Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Zitate der Woche (49 bis 56)

Januar bis August 2003

Zitat Nr. 56: 12./13. Juli 2003

Erich Kästner

Das letzte Kapitel

Am zwölften Juli des Jahres zweitausenddrei
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck,
nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck,
man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am dreizehnten Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehn,
keiner entging dem Tod und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall, es schlich wie auf Zehn.
Es lief die Wüsten entlang, und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andere hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten mit tausend toten Piloten,
unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte
völlig beruhigt ihre bekannte elliptische Bahn.

Erich Kästner hat dieses Gedicht 1930 geschrieben. Parallelen zur aktuellen politischen Situation im Jahr 2003 sind also mehr als zufällig - sie sind treffend!
(Dank an Elke, dass sie sich des Gedichts erinnert hat.)





Zitat Nr. 55: 25. Mai 2003

DEAR GENERALS

You have bombarded.
Shelled.
Liquidated.
Tortured.
Demolished homes.
Uprooted plantations.
Expropriated.
Starved out.
Arrested.
Imprisoned.
Exiled.
Expelled.
Conquered towns.
Occupied neighborhoods.
Taken over villages.
Imposed curfews.
Closures.
Blockades.

You have tried everything.
You have nothing left. You are bankrupt.

Go home.

Dieser Text erschien am 23. Mai in der israelischen Zeitung "Haaretz" als Anzeige. Verantwortlich zeichnete die Friedensbewegung "Gush Shalom". (http://www.gush-shalom.org/english/index.html)




Zitat Nr. 54: 18. Mai 2003

Yours ever, Tony - Ein historischer Briefwechsel zum Rücktritt der britischen Ministerin Clare Short

Lieber Tony,

ich habe mich entschieden, die Regierung zu verlassen. Wie Du weißt, habe ich die britische Haltung im Irak-Konflikt für verfehlt gehalten, aber ich habe anfangs zugestimmt, in der Regierung zu bleiben, um den Menschen im Irak beim Wiederaufbau ihres Landes zu helfen. Leider hast du aber deine Zusicherungen betreffend die Notwendigkeit eines UN-Mandats zur Legitimation einer Irakischen Regierung gebrochen. Die Resolution des Sicherheitsrates, die Du im Geheimen ausverhhandelt hast, steht völlig im Widerspruch zu den Versprechungen, die ich im Parlament in Bezug auf die Autorität der Besatzungstruppen und auf die erforderliche Führungsrolle der UN bei der Etablierung einer irakischen Regierung abgegeben habe.
Das macht meine Position unhaltbar. Es war mir eine große Ehre, das Ministerium für Entwicklungspolitik über sechs Jahre zu leiten. Ich bin traurig und es tut mir leid, dass es so endet.
Yours, Clare

Liebe Clare,

danke für Deinen Rücktrittsbrief. Wie Du weißt bin ich der Ansicht, dass Du einen exzellenten Job gemacht hast und dass das Ministerium für Entwicklungspolitik weltweit eines der besten war. Das ist nicht zuletzt dein Verdienst, und dafür will ich dir danken. (...)Wärest du im Amt geblieben, hättest du einen ganz wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung des Irak leisten können. An meinem Engagement in dieser Sache hat sich nichts geändert.
Leider kann ich deine Kritik in Sachen UN nicht nachvollziehen. Wir stecken mitten in den Resolutionsverhandlungen. Und die Vereinbarung, die ich mit unseren amerikanischen und spanischen Freunden getroffen habe, kann man wohl kaum "geheim" nennen. Und was die Frage der Führungsrolle beim Wiederaufbau betrifft, habe ich stets deutlich gemacht dass keine Sache des Entweder- oder ist: UN und Allianz sollten zusammenarbeiten. Und genau das ist auch in der Resolution fixiert.
Yours ever, Tony

Quelle: Der Standard, 14. Mai 2003




Zitat Nr. 53: 8. Mai 2003

Andrzej Stasiuk: "Der Irak geht die Polen einen feuchten Kehricht an"

Nichts wirkt sich so positiv auf das Selbstwertgefühl aus wie ein anständiger Krieg und eine ordentliche Okkupation. Vor allem einige tausend Kilometer von zu Hause entfernt, vor allem an der Seite eines Größeren und Stärkeren. Man sendet einige hundert Soldaten und ein Schiff, und schon bahnt sich eine wundersame Wende des Schicksals an: Mein Land steigt von der verarmten Peripherie Europas zu einem Partner auf, der, wenn er die Karten auch noch nicht verteilt, sie immerhin schon mischt. So kommt es jedenfalls denjenigen vor, die - ohne jemanden nach seiner Meinung zu fragen - diese Soldaten geschickt haben.

