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USA wieder Rüstungsweltmeister

SIPRI: Weltweite Militärausgaben stagnierten 2011 auf Rekordniveau

Von Olaf Standke *

Vor allem wegen der Wirtschaftskrise sind die globalen Militärausgaben mit 1,738 Billionen Dollar (rund 1,32 Bio. Euro) 2011 erstmals seit 13 Jahren nur noch leicht gestiegen. Friedensaktivisten in über 40 Ländern prangerten am Dienstag diese Mittelverschwendung an und forderten nachhaltige Entwicklung statt Rüstung.

»Die Frage der Erschwinglichkeit ist für unsere Kunden an erste Stelle gerückt.« Was Ian King, Vorstandschef des größten britischen wie europäischen Rüstungskonzerns BAE Systems da etwas verschwiemelt formulierte, beschreibt einen Trend, den man Stagnation auf schwindelerregend hohem Niveau nennen könnte. Nach gestern vorgelegten Daten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI wurden 2011 mit 1,738 Billionen Dollar zwar nur noch 0,3 Prozent mehr für Militär und Krieg ausgegeben als im Jahr zuvor. Doch bleibt die Kluft zu den zivilen Aufwendungen für die Lösung der globalen Probleme weiter enorm. So stellten die großen Industrienationen auch 2011 kaum ein Zehntel ihrer Rüstungsaufwendungen für die Entwicklungshilfe zur Verfügung.

Einsamer Spitzenreiter bei den Militärausgaben bleiben die USA, obwohl die inneren Sparzwänge auf Grund der Finanz- und Wirtschaftskrise samt Rekordverschuldung der öffentlichen Haushalte sowie die Beendigung des Irak-Krieges zu einem Rückgang von 1,2 Prozent geführt haben. 711 Milliarden Dollar entsprechen aber noch immer 41 Prozent der weltweiten Gelder für Waffen und Soldaten.

Obwohl China (6,7 Prozent Wachstum) und Russland mit einem Plus von 9,3 Prozent ihre Militärbudgets deutlich aufgestockt haben, liegen sie laut SIPRI mit 143 Milliarden Dollar bzw. 71,9 Milliarden Dollar als Nr. 2 und 3 nach wie vor weit hinter dem Rüstungsweltmeister USA. Trotz einer Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten von rund 15 Billionen Dollar kommen 4,7 Prozent des Bruttosozialprodukts dem Pentagon-Etat zugute. China, das seine Rüstungsimporte zu mehr als drei Vierteln aus Russland deckt, verwendet zur Zeit zwei Prozent seiner Wirtschaftskraft für den Unterhalt und die Modernisierung der Streitkräfte.

Deutschland fiel mit einem um 3,5 Prozent geschrumpften Bundeswehr-Etat von 46,7 Milliarden Dollar in diesem Ranking zwar auf den neunten Platz zurück, gibt aber real heute nicht weniger für das Militär aus als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges vor über zwei Jahrzehnten.

Zugleich ist die Bundesrepublik inzwischen zum drittgrößten Rüstungsexporteur nach den USA und Russland aufgestiegen und liefert Waffen in über 80 Länder der Welt - immer wieder auch ohne Rücksicht auf Konflikte und Spannungen oder die Menschenrechtslage. Vor allem der Nahe Osten wurde im Vorjahr mit einer Zunahme der dortigen Militärausgaben um 4,6 Prozent massiv aufgerüstet.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. April 2012


1,7 Billionen für Kriegsgerät

SIPRI-Bericht: Militärausgaben trotz Finanzkrise auf hohem Niveau **

Die weltweiten Ausgaben für Militär und Rüstung erreichen Jahr für Jahr neue Rekordmarken – ungeachtet der anhaltenden Finanzkrise und des schwachen US-Dollars. Mit einem preisbereinigten Zuwachs von 0,3 Prozent gegenüber 2010 ist lediglich ein 13jähriger Trend immer rascher steigender Rüstungsausgaben gebrochen worden. Das geht aus dem am Dienstag zum »Globalen Aktionstag gegen Militärausgaben« vorgelegten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI hervor. Insgesamt lagen die Militärausgaben bei 1,738 Billionen US-Dollar.

