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"Wir hätten auch die USA, die Erfinderin der Achse des Bösen, genannt"

Andreas Buro hat Grass weiter geschrieben / Und eine Gastkolumne von Peter Strutynski zum Ostermarsch 2012


Im Folgenden dokumentieren wir ein "Gedicht" von Andreas Buro, das in Anlehnung an das heftig diskutierte Poem von Günter Grass entstanden ist und thematisch den Bogen wesentlich weiter spannt. Beide Gedichte haben bei den diesjährigen Ostermärschen eine Rolle gespielt (siehe hierzu auch unseren Pressespiegel!). Im Anschluss daran noch eine Gastkolumne von Peter Strutynski, worin die Notwendigkeit der Ostermärsche begründet wird ("Ostermärsche müssen sein").

Es herrscht Gewaltsucht

Von Andreas Buro *

Schon lange haben wir über die Drohungen aus dem Iran-Konflikt gesprochen,
haben Vorschläge gemacht,
wie eine friedliche Lösung erreicht werden könne,
und die Maulhelden um Mäßigung
und Vernunft gebeten.

Die Antworten von oben waren eindeutig:
Alternativlos sei die Politik der Sanktionen;
die Ultima ratio des Militärschlages dürfe nicht ausgeblendet werden;
der Iran sei von der Achse des Bösen hinabzustürzen.
Friede würde nur sein
durch eine Politik der Stärke.
Daß die Drohung mit Militärschlägen
gegen die Charta der Vereinten Nationen und internationales Recht verstößt,
wurde von oben nur selten angemerkt.

Durch diese Antworten hörten wir schon
das Krachen der Bomben,
das Stöhnen der Getroffenen,
die Verherrlichung des blutigen Sieges durch die Machtpolitiker
und die Heldenreden der meist überlebenden Generälea.

Was für ein Frieden!
Wir denken an Irak und Afghanistan,
manche auch noch an Vietnam,
an die Folteropfer der Generäle in Lateinamerika,
an die Stellvertreterkriege in Afrika,
an das Verhältnis von 9 zu 1
der zivilen Opfer zu den toten Soldaten oder
der Kollateralschäden zu den angeblichen Helden.

Günter Grass hat vor Krieg gewarnt,
Israel als eine Gefahr für den Weltfrieden bezeichnet.
Wir hätten auch die USA, die Erfinderin der Achse des Bösen, genannt,
aber auch die vielen arabischen und islamischen Staaten,
die mit der Kalaschnikow oder der G 36 spielen und aktuelle Konflikte anheizen.
Deutschland, das in Konfliktzonen Waffen liefert.

Wir hätten noch auf die Gewaltsucht vieler herrschender Kräfte gedeutet,
auf ihre Unfähigkeit, ja sogar Unwilligkeit, Frieden zu stiften.
Wir hätten auf die vielen Industrien des Todes verwiesen
und auf ihre glänzenden Geschäfte.
Wir vergessen auch nicht die Produzenten der Verklärung von Krieg:
Humanitäre Interventionen mit etwa 50000 Toten in Libyen!
Und auch nicht die Umarmungen aller getreuen Diktatoren durch die westlichen
demokratischen Regierungen.

Schlammschlachten zur Abwehr der
Lyrik von Günter Grass,
über seine SS-Zugehörigkeit als 17jähriger Jugendlicher,
sein angeblich gestörtes Verhältnis zu Israel
oder gar zu dem Versmaß seines Gedichtes
sollen von seiner Botschaft ablenken, die lautet:
Keine Politik, die zu einem Krieg im Iran-Konflikt führen kann!

Wir aus Friedensbewegung und Friedensforschung
fordern zum großen Wettbewerb auf
um eine friedliche Lösung,
um einen Nichtangriffspakt zwischen den Kontrahenten,
um Kontrolle der nuklearen Bestrebungen durch die IAEA
und die folgende Aufhebung aller Sanktionen,
um die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mittel- und Nahost,
um die Eröffnung eines regionalen Dialogs für Sicherheit und Zusammenarbeit
zur Entfaltung von Vertrauen und zum Abbau der Konfrontation
zugunsten von Kooperation der Völker und Staaten.
Deutschland könnte dazu beitragen.
Günter Grass hat dazu beigetragen,
diese Aufgabe wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Danke!