Ja, mein Land ist ein Land voller Wunder: dramatische Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Kollaps, eine korrupte, arrogante Regierung mit zweifelhafter Vergangenheit, eine geplagte Gesellschaft, die nur damit beschäftigt ist, ums Überleben zu kämpfen, eine Politik auf Mafia-Niveau, Armut, Frustration, demonstrativer Reichtum aus schmutzigen Quellen, Bettelei, ein Leben von einem Tag auf den anderen und absolut keine Idee, wie es weitergehen könnte . . . Mit Ausnahme des Krieges, den wir gewonnen haben, und der Okkupation - Seite an Seite mit Albion und der Weltmacht. Wir haben das Unsere getan, jetzt können wir nur noch warten, bis andere für uns das tun, was unsere Aufgabe wäre, das heißt, dieses Land in einen halbwegs anständigen Zustand zu bringen. Aber einen Krieg zu gewinnen ist einfacher, als sich regelmäßig zu waschen, nicht zu lügen, nicht zu stehlen, ehrliche Geschäfte zu machen, Neid und Haß im Zaum zu halten, statt des eigenen Vorteils ab und zu den Anstand zu wählen und auf der Straße nicht so laut zu fluchen.
(...)
Doch einen Trost gibt es in dieser ganzen Geschichte: Eigentlich hat mein Land mit Krieg und Okkupation nichts am Hut. Der Irak geht die Polen einen feuchten Kehricht an. Die Regierung könnte ebensogut Burkina Faso oder den Kapverdischen Inseln den Krieg erklären oder die nächste Reform der staatlichen Finanzen verkünden. Der Effekt wäre ungefähr der gleiche, das heißt, so gut wie keiner. Das Volk übersteht all das mit dem ihm eigenen slawischen Fatalismus, beschäftigt mit seinen eigenen Dingen. Denn das Volk weiß genau, daß auch diese Regierung, wie alle vorhergehenden, einmal abgelöst werden wird. Und die nächste wird, wie das bei uns Tradition ist, ihren Vorgänger so radikal diskreditieren wollen, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach Amerika den Krieg erklären und ein Bündnis mit der Antarktis schließen wird.

Unser "Zitat der Woche" stammt aus einem längeren bissig-satirischen Beitrag des polnischen Schriftstellers Andrzej Stasiuk, der am 8. Mai 2003 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde ("Mein armes, mein stolzes, mein wundervolles Polen. König Ubu zieht in den Krieg: Warum wir uns gegen den Irak verteidigen mussten"). Die Übersetzung aus dem Polnischen stammt von Renate Schmidgall.
Der Schriftsteller Andrzej Stasiuk wurde 1960 in Warschau geboren. Zuletzt erschienen auf deutsch der Roman "Neun" (2002) und der Erzählungsband "Galizische Geschichten" (2002).





Zitat Nr. 52: 16. März 2003

die kriegskunst der Fugger. Von Ralph-M. Luedtke


Mal ehrlich: Wenn der krieg kommen sollte, also wenn er daherkommt, gehen ja alle gerne hin. Im grunde genommen ists ja nicht viel anders als im schützenverein - anlegen, zielen, bum: "jeder schuss ein russ, jeder stoss ein franzos", denn: die ehre kommt aus dem lauf der gewehre. Nicht zu verachten sind auch die besonderen glücksfälle des männlichen waffengangs: Wer sich an der front - verzeihung, wo ist das bitte? - bewährt hat, wird zuhause vom bürgermeister umarmt und von sämtlichen dorfschönheiten so lange abgebusselt, bis er kaum mehr schnaufen kann - wie bei der tour de france. Noch schöner freilich ists, wenn man gar nicht mehr selber hin muss, wenn das kriegshandwerk andere übernehmen, wie der schuster das schustern. Die daheimgebliebenen lassens dabei keineswegs an einfühlungsvermögen fehlen: im herzen sind sie immer dabei - egal bei wem.

