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Panzer im Stadtparlament

In Kassel will ein Friedensbündnis den Rüstungsexport aus der Stadt nach Saudi-Arabien stoppen

Von Michael Schulze von Glaßer *

Im nordhessischen Kassel kämpft ein Friedensbündnis gegen den Export von in der Stadt produzierten Kampfpanzern nach Saudi-Arabien. Ein Teil der Lokalpolitiker will das Thema lieber ignorieren.

Buhrufe von den Zuschauerrängen, Ermahnungen durch das Präsidium und ein um Worte ringender Oberbürgermeister: In der Kasseler Stadtverordnetenversammlung Ende Januar ging es turbulent zu. Das war der vorläufige, aber wohl nicht letzte Höhepunkt eines monatelangen Streits.

Nachdem im Juli 2011 bekannt wurde, dass in den kommenden Jahren 270 teilweise in Kassel hergestellte Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A7+ nach Saudi-Arabien geliefert werden sollen, gründete sich in Kassel eine Initiative für den Stopp des Rüstungsexports. Die schweren Panzer sind besonders geeignet, um Aufstände - wie die während des »Arabischen Frühlings« 2011 - niederzuschlagen. Experten schätzen den Wert des Geschäfts auf mindestens 1,7 Milliarden Euro.

Unheilvolle Erfahrungen

Schon kurz nach Bekanntwerden des Rüstungsdeals gingen in Kassel im Sommer 2011 rund 250 Menschen bei einer kurzfristig organisierten Demonstration auf die Straße. Dabei erinnerten die Demonstranten daran, welches Unheil die Rüstungsindustrie schon einmal über Kassel gebracht hat. Die Stadt war auch im Zweiten Weltkrieg ein Zentrum der Rüstungsindustrie - etwa der einzige Standort, an dem die berüchtigten »Tiger«-Panzer der Wehrmacht gebaut wurden - und geriet auch deshalb ins Fadenkreuz der Alliierten. Bei einem Bomberangriff kamen 1943 etwa 10 000 Menschen ums Leben, 80 Prozent der Stadt wurden zerstört.

Heute ist die Rüstungsindustrie mit den beiden großen Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall Defence mit ihren rund 3000 Beschäftigten in Kassel wieder fest verankert. Den Panzerexport an das für Menschenrechtsverletzungen bekannte Regime in Saudi-Arabien sehen dennoch viele Menschen in Kassel kritisch.

CDU sperrt sich

Im vergangenen Dezember übergaben Friedensaktivisten der lokalen Politik knapp 2000 Protestunterschriften Kasseler Bürgerinnen und Bürger. Die Unterzeichner appellieren darin an Bürgermeister, Magistrat und Stadtverordnetenversammlung, Initiativen zu ergreifen und zu unterstützen, die aus Kassel eine Stadt des Friedens machen. Konkret sollen Stadt und Lokalpolitik Druck auf die Kasseler Rüstungsunternehmen ausüben, »ihre Produktpalette zu demilitarisieren und zivile Geschäftsfelder aufzubauen«. Die Waffenproduktion solle in zivile Produktion umgewandelt werden.

Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) nahm die Unterschriften entgegen, erklärte aber, wenig ausrichten zu können, da der Rüstungsexport in der Zuständigkeit des Bundes läge. So argumentierten dann auch viele Stadtverordnete in jener turbulenten Sitzung Ende Januar. Die Fraktion der LINKEN hatte einen Antrag auf Unterstützung des Aufrufs der Friedensgruppen gegen den Rüstungsexport durch die Stadt gestellt.

Die Grünen unterstützten und ergänzten den Antrag um das Bemühen der Stadt, die Konversion der Betriebe zu fördern, um Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Die Kasseler LINKE übernahm die Ergänzung. Die CDU lehnte jede Beschäftigung mit dem Thema ab: »Das geht weit über unsere Kompetenz hinaus«, fand ein CDU-Stadtverordneter. Die Lokalpolitik solle sich nicht in Angelegenheiten des Bundes einmischen, so die einhellige Meinung der Konservativen wie auch weiter Teile der SPD.

Der Stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Christian Geselle beschimpfte den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Kai Boeddinghaus, gar als »Gutmensch«. Nach einstündiger Diskussion vor gut 150 Zuhörern stimmten 34 Stadtverordnete von SPD, CDU und FDP gegen das Papier der LINKEN. Für den Antrag »Keine Panzer aus Kassel - Stoppt den Rüstungsexport nach Saudi-Arabien« sprachen sich 25 Parlamentarier von Grünen, LINKEN und Piraten sowie zwei Sozialdemokraten aus.

