regelung in Paragraph 51 der Abgabenordnung geschaffen wurde. Beschlossen wurde damals eine Beweislastumkehr. Als extremistisch benannte Organisationen mußten ihre Gemeinnützigkeit vor dem Finanzamt oder durch eine Klage vor dem Finanzgericht nachweisen. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN-BdA, hatte so nach Protesten im Frühjahr dieses Jahres diesen Status vom Finanzamt Mainz zurückerhalten, der ihr zuvor aufgrund ihrer Nennung in drei Landesverfassungsschutzberichten entzogen worden war. Und ein vom sächsischen Geheimdienst beobachteter salafistischer Verein erlangte seine Gemeinnützigkeit im April 2012 vor dem Bundesfinanzhof wieder, da ihm kein »extremistisches« Agieren nachweisbar war.

Bisher, so die Rosa-Luxemburg-Stiftung, hieß es in der Gesetzesklausel: »Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, daß die Voraussetzungen« für den Status der Gemeinnützigkeit fehlen. Das Wort »widerlegbar« soll nun gestrichen werden. Den betroffenen Vereinen wäre dann zugleich der Weg zum Finanzgericht versperrt. Es bliebe nur eine zeit- und kostenaufwendige Klage vor einem Verwaltungsgericht gegen die Auflistung als »extremistisch« im Verfassungsschutzbericht. Genau das ist offenbar die Absicht der Bundesregierung, wie es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, zum »Verlust der Gemeinnützigkeit von Vereinen bei Auflistung in Verfassungsschutzberichten« heißt. Ziel sei es, »die grundsätzlich sachnähere Instanz über Extremismusfragen entscheiden zu lassen«, rechtfertigt die Regierung die Halbierung der möglichen Klagewege, ohne daß zuvor eine Evaluation der bisherigen Regelung stattgefunden hat.

Rund 50 Verbände wie Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), ATTAC, Pro Asyl und Medico International nennen die geplante Gesetzesänderung in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten »eklatant gegen rechtsstaatliche Prinzipien« gerichtet. Das sieht das CDU/CSU-FDP-Kabinett erwartungsgemäß nicht so. Eine Verletzung des grundgesetzlich vorgeschriebenen Prinzips der Gewaltenteilung sei nicht erkennbar, da »Finanzbehörden und Verfassungsschutzbehörden verschiedene Zweige der Exekutive« seien, heißt es auf Anfrage der Linksfraktion. Obwohl mit der Neuregelung die Maßstäbe des jeweils schärfsten Landesverfassungsschutzberichtes bundesweite Gültigkeit erhielten, sieht Berlin das föderale Prinzip gewahrt. Es würden ja nur »Erkenntnisse der Behörden eines anderen Landes im Rahmen des Besteuerungsverfahrens« berücksichtigt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Juli 2012


Rechtsstaat ausgehebelt

Extremismusklausel im Steuerrecht

Von Ulla Jelpke **


Aufgrund seiner Verwicklung in den neofaschistischen Untergrund steht der Verfassungsschutz so stark in der öffentlichen Kritik wie nie zuvor in seiner Geschichte. Doch nach dem Willen der schwarz-gelben Bundesregierung sollen die Verfassungsschutzbehörden noch weiter gestärkt werden. Dies geschieht auch durch die Hintertür der Abgabenordnung. Das Jahressteuergesetz für 2013 sieht vor, daß alle in Verfassungsschutzberichten des Bundes oder eines Landes als »extremistisch« aufgeführten Vereinigungen automatisch ihre Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen steuerlichen Vorteile verlieren. Bislang konnten betroffene Organisationen im Falle einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ihre Gemeinnützigkeit vor dem Finanzamt oder durch eine Klage vor dem Finanzgericht nachweisen. Durch die geplante Gesetzesänderung ist ihnen diese Möglichkeit künftig verbaut, es bleibt nur eine zeitaufwendige Klage vor einem Verwaltungsgericht gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht.

Das Vorhaben der Bundesregierung erscheint gleich in mehrfacher Hinsicht rechtsstaats- und verfassungswidrig. So sind Verfassungsschutzberichte keine Rechtsakte, sondern lediglich Behördeneinschätzungen. Betroffene Vereine würden nicht einmal von den Finanzämtern angehört. Der Verfassungsschutz wird so zum Kläger und Richter zugleich – und müßte nicht einmal seine geheimen Quellen offenlegen. In der Bundesrepublik gibt es 15 Landesverfassungsschutzberichte (das Saarland gibt keinen heraus) und den Bericht des Bundesamtes. Es kommt schlicht einem Bruch mit dem föderalistischen Prinzip gleich, wenn jetzt die subjektive Einschätzung einer einzigen Verfassungsschutzbehörde bundesweite Gültigkeit erhält.

Noch im Jahr 2008 hatte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der damaligen Opposi­tionspartei FDP erklärt: »Nach den Grundsätzen unseres Rechtsstaats reicht ein Verdacht oder eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch nicht für eine Sanktion – hier: Aberkennung der Gemeinnützigkeit – aus.« Diese Auffassung habe sich nicht geändert, tröstet die Bundesregierung nun auf Nachfrage der Linken. Eine Organisation müsse vom Verfassungsschutz ausdrücklich als »extremistisch« bezeichnet werden. Allerdings handelt es sich beim Terminus »Extremismus« um keinen definierten Rechtsbegriff, wie auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages feststellte. Doch nun soll eine willkürlich zur Diffamierung politischer Opponenten verwendete Gummibezeichnung zu zwingenden Sanktionen führen und der Geheimdienst damit zum Zensor bürgerschaftlichen Engagements werden. Noch läßt sich diesem Vorhaben der Riegel vorschieben – wenn die FDP, die noch 2008 rechtsstaatliche Bedenken zeigte, Rückgrat beweisen würde.

** Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Juli 2012 (Kommentar)



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