Ohne solche grundsätze wäre das grosse handelshaus der Fugger längst nicht so vermögend geworden: geld regiert die welt, besonders jenes, das durch die doppelte buchführung geht. Der fromme handelsherr fand es völlig okay, bei den religionskriegen die katholiken zu unterstützen und gleichzeitig die protestanten mit dem neuesten waffengerät zu versorgen. Später hat das dann Krupp auch so gemacht, und noch später, also heute machen das Dornier, MBB oder Daimler. Getrennt verkaufen - doppelt verdienen, das ist die friedensdividende, die ihren namen wert ist.

Naja, Deutschland führt ja keinen krieg mehr - nur noch demokratischer waffenhandel. Und schliesslich haben nicht alle das zeug zum waffenmakeln, nicht alle sind mit fuchs und marder und wiesel auf du und du. Ein reichlich ahnungsloser dichter meinte einmal‚ süss und ehrenvoll sei es, fürs vaterland zu sterben. Doch wieviel süsser ist es, wenn fern hinter der türkei sich die menschen die köpfe einschlagen, hier dagegen ein paar leit- oder leidartikel als unkosten anfallen.

Das us-amerikanische kriegsministerium will, wie die New York Times berichtet, deutsche journalisten dafür bezahlen, dass sie ordentlich die bushtrommel - äh kriegstrommel rühren. Mit verlaub: das ist recht fuggerisch und clausewitzig.

Mal ehrlich: krieg bringt hier einfach mehr und kostet draussen nur das leben.

Ralph-M. Luedtke, Kassel, Gewerkschaftssekretär i.R., ist freier Autor und Rezitator. Organisierte im März 2003 die vielbesuchte Matinée "Kasseler Künrtlerinnen und Künstler für den Frieden", bei der auch obiger Text zur Aufführung kam. Mitarbeiter im Kasseler Friedensforum und im Bundesausschuss Friedensratschlag. Mitherausgeber der Schriftenreihe "Kasseler Schriften zur Friedenspolitik".




Zitat Nr. 51: 18. Februar 2003

Hysterie als Waffe


Im Journalismus gilt mittlerweile die Regel, dass jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden muss. Die Herde der Schweine wird dabei immer größer. An diesem Wochenende wurde wieder mal nach Kräften getrommelt: Anschläge mit Pockenviren drohten, die Bundesregierung verharmlose die große Gefahr, geheimste, gesicherte Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes würden ignoriert. Der normale hysterische Katastrophismus also. Erfahrene Trittbrettfahrer wie der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle erklärten, die Darstellung der Lage durch die Bundesregierung sei verharmlosend und daher "unverantwortlich".

Wer ist da unverantwortlich? Zwei in Geheimdienstangelegenheiten völlig unerfahrene Referatsleiter aus dem Bundesgesundheitsministerium hatten, um außerplanmäßig fix 30 Millionen Euro für ein Impfprogramm zu erhalten, in einem Papier für den Haushaltsausschuss die Apokalypse beschworen. Grundlage ihres Horrorszenarios bildete ein mit der niedrigsten Geheimhaltungsstufe versehenes Papier aus dem Bundesnachrichtendienst, das in fast allen Passagen auf öffentliche Quellen verwies. Auf Zeitungen also, die dann wieder über ähnliche BND-Berichte berichten. (...)