Der Bewegung gegen den Rüstungsexport tut die Ablehnung im Stadtparlament keinen Abbruch. Am letzten Donnerstag besuchte der Rüstungsexperte und Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Jan van Aken die Friedensaktivisten in Kassel. Er war erst vor Kurzem in Saudi-Arabien, um sich dort ein Bild über die Rüstungsgeschäfte mit Deutschland und die Menschenrechtssituation zu machen. Sein Fazit: der Panzerexport ist ein Skandal und muss unbedingt gestoppt werden.

Treffen am 14. Februar

Van Aken machte den Aktivisten vor Ort Mut, sich weiter zu engagieren. Und das werden die Kasseler Friedensaktivisten auch tun. Am 14. Februar (19 Uhr, Café Buch-Oase) kommt Andrea Kolling von der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung nach Kassel. Sie will erklären, wie eine Umwandlung der Waffenproduktion hin zu ziviler Produktion möglich ist. Für den Sommer sind weitere Aktionen geplant.

* Aus: neues deutschland, 8. Februar 2012


Keine Panzer an die Saudis!

Von PETER STRUTYNSKI **

Man mag voller Bewunderung über die Exporterfolge der deutschen Industrie sein - ungetrübte Freude können sie nicht auslösen. Zum einen beruhen sie auch auf relativ niedrigen Arbeitskosten (die Reallohnentwicklung in Deutschland hinkt vergleichbaren Volkswirtschaften seit Jahren hinterher). Zum anderen, weil immer mehr besonders sensible Güter exportiert werden: Kampfflugzeuge, Panzer, U-Boote und jede Menge Kleinwaffen, also die bekannten Gewehre von Heckler&Koch, Panzerfäuste und Munition. Deutschlands Rüstungsindustrie belegt seit drei Jahren hinter USA und Russland den dritten Platz unter den Waffenlieferanten der Welt.

Nun steht der Handel von Kriegswaffen unter staatlichem Genehmigungsvorbehalt. Es gibt nicht nur das Kriegswaffenkontrollgesetz, sondern auch Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung (zuletzt aus dem Jahr 2000) sowie einen entsprechenden Verhaltenskodex (Code of Conduct) der EU. Danach sollen keine Waffen in Spannungsgebiete, in Staaten mit problematischer Menschenrechtslage sowie in Länder, die sich das eigentlich nicht leisten können, geliefert werden.

Dass etwa an Griechenland deutsche Kriegsschiffe verkauft werden, während das Land Lehrer und Erzieher nicht mehr bezahlen kann, ist eine politische Instinktlosigkeit ohnegleichen. Waffenlieferungen nach Ägypten und Libyen (noch unter Mubaraks/Gaddafis Herrschaft), Israel, Algerien, Irak oder in die Vereinigten Arabischen Emirate (ein einziges Spannungsgebiet) zeugen davon, dass Berlin systematisch gegen die eigenen Richtlinien verstößt.

Nun soll eines der größten Waffengeschäfte mit einem der autoritärsten Regime der Welt abgeschlossen werden: Saudi-Arabien möchte 200 Leopard-2-Panzer haben, die sich auch für den Städtekampf eignen sollen - und der Bundessicherheitsrat hat Ja dazu gesagt. Die saudische Monarchie, so lautet die Begründung, sei ein "Stabilitätsfaktor" in der Nahost-Region. Gebaut werden die "Leos" bei Krauss-Maffei Wegmann (München-Kassel).

In Kassel regt sich breiter Protest gegen den Waffendeal. Viele Bürger/innen fordern ein Programm zur Konversion (Umstellung) der Rüstungsproduktion auf zivile Produkte. In München findet jetzt die "Sicherheitskonferenz" statt, ein Stelldichein von Politikern und Rüstungslobbyisten. Krauss-Maffei Wegmann gehört zu den Sponsoren der Veranstaltung. Die gute Nachricht aus München: Gegen die Konferenz gehen tausende Demonstranten auf die Straße.

** Info Dr. Peter Strutynski, 66, Kassel, Politikwissenschaftler und Friedensforscher;
www.ag-friedensforschung.de

Aus: Südwest Presse, 4. Februar 2012 (Rubrik: "Fremde Feder")



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