Mit oder ohne Obama: Die NATO "abwracken" und Atomwaffen abschaffen
Die Ostermärsche 2009 sind weder um Themen noch um Forderungen verlegen - Friedliche Proteste im ganzen Land
Im Folgenden dokumentieren wir vier Artikel, die sich - durchaus unterschiedlich - mit den Ostermärschen befassen. Als authentische Stimme kommt dabei Willi van Ooyen zu Wort, Fraktionsvorsitzender der Linken im Hessischen Landtag, Mitglied im Bundesausschuss Friedesnratschlag und langjähriger Sprecher des zentralen Ostermarschbüros. Es dürfte kaum jemanden geben, der mehr Ostermärsche in seinem bisherigen Leben organisiert hat wie Willi van Ooyen. - Der Autor des zweiten Artikels (aus dem "Tagesspiegel") versucht herauszubekommen, ob US-Präsident Obama mit seiner Vision einer atomwaffenfreien Welt der Friedensbewegung nützlich ist oder ihr die Butter vom Brot nimmt. - Die beiden letzten Artikel (aus www.ngo-online.de) berichten über die Vorbereitungen der Friedensbewegung zu den Ostermärschen.
"Immer mehr Jugendliche sind ansprechbar"
Ostermärsche thematisieren in diesem Jahr stärker als früher den Zusammenhang von Krieg und Krise. Gespräch mit Willy van Ooyen
In etwa 70 deutschen Städten finden in den kommenden Tagen die traditionellen Ostermärsche für den Frieden statt. Erwarten Sie neue Impulse durch die Proteste, die es am vergangenen Wochenende in Strasbourg, Baden-Baden und Kehl gegen den NATO-Gipfel gab?
Wir haben die NATO-Frage immer thematisiert, sie ist ein zentrales Problem der Friedensbewegung. Ich denke schon, daß die am vergangenen Wochenende erlebte Zuspitzung auch unsere Ostermärsche beflügeln wird.
Rechnen Sie mit mehr Teilnehmern als in den vergangenen Jahren?
Nicht unbedingt – allerdings war der Frühling bislang sehr aktionsorientiert. Ich erinnere an die Demonstrationen vom 28. März gegen die Wirtschaftskrise, dann die Proteste gegen den erwähnten NATO-Gipfel. Auf jeden Fall werden in den nächsten Tagen bundesweit wieder Zehntausende auf die Straße gehen. Um noch mehr Resonanz zu bekommen, müssen wir aber noch deutlicher und konkreter die Menschen ansprechen .
Wer ist »wir«?
Die Friedensbewegung im allgemeinen, d. h. also vor allem die Organisatoren. Ostermärsche haben einen eher regionalen Charakter, es gibt sie in allen Teilen der BRD, sie haben sich mittlerweile auch in Ostdeutschland etabliert. In anderen europäischen Ländern gehen ebenfalls viele Menschen zu diesem Termin auf die Straße, um gegen Atomrüstung und Kriegspolitik zu demonstrieren.
Bislang hatte man den Eindruck, daß Ostermärsche im wesentlichen von kampferprobten Friedenskämpfern getragen wurden. Gibt es heute in der Jugend mehr Resonanz darauf?
Seit einigen Jahren erleben wir, daß immer mehr Jugendliche für die Positionen der Friedensbewegung ansprechbar sind. Das haben ja auch die Proteste in Strasbourg bestätigt. Es ist deutlich zu spüren, daß in der öffentlichen Meinung einiges in Bewegung gekommen ist.
Bei den Protesten gegen die NATO haben deutsche, französische und Aktivisten anderer Länder zusammengewirkt. Verzahnen sich die Friedensbewegungen europäischer Staaten stärker?
Das trifft zu – sowohl in der Vor- als auch in der Nachbereitung der Proteste gegen die NATO haben wir gespürt, daß die Vernetzung immer engmaschiger wird. Es werden zunehmend auch Aktionen diskutiert, die parallel zueinander in mehreren Ländern ablaufen – vor allem auch in den Niederlanden, in Belgien oder in Großbritannien.
Wenige Monate nach den Ostermärschen vergangenen Jahres begann die große Wirtschaftskrise. Gibt es darauf eine Resonanz in den Forderungen der diesjährigen Demonstranten?