"Wozu braucht die Bourgeoisie die Verzweiflung?" hat der ungarische Philosoph Georg Lukacs mal gefragt. Um mit Panik Politik zu machen, könnte die Antwort lauten. Hysterie kann eine gefährliche politische Waffe sein. ley

Diesen Kommentar haben wir der Süddeutschen Zeitung vom 17. Februar 2003 entnommen. Er stellt auf eine entschiedene, aber leichte Art in Frage, was an (gezielten?) Horrormeldungen in den Tagen der Kriegsvorbereitung ausgestreut wird. Auf Seite 6 derselben Ausgabe werden die Informationen nachgeliefert. Die wichtigste lautet: "Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat keine Erkenntnis darüber, dass der Irak über Lager mit gefährlichen Pockenviren verfügt oder mit Pockenviren experimentiert. Die sagte ein hochrangiger Sicherheitsexperte der Süddeutschen Zeitung. Dem BND lägen deshalb auch keine Hinweise vor, dass der Irak im Fall eines Krieges biologische Kampfstoffe, also auch Pockenviren, einsetzen könne."
In Großbritannien wird die Hysterie aber offenbar weiter geschürt. Darüber schreibt die Frankfurter Rundschau u.a.:
"Der Chef der Londoner Polizei Scotland Yard, John Stevens, hat bestätigt, dass Terroristen möglicherweise ein Flugzeug abschießen wollen. Informationen, wonach sie im Besitz von Raketen sein könnten, hätten vorige Woche die größte Anti-Terror-Aktion der britischen Polizei ausgelöst, sagte er am Sonntag im Fernsehen.
Der Polizeichef widersprach Vorwürfen, Premier Tony Blair spiele die Gefahr künstlich hoch, um mehr Briten von einem militärischen Vorgehen gegen Irak zu überzeugen. Die Bedrohung sei real, sagte Stevens. Es gebe in Großbritannien eine "erhebliche" Zahl von Mitgliedern des Terrornetzes Al Qaeda. Ein Sprecher der Polizei teilte mit, die Sicherheitskräfte würden sich besser auf Anschläge mit Massenvernichtungswaffen vorbereiten. Jede Polizei-Einheit werde von Mai an durch eine Spezialeinheit ergänzt." (FR, 17.02.2003)





Zitat Nr. 50: 9. Februar 2003

George W. Bush in der Schule


Auf einer Good-Will-Tournee durch Amerika besucht Präsident George Bush eine Schule und erklärt dort den Schülern seine Regierungspolitik. Danach bittet er die Kinder, Fragen zu stellen. Der kleine Bob ergreift das Wort:

Herr Präsident, ich habe drei Fragen:
  1. Wie haben Sie, obwohl Sie bei der Stimmenauszählung verloren haben, die Wahl trotzdem gewonnen?
  2. Warum wollen Sie den Irak ohne Grund angreifen?
  3. Denken Sie nicht, das die Bombe auf Hiroshima der größte terroristische Anschlag aller Zeiten war?
In diesem Moment läutet die Pausenklingel und alle Schüler laufen aus dem Klassenzimmer. Als sie von der Pause zurück kommen, lädt Präsident Bush erneut ein, Fragen zu stellen, und diesmal ergreift Joey das Wort:

Herr Präsident, ich habe fünf Fragen:
  1. Wie haben Sie, obwohl Sie bei der Stimmenauszählung verloren haben, die Wahl trotzdem gewonnen?
  2. Warum wollen Sie den Irak ohne Grund angreifen?
  3. Denken Sie nicht, das die Bombe auf Hiroshima der größte terroristische Angriff aller Zeiten war?
  4. Warum hat die Pausenklingel heute 20 Minuten früher geklingelt?
  5. Wo ist Bob?
Quelle: WWW (Anonymus)




Zitat Nr. 49: 18. Januar 2003

Günter Grass: "Dieser drohende Krieg ist gewollt"


