Ungewöhnliche Beweisanträge
Hamburg: Verteidigung einer Rüstungsgegnerin ruft ThyssenKrupp-Vorstand in den Zeugenstand
Von Claudia Wangerin *
Im Prozeß gegen eine Rüstungsgegnerin vor dem Amtsgericht Hamburg hat die Verteidigung am Freitag politisch brisante Beweisanträge gestellt. Zur Verhandlung steht dabei nur ein vermeintlich simpler Fall von Hausfriedensbruch. Die Angeklagte Tanja W. soll mit Gleichgesinnten am 23. Oktober 2010 an der Wasserseite eines Docks der Traditionswerft Blohm + Voss ein weithin sichtbares Transparent aufgehängt haben. Aufschrift: »Unsere Zukunft ist nicht Krise, Krieg und Barbarei. Klassenkampf statt Weltkrieg. Für die internationale Solidarität«. Die Staatsanwaltschaft wertete die Aktion als Hausfriedensbruch. Die Angeklagte und ihre Unterstützer berufen sich dagegen auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Widerstand gegen kriegsfördernde Aktivitäten. Blohm + Voss stehe »in ganz und gar militaristischer Tradition« und sei die Rüstungsschmiede des Nordens. »Seinen Profit macht das Unternehmen seit 135 Jahren mit dem Tod«, begründete der »Jugendaktionsausschuß Notstand der Republik« die Aktion. »In den letzten fünf Jahren hat Deutschland den Rüstungsexport verdoppelt und dabei auch in Krisengebiete geliefert. Die Verfassung, die das zuläßt, wird zur Militärverfassung«, heißt es in der Erklärung zum Prozeß.
Tanja W. war vor dem Gerichtstermin angeboten worden, das Verfahren gegen Zahlung von 100 Euro einzustellen, doch ihr geht es um die Klärung einer Grundsatzfrage. Zur Seite steht ihr dabei Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die nun den Vorstandsvorsitzenden der Marine Systems ThyssenKrupp AG, Dr. Hans-Christoph Atzpodien, als Zeugen vernehmen will. Dem Stahlkonzern gehörte zur fraglichen Zeit Blohm + Voss. Atzpodien soll über die Rüstungsproduktion in dem Unternehmen befragt werden. Auf Antrag von Heinecke soll auch der Leiter der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme e.V., Bertrand Wahls, über die Geschichte der Zwangsarbeit in den Hamburger Werften und das 1944 auf dem Gelände von Blohm + Voss errichtete Außenlager des KZ Neuengamme aussagen. Rund 600 Gefangene waren dort bis Ende des Zweiten Weltkriegs zu harter körperlicher Arbeit gezwungen worden, Überlebende berichteten von regelmäßigen Mißhandlungen.
Sinn der Beweisanträge sei es, die Wertigkeit von Verfassungsrechten zu klären, sagte Tanja W. am Freitag gegenüber junge Welt. »Was ist der Bruch des Hausfriedens gegen den Bruch des Weltfriedens?«, fragten ihre Unterstützer in einer weiteren Erklärung. Über die Beweisanträge soll beim Fortsetzungstermin am Freitag, den 24. Februar, entschieden werden.
* Aus: junge Welt, 18. Februar 2012
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