Durchaus – wir werden uns anhand der Reden, Parolen und Flugblätter in den nächsten Tagen davon überzeugen können, daß der Zusammenhang von Krieg und Krise stärker artikuliert wird. Es wird ebenfalls deutlich werden, daß die Forderungen der Friedensbewegung auch bei Gewerkschaftern auf offene Ohren stoßen. Als Redner sind sehr viel mehr Gewerkschafter als in den Vorjahren vorgesehen.
US-Präsident Barack Obama hat seinen Europabesuch genutzt, um eine weltweite atomare Abrüstungsinitiative zu fordern. Ist dieser Vorstoß ernst zu nehmen oder ist es nur Rhetorik?
Die Ostermarschbewegung ist ja in den 60er Jahren als Bewegung gegen die Atomrüstung entstanden. Insofern ist es für uns sehr wichtig, daß sich unsere Positionen auch in der internationalen Politik wiederfinden. Wir alle brauchen die Vision einer atomwaffenfreien Welt – und wenn Obama dabei helfen will, ist er uns herzlich willkommen.
Welche Perspektive sehen Sie für die Ostermarschbewegung in Deutschland?
Wir werden den Zusammenhang von Sozialabbau und Rüstungspolitik viel stärker thematisieren müssen, und zwar nicht nur in den Ostermärschen, sondern in allen Aktionen der Friedensbewegung. Dabei denke ich unter anderem an den Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroschima am 6. August oder an den 1. September: Das ist der 70. Jahrestag des Überfalls der faschistischen Wehrmacht auf Polen.
Interview: Peter Wolter
* Aus: junge Welt, 9. April 2009
Frieden schaffen mit Obama
Das hat es noch nicht gegeben: Die Friedensbewegung geht auf die Straße, um einen Präsidenten der USA zu loben. Barack Obama hat mit seiner Vision von einer Welt ohne Atomwaffen den Ostermärschen ein weiteres Stichwort gegeben.
Von Matthias Meisner **
Berlin - Das hat es noch nicht gegeben: Die Friedensbewegung geht auf die Straße, um einen Präsidenten der USA zu loben. Barack Obama hat mit seiner Vision von einer Welt ohne Atomwaffen den Ostermärschen ein weiteres Stichwort gegeben. „Obamas Vorschlag einer radikalen atomaren Abrüstung entspricht einem ureigenen Anliegen der Ostermarschbewegung“, erklärte Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag. „Für diese Idee wird es Lob geben“, sagte Strutynski dem Tagesspiegel. Doch fordern die Protestierer auch „konkrete Schritte“: Die in Deutschland noch stationierten Atomwaffen – mutmaßlich befinden sie sich auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel – sollen abgezogen werden.
Noch will die Friedensbewegung nicht abschließend beurteilen, wie viel Obamas Versprechen wert ist. Neben dem Lob für Obamas Abrüstungsinitiative wird es Kritik an der Afghanistanpolitik der USA geben: Der Versuch, den Krieg in Afghanistan militärisch zu gewinnen, werde zum „Desaster für die Besatzungsarmeen“ und zur „Katastrophe für das Land“, argumentiert Strutynski. Auch das Netzwerk Friedenskooperative – weitere Dachorganisation der Bewegung – bleibt skeptisch. „Sicher hat Obama in vielen Punkten mit der bornierten Politik der Bush- Administration gebrochen, aber an einer weltweit für ihre Interessen kriegführenden Nato hält er fest.“
30 000 bis 50 000 Teilnehmer hatten die Ostermärsche im vergangenen Jahr. Daran will die Friedensbewegung anknüpfen, auch wenn sie ihre Anhänger schon vor einer Woche zu dem Demonstrationen gegen den Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden mobilisiert hat. Der
Friedensratschlag rechne „weder mit Einbrüchen, noch mit spektakulären Höhenflügen“, sagte Strutynski. Mit dem Verlauf der Demonstrationen gegen das Nato-Treffen war die Bewegung alles andere als glücklich. Der friedliche Protest sei „nahezu erstickt“ worden – dafür machen die Aktivisten sowohl „unverantwortliche“ Polizeiangriffe als auch die Aktionen von Randalierern verantwortlich. Mit vielfältigen Aktionen am Osterwochenende solle nun das „Zerrbild“ von Straßburg korrigiert werden.