Deutschlands gab laut SIPRI im vergangenen Jahr mit 46,7 Milliarden Dollar (umgerechnet 35,5 Milliarden Euro) rund 3,5 Prozent weniger aus als noch 2010. Damit rutschte die Bundesrepublik von Platz acht auf Platz neun im internationalen Vergleich. Im Bundeshaushalt umfasst der reine Militäretat 31 Milliarden Euro. »Real haben die deutschen Rüstungsausgaben zugenommen«, betonte dagegen Peter Strutynski vom Bundesausschuß Friedensratschlag. Die Militärausgaben seien nicht allein im Wehretat abgebildet, damit sei keine Transparenz gewährleistet. Die globalen Ausgaben seien ein Skandal. Weltweit würden pro Tag knapp fünf Milliarden Dollar für das Militär ausgegeben. »Auf der anderen Seite sterben täglich 24000 Kinder unter fünf Jahren aus Mangel an Nahrung, Mangel an sauberem Wasser und Mangel an medizinischer Versorgung. Schon mit einem Bruchteil dessen, was für Waffen und Militär ausgegeben wird, könnte dieser himmelschreiende Skandal beendet, könnten die Kinder dieser Welt gerettet werden«, hieß es in einer Erklärung.

Nummer eins der weltweiten Militärausgaben blieben 2011 unangefochten die USA. Sie gaben laut SIPRI rund 711 Milliarden Dollar aus. Das US-Kriegsgerätebudget macht mit 41 Prozent den Löwenanteil an den weltweiten Ausgaben aus. Auf Platz zwei und drei liegen mit deutlichem Abstand China und Rußland mit geschätzt 143 bzw. 71,9 Milliarden Dollar. Moskau hat sich damit vor Großbritannien und Frankreich geschoben. Rußlands Militärausgaben liegen laut SIPRI bei 4,1 Prozent weltweit, also einem Zehntel der US-amerikanischen. Die Steigerung ist nach Angaben der Friedensforscher vor allem auf das Bemühen Moskaus zurückzuführen, seine veraltete Rüstungsindustrie bis 2020 grundlegend zu modernisieren. SIPRI rechnet mit einem weiteren Zuwachs in den kommenden Jahren. (dapd/jW)

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. April 2012


Entwicklung statt Rüstung

Von Olaf Standke ***

Die Finanz- und Wirtschaftskrise scheint auch etwas Gutes zu haben: Die weltweiten Ausgaben für Rüstung und Soldaten wuchsen vor allem wegen der Verschuldung der öffentlichen Haushalte im Vorjahr nicht mehr so rasant wie im Jahrzehnt zuvor. Von einer globalen Wende wollte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI angesichts dieser Fast-Stagnation jedoch noch nicht sprechen, es geht aber von weiteren regionalen Rückgängen in den nächsten Jahren aus.

Doch egal wie man den Trend definiert, 1,74 Billionen Dollar Militärausgaben sind weiter viel zu viel, ja eine Katastrophe angesichts der gigantischen sozialen wie ökologischen Probleme in vielen Teilen der Welt und einer zuletzt dramatisch angestiegenen Zahl von bewaffneten Auseinandersetzungen. Mit 20 Kriegen und 38 »hoch gewaltsamen Konflikten« zählten Konfliktforscher 2011 so viele wie nie seit 1945. Große Sorgen muss da vor allem machen, wenn in einer der fragilsten und gefährlichsten Regionen, dem Nahen und Mittleren Osten, bis hin zu zweistelligen Zuwachsraten (Bahrain) massiv aufgerüstet wird, auch mit Lieferungen aus deutschen Waffenschmieden. Tag für Tag werden weltweit rund 4,6 Milliarden Dollar für Militär und Krieg verpulvert. Tag für Tag sterben gleichzeitig 24 000 Kinder unter fünf Jahren, weil ihnen ausreichend Nahrung, sauberes Wasser und medizinische Versorgung fehlen. Deshalb forderten gestern Friedensaktivisten in über 40 Staaten mit Protestaktionen nachhaltige Entwicklung statt Rüstung.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. April 2012 (Kommentar)


"Unser Aufruf ist ein Appell der Tabubrecher"

Die Aktion "Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel" will die deutschen Rüstungsexporte anprangern. Ein Gespräch mit Christine Hoffmann ****

Christine Hoffmann ist Generalsekretärin der deutschen Sektion von Pax Christi mit Sitz in Berlin und Sprecherin der Aktion »Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«


Auf 1,7 Billionen US-Dollar jährlich belaufen sich die Militärausgaben weltweit – bei der UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung im Juni ist Abrüstung jedoch kein Thema. Wie kommentieren Sie das?