(...)
Krieg droht. Wieder einmal droht Krieg. Oder wird nur mit Krieg gedroht, damit es nicht zum Krieg kommt? Bedeutet das einschränkende Wort "nur", dass der seit Wochen auf der Arabischen Halbinsel und im Roten Meer inszenierte Aufmarsch nordamerikanischer und englischer Truppen und Flottenverbände, der die Medien mit Bildern militärischer Überlegenheit füttert, eine bloße Drohgebärde ist, die schließlich – sobald der eine von zwei Dutzend weltweit herrschenden Diktatoren sich ins Exil verkrümelt hat oder wünschenswert tot ist – als friedenssichernde Machtdemonstration verbucht und abgeblasen werden kann?
Wohl kaum. Dieser drohende Krieg ist gewollt. In planenden Köpfen, auf den Börsen aller Kontinente, in wie vordatierten Fernsehprogrammen findet er bereits statt. Der Feind als Zielobjekt ist erkannt, benannt und eignet sich, neben anderen noch zu erkennenden und benennenden Feinden auf Vorrat, für die Beschwörung einer Gefahr, die alle Bedenken nivelliert. Wir kennen die Machart, nach der man sich einen Feind, sollte er fehlen, erfindet. Bekannt ist gleichfalls jene bildgesättigte Spielart des Krieges, nach der zielgenau daneben getroffen wird. Geläufig sind uns die Wörter für Schäden und Verluste an Menschenleben, die als unvermeidbar hinzunehmen sind. Es ist uns üblich geworden, dass nur die relativ wenigen Toten der herrschenden Weltmacht gezählt und betrauert werden, während die Masse der toten Feinde samt deren Frauen und Kindern ungezählt bleibt und keiner Trauer wert ist.
Also warten wir auf den Wiederholungsfall. Diesmal sollen neue Raketensysteme noch genauer danebentreffen. Ein uns als Bildauswahl vertrauter Krieg droht. Weil wir seine vom detaillierten Schrecken gesäuberte Bilderflut kennen und auch die Fernsehrechte an den uns bekannten Sender der drei abkürzenden Buchstaben vergeben sind, erwarten wir eine Fortsetzung des Krieges als Seifenoper, unterbrochen nur von Werbespots für friedliche Konsumenten. (...)
Gegen wen wird dieser Krieg, der so tut, als drohe er nur, geführt? Es heißt: Gegen einen schrecklichen Diktator. Aber Saddam Hussein war, wie andere Diktatoren auch, einst Waffenbruder der demokratischen Weltmacht und ihrer Verbündeten. Stellvertretend – und mit Hilfe des Westens hochgerüstet – führte der Irak acht Jahre lang Krieg gegen den Iran, weil im Nachbarland des Diktators ein Diktator herrschte, der dazumal Feind Nummer eins war. Aber, heißt es weiter, Saddam Hussein verfügt – was nicht bewiesen ist – mittlerweile über Massenvernichtungsmittel. Das sagt der Westen, der – was zu beweisen wäre – über Massenvernichtungsmittel verfügt. Zudem wird versprochen: Nach dem Sieg über den Diktator und sein System soll im Irak die Demokratie eingeführt werden. Doch die dem Diktator benachbarten Länder Saudiarabien und Kuwait, die dem Westen verbündet sind und ihm als militärische Aufmarschbasis dienen, werden gleichfalls diktatorisch beherrscht. Sollen diese Länder Ziel der nächsten demokratiefördernden Kriege sein?
Ich weiß, diese Fragen sind müßig; die Arroganz der Weltmacht gibt Antwort auf jede. Doch jedermann kann wissen oder ahnen, dass es ums Öl geht. Oder genauer: Es geht wiederum ums Öl. Das Gespinst der Heuchelei, mit dem die zuletzt verbliebene Großmacht und der Chor ihrer Verbündeten ihre Interessen zu verdecken pflegen, ist im Laufe der Zeit so verschlissen, dass sich das Herrschaftsgefüge nackt zeigt; schamlos stellt es sich dar und gemeingefährlich in seiner Hybris. Der gegenwärtige Präsident der USA gibt dieser Gemeingefährlichkeit Ausdruck.
(...) Ich hoffe, dass die Bürger und die Regierung meines Landes unter Beweis stellen werden, dass wir Deutschen aus selbstverschuldeten Kriegen gelernt haben und deshalb Nein sagen zu dem fortwirkenden Wahnsinn, Krieg genannt. (...)

Diesen Text, den wir hier in Auszügen dokumentieren, hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass der Deutschen Presseagentur (dpa) zur Verfügung gestellt, die ihrerseits den Text verbreitet hat. In vielen Zeitungen wurde der Text besprochen (die Süddeutsche Zeitung brachte am 17.01. z.B. einen ironischen Kommentar), in vielen wurde er zitiert, manche Zeitungen (z.B. Die "Welt" vom 17.01.2003) veröffentlichten den vollständigen Text.