In ihren besten Zeiten zählte die Friedensbewegung Hunderttausende von Teilnehmern an den Ostermärschen. Mit dem Ende des Kalten Krieges nahm das Interesse ab. In diesem Jahr sind mehr als 70 Veranstaltungen angekündigt. Die wichtigste von ihnen wird am Sonntag erneut der Protest gegen den ehemaligen Truppenübungsplatz der Sowjetarmee im Norden Brandenburgs sein, das Bombodrom. Mit tausenden anderer Menschen wollen in Fretzdorf unter anderem Grünen-Chef Cem Özdemir und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) dagegen demonstrieren, dass die Bundeswehr dort weiter üben will. In Berlin verzichtet die Friedensbewegung in diesem Jahr „angesichts der vielen Demonstrationen“ auf einen Marsch. Für Samstag ruft sie zu einer Kundgebung an der Gedächtniskirche auf.
** Erschienen im gedruckten "Tagesspiegel" vom 08. April 2009
"Wie immer friedlich"
Über 70 Ostermärsche der Friedensbewegung ***
Der
Bundesausschuss Friedensratschlag wehrt sich gegen Medienberichte, die die Proteste der Friedensbewegung gegen die NATO-Kriege als unfriedlich darstellen. "Wenige Tage nach den Aktivitäten der Friedensbewegung anlässlich des NATO-Gipfels in Baden-Baden und Straßburg geht die Friedensbewegung wieder auf die Straße: Zum Teil mit denselben Themen und wie immer friedlich", betont der Sprecher des Friedensratschlags, Peter Strutynski. Indirekt widerspricht Strutynski sehr deutlich dem Tenor vieler Medien, die schon im Vorfeld der NATO-Proteste dazu tendierten, die Friedensbewegung als gewaltbereit zu diskreditieren. Strutynski betont: "Mehrere Tausend Friedensdemonstranten haben hier, auf der deutschen Seite des NATO-Gipfel-Ereignisses, friedlich am baden-württembergischen Ostermarsch teilgenommen." Und er ruft dazu auf, an den mehr als 70 Ostermärschen der Friedensbewegung in diesem Jahr teilzunehmen.
Nach den Ostermärschen des vergangenen Wochenendes beim NATO-Gipfel und in Potsdam folgt am heutigen Dienstag (8. April) eine Kundgebung der Friedensinitiative in Suhl (Thüringen), gefolgt von der Osteraktion in Erfurt am Donnerstag. Wenige Ostermärsche werden am Karfreitag abgehalten (Bruchköbel, Biberach).
Dann folgen den Angaben zufolge viele Demonstrationen am Samstag, unter anderem in Ansbach, Augsburg, Berlin, Braunschweig, Bremen, Duisburg, Düsseldorf, Erlangen, Gelsenkirchen, Hannover, Kiel, Leipzig, Mainz, München, Ramstein, Rostock, Saarbrücken, Würzburg und Zwickau. Sonntags gehen Menschen in Essen und Köln auf die Straße. "Der größte Ostermarsch an diesem Tag wird erfahrungsgemäß in Fretzdorf stattfinden, wo jährlich mehrere Tausend Bürgerinnen und Bürger gegen die geplante Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide als Bombenabwurfplatz der Bundeswehr ("Bombodrom") demonstrieren", so Strutynski. Erst vor kurzem habe das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dem Verteidigungsministerium die Nutzung untersagt und der Bürgerinitiative "Freie Heide" Recht gegeben. Berlin halte dennoch an der Absicht fest, das Areal militärisch zu nutzen.
Am Ostermontag gehen die Ostermärsche mit weiteren Demonstrationen und Abschlusskundgebungen zu Ende. So etwa in Bochum und Dortmund, Chemnitz, Frankfurt, Gummersbach, Hamburg, Kassel, Landshut, Magdeburg, Stendal, Müllheim und Nürnberg.
Strutynski: Die NATO hätte längst aufgelöst werden müssen
Das Hauptthema der diesjährigen Ostermärsche ist die NATO. "In fast allen Aufrufen wird die Existenzberechtigung der NATO in Frage gestellt, die längst hätte aufgelöst werden müssen, nachdem ihr 1991 der äußere Feind abhanden gekommen war", meint Strutynski. "Die Umwandlung der NATO in ein reines Interventionsbündnis mit globaler Reichweite wird ebenso kritisiert wie der von ihr stimulierte gigantische Rüstungswettlauf." 70 Prozent der 1,3 Billionen US-Dollar, die das Militär weltweit pro Jahr ausgebe, gingen auf das Konto der NATO-Staaten.