Wie viele andere Organisationen protestiert auch Pax Christi dagegen. Bei diesem Gipfel in Rio soll es doch um Themen gehen, die die menschliche Sicherheit betreffen: Um die gerechte Verteilung von Ernährung und Wasser oder um die Zukunft der Ozeane – aber das permanente Aufrüsten wird ausgeblendet!

Unseren Aufruf, den Rüstungswettlauf zu bremsen, bezeichnen wir deshalb als Appell der Tabubrecher. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI, Stockholmer internationales Friedensforschungsinstitut) lagen die USA 2011 an der Spitze: Auf sie entfielen 43 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben in Höhe von 698 Milliarden US-Dollar. Deutschland ist auf Platz neun mit 46,7 Milliarden.

Pax Christi nimmt auch an der »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel« teil. Worum geht es dabei?

Militärausgaben verleiten dazu, Waffen auch einzusetzen. Diesen Kreislauf wollen wir stoppen. Wir wollen den Opfern eine Stimme geben und den Tätern Gesicht und Namen: Wir werden Menschen aus Ländern, in die deutsche Rüstungskonzerne Waffen exportiert haben, als Zeuginnen und Zeugen einladen, um bei Veranstaltungen zu informieren, zu welchem Leid deutsche Waffen geführt haben. Wir werden die Verantwortlichen benennen und fordern ein Rüstungsexportgesetz im deutschen Grundgesetz.

In der deutschen Friedensbewegung gab es vor der Kampagne Diskussionen: Einige Organisationen forderten, einen generellen Ausfuhrstopp für Waffen ins Grundgesetz aufzunehmen – andere sprechen sich nur dafür aus, Rüstungsexporte zu kontrollieren. Welche Position vertritt Pax Christi?

Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern darum, den ersten Schritt zu machen. Darauf aufbauend wollen wir weitere Etappen erreichen. Das Ziel heißt: Stoppt den Waffenhandel! Pax Christi sieht es als Mindestanforderung an ein Rüstungsexportgesetz, Waffenlieferungen auf EU und ­NATO-Partner zu begrenzen. Damit wäre es nicht mehr möglich, nach Saudi-Arabien oder Angola Waffen zu verkaufen. Die Rüstungsindustrie schreit nach Unterstützung der Politik, um in solche Länder exportieren zu können, obgleich bekanntermaßen in einigen eine fragwürdige Menschenrechtslage herrscht.

Warum sind Sie eigentlich nicht dafür, ein striktes Verbot ins Grundgesetz aufzunehmen?

Ich bin eher für eine pragmatische Politik, als »das große Ganze« zu fordern und am Ende nichts zu erreichen.

Schwächt Pax Christi mit der Position, Rüstungsexporte nur besser regeln und kontrollieren zu wollen, nicht Forderungen der Friedensbewegung ab?

Nein, denn wir fordern das als ersten Schritt und zudem strafrechtliche Regelungen, um zu ermöglichen, Verstöße gegen das neu zu schaffende Gesetz zu verfolgen. Wir wissen alle, daß eventuell bis zu 270 Leopard-II-Panzer nach Saudi-Arabien geliefert werden, obwohl die Bundesregierung in ihrem eigenen Menschenrechtsbericht grobe Verstöße dieses Landes festgestellt hat. Richtlinien nutzen also nichts.

Die Friedensbewegung hat für Rio symbolisch einen Panzer aus Brot gebacken: Beim Waffenhandel geht es aber um kapitalistische Geschäftsinteressen – meinen Sie, daß die Entscheidungsträger für moralische Vorhaltungen empfänglich sind?

Ich lasse mich in meinem Engagement nicht davon bremsen, daß wir im Kapitalismus leben: Wir müssen diese neoliberale Wirtschaft verändern, damit Menschen nicht hungern und nicht mit Waffen bekämpft werden.

Interview: Gitta Düperthal

**** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. April 2012


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