In Kürze


Eisenhower
"Every gun that is made, every warship launched, every rocket fired, signifies in the final sense a theft from those who hunger and are not fed, those who are cold and are not clothed."
US-Präsident Dwight D. Eisenhower am 16. April 1953

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Aristoteles über den Irak
Alexander der Große schrieb, nachdem er den Irak erobert hatte, an seinen Lehrer Aristoteles einen Brief: "Das irakische Volk hat mich ermüdet! Ich konnte keinen Trick ihnen gegenüber gebrauchen, sie haben jede List sofort durchschaut. Ich habe sie niemals reinlegen können, und ich sehe deshalb jetzt keinen anderen Ausweg, als sie alle bis auf den letzten töten zu lassen." Aristoteles antwortete ihm: "Das ist völlig sinnlos! Denn wenn du sie auch alle töten ließest, so könntest du doch nicht die Atmosphäre töten, die ihr Wesen und ihre Eigenschaften gebildet und sie mit einer solchen Intelligenz und einem solchen Scharfsinn begabt hat. Stürben sie auch alle bis auf den letzten, kämen doch andere, die ihnen gleich wären, und es ist dann geradeso, als hättest du gar nichts gegen sie unternommen!"
Diese Anekdote findet sich in dem Buch "Soziologie des Nomadentums, Studie über die irakische Gesellschaft" von Ali Al-Wardi. Quelle: http://hometown.aol.de/irakseite/

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Nelson Mandela wurde am 18. Juli 85 Jahre alt
Auf der Homepage der südafrikanischen Regierung (www.safrica.info) wird die größte Persönlichkeit der afrikanischen Geschichte mit einem Geburtstags-Glückwunsch-Buch gefeiert. Daraus das e-mail einer 16-jährigen Britin. Zuvor aber die Meldung über die Fertigstellung eines der größten Bauwerke der letzten Jahre, der "Nelson-Mandela-Brücke".
The Nelson Mandela Bridge
18 July 2003
Paris has its Eiffel Tower, New York its Statue of Liberty, Sydney its Harbour Bridge. On 20 July, Johannesburg opens the largest cable-stayed bridge in southern Africa. Who else to name it after but Nelson Mandela, the man who led South Africa across the apartheid divide?

Hi my name is patricia and am 16 i live in london and i have loved you since i was young or might say 4 the past 16 years of my life and i just want to say happy birthday and i wish i could also reach 85. well happy birthday young man love
Patricia
London, UK

Official Nelson Mandela Birthday Message Book (http://www.safrica.info/mandela/)

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1. Juli: "Kein guter Tag für Europa"
"Mit Italien übernimmt .. ein großartiges Land die Präsidentschaft in der EU, aber an der Spitze steht ein fragwürdiger Repräsentant. Silvio Berlusconi ... wirft mit seinem fragwürdigen Rechtsverständnis und seinen hemdsärmeligen Praktiken einen dunklen Schatten auf Europa. Italiens Regierungschef demontiert die Unabhängigkeit der Gerichte, schneidert sich die Gesetze zurecht, setzt seine Interessen mit denen des Staates gleich und macht sich die Medien untertan ... Berlusconi schadet Italien und jetzt auch Europa. Er führt die Kulturnation wie ein windiges Unternehmen mit Sondergesetzen und Ausnahmeregelungen. Er denkt an sich bis zuletzt. Berlusconi ist der Filz in Person."
Michael Müller, stellv. Fraktionsvorsitzender der SPD

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Bush: Massenvernichtungswaffen geklaut
"Über ein Jahrzehnt lang hat Saddam Hussein alles getan, um seine Waffen vor der Welt zu verstecken. (...) Und in den letzten Tagen des Regimes wurden Dokumente und als Waffendepots verdächtige Einrichtungen geplündert und in Brand gesetzt. (...) Wir sind entschlossen, das wahre Ausmaß von Saddams Waffenprogrammen aufzudecken, egal, wie lange es dauert."
US-Präsident George W. Bush in seiner wöchentlichen Rundfunkansprache am 21. Juni 2003