* Aus: junge Welt, 10. April 2012


Ostermärsche müssen sein

Von Peter Strutynski **

Als am vergangenen Samstag rund 70 Menschen in Potsdam bei eisigen Temperaturen, stürmischem Regen und Hagel auf die Straße gingen, um für »Frieden, Abrüstung und gegen Atomtransporte!« zu demonstrieren, mag mancher am Sinn der Ostermärsche zu zweifeln begonnen haben. Lohnt der Aufwand der Vorbereitung, wenn am Ende doch nur so wenige kommen? Meine Antwort: Es lohnt sich.

Noch nie in der 52-jährigen Geschichte der Ostermärsche (die erst nach der Wende auch im Osten Fuß zu fassen versuchen) haben sich die FriedensaktivistInnen von wechselnden Teilnehmerzahlen beeindrucken lassen. Die Ostermarsch- und Friedensbewegung ist - wie andere soziale Bewegungen auch - einem politischen Aktivitätszyklus unterworfen, der sich wenig beeinflussen lässt. Seit zehn Jahren wissen wir eine satte Mehrheit der Bevölkerung gegen den Afghanistankrieg hinter uns - doch bei Demonstrationen der Friedensbewegung spiegelt sich das bei weitem nicht wider. Dass die Friedensbewegung dennoch am Thema dran bleibt und immer wieder in die Öffentlichkeit geht, macht Sinn. Vor allem die dezentral in über 100 Städten und kleineren Orten stattfindenden Ostermärsche werden wahrgenommen: von Passanten, ZeitungsleserInnen, Rundfunk- und Fernsehkonsumenten. Gewiss: Die Berichterstattung fällt mitunter hämisch aus, doch im Großen und Ganzen finden unsere Anliegen Eingang in Medien, die Millionen Menschen erreichen.

In diesem Jahr geht es wieder um den nicht enden wollenden Afghanistan-Krieg. Gerade die jüngsten Ereignisse (Koranverbrennung, Amoklauf) haben deutlich gemacht, dass dieser Krieg in einer Sackgasse steckt. Viele Regierungen denken inzwischen darüber nach, die Truppen noch vor dem versprochenen Abzugstermin 2014 zurückzuholen. So oder so ist die Bilanz des nun zehneinhalb Jahre dauernden Krieges derart desaströs, dass die Kriegsallianz sich nur noch sorgt, wie sie aus diesem Konflikt wieder herauskommt, »ohne das Gesicht zu verlieren«. Dabei kann von »Gesicht« keine Rede sein, sondern es geht um die Fratze des Krieges. Die endlich abzulegen, den Krieg zu beenden und die Interventionstruppen abzuziehen, gebietet die Vernunft. Doch die Politik ist häufig nicht dort, wo die Vernunft ist.

Während die NATO den Krieg in Afghanistan weiterführt, denken ihre Strategen schon über neue Kriege nach. Im Visier sind Syrien und Iran, zwei Staaten im Nahen/Mittleren Osten, die sich gegenüber den westlichen Führungsansprüchen unbotmäßig verhalten, so dass unverhohlen ein Regimewechsel gefordert und alle Register der Eskalation gezogen werden. Das Drehen an der Sanktionsspirale gegen Syrien - woran sich die EU an vorderster Front beteiligt - und die verschärfte Kriegsrhetorik gegenüber Iran bringen den Konflikt immer näher an einen Krieg heran. Die Folgen wären vieltausendfacher Tod von Menschen, radioaktive Verseuchung großer Landstriche in Iran, die durch Bombardierung von Nuklearanlagen herbeigeführt würde, weitere Eskalation des Bürgerkriegs in Syrien (die Intervention verhülfe der aufständischen »Freien Syrischen Armee« zu einer »Luftwaffe«) und Destabilisierung der ganzen Region.

Wenn neue Kriege drohen, wenn das Völkerrecht gebrochen wird, wenn Waffenexporte Kriegsparteien aufrüsten, wenn die Bundeswehr in eine Interventionsarmee »transformiert« wird, wenn Schulen und Hochschulen militarisiert werden - gibt es ebenso viele Gründe, Ostern auf die Straße zu gehen.

** Peter Strutynski. Der Kasseler Friedensforscher ist Sprecher des Friedensratschlags (www. ag-friedensforschung.de)

Aus: neues deutschland, 7. April 2012 (Gastkolumne)



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