Viele Ostermarschaufrufe knüpfen darüber hinaus an den Aktivitäten der Friedensbewegung gegen den Afghanistan-Krieg an. Für die Friedensbewegung sei dieser Krieg ein "Desaster für die Besatzungsarmeen" und eine Katastrophe für das asiatische Land. "Die angeblich neue Strategie der NATO wird als Rohrkrepierer enden, weil sie daran festhält, den Krieg militärisch zu gewinnen", so Strutynski. Die USA schicke zusätzliche Soldaten an den Hindukusch und Deutschland werde - wenn auch zögernd - den Wünschen der USA nach Erhöhung des eigenen Beitrags entsprechen.
*** Aus: www.ngo-online.de 08. April 2009
Marschieren gegen das Militär
Tausende Teilnehmer der Ostermärsche wollen die NATO "abwracken" ****
[ngo/ddp] Auch eine Woche nach dem NATO-Gipfel wollen Friedensaktivisten ihren Protest gegen das Militärbündnis aufrecht erhalten. Bei den Ostermärschen in mehr als 70 deutschen Städten rechnen die Organisatoren bundesweit mit mehreren tausend Teilnehmern. Allein im brandenburgischen Fretzdorf werden am Ostersonntag rund 5000 Menschen erwartet, um gegen die geplante Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide als Bombenabwurfplatz der Bundeswehr ("Bombodrom") zu demonstrieren. Eine Friedens-Mahnwache in Erfurt sollte am Gründonnerstag den Auftakt zu den Ostermärschen an den Feiertagen bilden.
Ein vorverlegter Ostermarsch hatte bereits zum NATO-Gipfel Anfang April mit rund 7000 Teilnehmern in Kehl (Baden-Württemberg) stattgefunden. Die Ablehnung des transatlantischen Militärbündnisses bleibt auch bei den regulären Ostermärschen das beherrschende Thema. Der Sprecher der Informationsstelle Ostermarsch und Fraktionschef der Linken im hessischen Landtag, Willi van Ooyen, sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur ddp, die NATO sei ein globales "Interventions- und Kriegsbündnis", das abgeschafft werden müsse.
Ein weiteres, jahrzehntealtes Anliegen der Friedensbewegung sieht van Ooyen durch die jüngste Rede des US-Präsidenten Barack Obama in Prag bestärkt: das Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Diese "Vision solle als positives Signal genutzt werden, betonte van Ooyen. Starke Kritik gebe es trotz Obamas Worten jedoch an der Militärpolitik der USA, sagte der Friedensaktivist.
So ist die Lage in Afghanistan ebenfalls ein zentrales Anliegen vieler Ostermärsche. Der dreitägige Ostermarsch im Ruhrgebiet, der unter anderem Fahrradtouren und Motorrad-Friedensfahrten umfasst, steht beispielsweise unter dem Motto "Nein zum Krieg - Nein zur NATO! Atomwaffen abschaffen, Afghanistankrieg beenden!".
An einigen Orten richten sich die Proteste der Ostermarsch-Teilnehmer besonders gegen regionale Anliegen. Die Pläne der Bundeswehr für Bombenabwürfe auf dem "Bombodrom" genannten Truppenübungsplatz in der nördlichen Brandenburger Heide bringen nach Erfahrungen der Organisatoren jedes Jahr rund 5000 Menschen zu Demonstrationen auf die Straße. Auch in Sachsen-Anhalt steht am Ostermontag die zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide im Fokus der Demonstranten. Das Motto ihres Protestes lautet: "Prämien für den Frieden - NATO abwracken!"
Von Ooyen betonte, dass in diesem Jahr viele Gewerkschafter bei den Kundgebungen auftreten wollen. Durch die gegenwärtige Krise erlebe die Losung der Friedensbewegung "Abrüstung statt Sozialabbau" eine neue Aktualität. "Es ist einfacher, die Rüstungspolitik zu verändern, als Opel zu verkaufen", sagte van Ooyen. Die Produktion von Waffen solle umgestellt werden, um statt Kriegsgerät etwas "Sinnvolles" herzustellen, forderte er.
Zeitlicher Schwerpunkt der Ostermärsche ist der Ostermontag. Im ganzen Bundesgebiet finden von Donnerstag an Kundgebungen, Demonstrationen und weitere Aktionen wie Fahrradtouren statt. Die Tradition der Ostermärsche entstand in den 50er Jahren in Großbritannien, der erste Ostermarsch in Deutschland fand 1960 statt.
**** Aus: www.ngo-online.de 09. April 2009
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