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Entwicklungspolitik statt Krieg
"Die Verhinderung von Krieg ist die nachhaltigste Entwicklungspolitik, die man leisten kann. Die große Gefahr, vor der ich warne, ist eine Verschiebung der internationalen Agenda: mehr Rüstungsausgaben und weniger Bekämpfung der Armut."
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul, 16. Juni 2003 in einem taz-Interview

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Die letzte Meldung
Washington/Bagdad: Die Welt kann aufatmen! Die seit Monaten verzweifelt gesuchten Massenvernichtungswaffen des Irak wurden endlich gefunden. Unklar, so ein Pressesprecher des US-Pentagon, sei lediglich noch, wie die Massenvernichtungswaffen, bei denen es sich ausschließlich um amerikanische Produkte handelt, in die USA gelangten.
Werner Lutz: Deutscher Einheit(z)-Textdienst, 6/2003

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Feldpostsoldaten gesucht
"Seit die Bundeswehr an Auslandseinsätzen, z.B. auf dem Balkan oder in Afghanistan teilnimmt, gehört es auch zu unseren Aufgaben, die Post dort anzunehmen und zu verteilen. Dafür brauchen wir Mitarbeiter, die bereit sind, sich dieser besonderen Aufgabe anzunehmen.
Wir suchen für maximal 7 Monate Feldpostsoldaten - auch für das Ausland.

Aus einer internen Werbekarte der "Deutschen Post" (Vermerk: "Nur für den internen Gebrauch"). Meldungen nimmt ein "Feldpostbeauftragter" entgegen; Tel.: 0228/182-98126

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Dead or alive?
Aus Protest gegen eine Wahlkreisreform hat sich die gesamte Fraktion der Demokraten im texanischen Repräsentantenhaus über die Grenze nach Oklahoma abgesetzt. Der Gouverneur des US-Staates setzte die Polizei auf die Flüchtigen an.
Aus: Spiegel-online, 13. Mai 2003

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Who's the next?
US-Außenminister Powell hat eine positive Bilanz im Kampf gegen den Terrorismus gezogen. Der Jahresbericht seines Ministeriums weist sieben Länder als Unterstützer von Anschlägen aus. (...)
Der Bericht nennt in diesem Zusammenhang die Länder Kuba, Iran, Libyen, Nordkorea, Syrien und Sudan und - vermutlich das letzte Mal – Irak. Cofer Black, Leiter der Anti-Terror-Abteilung im Außenministerium, kündigte an, der Status von Irak werde sich nach dem Sturz von Saddam Hussein ändern.
Meldung der Internetzeitung "Netzeitung" (www. netzeitung.de), 30. April 2003

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"... sonst ersäuft man"
In Zeiten des Krieges und der Verschärfung des Sozialabbaus, die uns im Namen der Demokratie, der Menschenrechte, der Rettung des Wohlstands und der amerikanischen Freundschaft verkauft werden, muss man sich aus der Überschwemmung mit der Meinung der Verkäufer auf trockene Inseln der Vernunft und Kritik retten können, sonst ersäuft man."
Norman Paech, Professor für Öffentliches Recht, Hamburg, in der "jungen Welt" 2002

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Arundhati Roy über "Tanzen"
Wenn das Saddam-Regime fällt ist klar, dass in den Straßen von Basra getanzt werden wird. Aber wenn jenes von Bush fällt, dann wird in den Straßen der ganzen Welt getanzt werden.
Arundhati Roy, Le Monde, 9. April 2003

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Karlheinz Böhm zum Irak-Krieg:
Für einen Menschen wie mich, der 1945 mit 17 Jahren das Ende des Grauens des zweiten Weltkrieges erlebte, der 49 Millionen unschuldiger Menschen das Leben gekostet hat, ist es kaum nachvollziehbar, dass es der Rüstungsindustrie und der Öl-Lobby – der im Augenblick größten Weltmacht – durch einen einzelnen Menschen gelungen ist, einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen, dessen Folgen heute noch niemand voraussehen kann. Dass allein der Aufmarsch amerikanischer und britischer Truppen in dieser Region der Erde 14 Milliarden US-Dollar gekostet hat und laut amerikanischer Regierung der begonnene Krieg etwa sechs Milliarden US-Dollar pro Monat kosten wird, ist angesichts der bestehenden Armut eines großes Teiles der Weltbevölkerung nicht zu vertreten. Es ist im tiefen Sinn des Wortes ein Verbrechen an der Menschheit und sollte und darf nicht geduldet werden. Lassen Sie uns gemeinsam so wie so viele andere Menschen auf unserem Planeten Erde denken und handeln als Menschen für Menschen.
Von der Homepage: www.menschenfuermenschen.de

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Oscar for Colombine
"Wir leben in der Zeit, in der wir fingierte Wahlergebnisse haben, die einen fiktiven Präsidenten zur Folge haben. Wir leben in einer Zeit, in der wir einen Mann haben, der uns aus erfundenen Gründen in den Krieg schickt. Wir sind gegen diesen Krieg, Mr. Bush! Schande über Sie, Mr. Bush! Ihre Zeit ist abgelaufen!"
Oscar-Preisträger Michael Moore ("Bowling For Columbine") in seiner Dankesrede bei der 75. Oscarverleihung am 23. März 2003 (Ortszeit)
"Schreiben Sie nicht, es waren geteilte Meinungen im Saal, nur weil fünf laute Buh-Rufer im Publikum zu hören waren. (...) Berichten Sie, dass die Mehrheit in Hollywood gegen diesen Krieg ist."
Michael Moore nach seinem Auftritt gegenüber Journalisten

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Präventivkrieg
Nichts rechtfertigt die Doktrin des Präventivkrieges. Ich verdächtige meinen Nachbarn, dass er mir wehtun will und füge ihm deshalb Leid zu: Würde man diese These verteidigen, fänden wir uns bald in einer Welt wieder, regiert von Gewalt und Kriminalität.
José Saramago, portugiesischer Literatur-Nobelpreisträger in einem Interview (Frankfurter Rundschau, 22. März 2003)

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"Das Fenster der Diplomatie ist geschlossen."
George W. Bush, 17. März 2003

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Herodot und Sokrates
"Niemand ist so bar aller Vernunft, dass er den Krieg dem Frieden vorzöge, denn im Frieden begraben die Kinder die Väter, im Krieg aber die Väter die Kinder."
Herodot (griechischer Geschichtsschreiber, 485-425 v.u.Z.)
"Man muss so lange philosophieren, bis die Heerführer für Eselsführer gehalten werden."
Sokrates (griechischer Philosoph, 470-399 v.u.Z.)

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Museumsnachrichten
"Eben noch wirkte die Friedensbewegung, als sei sie dem Museum für die Geschichte der Bundesrepublik entsprungen. An diesem Samstag hat sie etwas erreicht, was ihr selbst in ihren besten Tagen der Bonner Massen-Kundgebungen gegen die Nato-Nachrüstung verwehrt geblieben war: Sie sprach für die Mitte der Gesellschaft."
Aus dem Leitartikel von Joachim Käppner in der Süddeutschen Zeitung, 17. Februar 2003

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Der Krieg ist der Quell aller Übel und Sittenverderbnis, das größte Hindernis des Moralischen.
Immanuel Kant (1724 - 1804)

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Krieg ist niemals ein unabwendbares Schicksal. Krieg bedeutet immer eine Niederlage für die Menschheit.
Papst Johannes Paul II am 13. Januar 2003

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Der historische Vergleich
Als die römische Mutter Claudia, Tochter eines reichen Kaufmanngeschlechts, am Abend, als die Spiele im Kolosseum beginnen sollten, etwas besorgt fragte, ob die Verfütterung der Christen an wilde Tiere in der Arena schon das richtige für ihren siebenjährigen Blasius sei, antwortete ihr Gatte das Gleiche wie Kurt Holzkirchner zweitausend Jahre später auf die Frage seiner Frau, ob der Bub die bevorstehenden Bombardierungen und Raketenangriffe auf Bagdad im Fernsehen ansehen darf, nämlich: "Die Hauptsach' ist, daß er vorher seine Schulaufgaben ordentlich gemacht hat."
Deutscher Einheit(z) - Textdienst, 1/2003




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