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Krise? Nicht auf dem Waffenmarkt

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlichte Zahlen zum weltweiten Rüstungsmarkt - Stimmen aus der Friedensbewegung

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Stellungnahmen zum jüngsten Rüstungsexport-Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Die erste kommt vom Bundesausschuss Friedensratschlag, die zweite von pax christi. Die Zahlen von SIPRI sind hier nachzulesen: www.sipri.org (externer Link).



Friedensbewegung fordert Stopp der Rüstungsexporte

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Zunehmender Rüstungshandel - Deutschland auf Platz 3
  • Top-Produkte: U-Boote und Kampfpanzer
  • Export in Spannungsgebiete fördert das Wettrüsten
  • Waffenhandel macht die Welt unsicherer
  • Friedensratschlag erinnert an "Waldkircher Erklärung"
  • Rüstungsexporte in der Anti-NATO-Kampagne thematisieren
Kassel-Hamburg, 28. April 2009 - Zur Vorlage der jüngsten Daten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Lühr Henken (Hamburg) und Dr. Peter Strutynski (Kassel):

Deutschland hat den Export von Großwaffen im Jahrfünft von 2004 bis 2008 um 70 Prozent gegenüber dem Jahrfünft von 1999 bis 2003 gesteigert. Damit belegt Deutschland als größter Waffenexporteur der EU nach den USA (Weltmarktanteil 31 %) und Russland (21 %) mit 10 Prozent Rang 3 in der Welt. Das gilt für die Summe der vergangenen 10 Jahre, aber auch für jedes Jahr seit 2005, der Regierungszeit der Großen Koalition. Im Jahr 2008 übertreffen die deutschen Rüstungsexporte sogar jene von Frankreich und Großbritannien zusammen.

Der Export von Waffen erhöht die Kriegsgefahr und fördert das Wettrüsten. Die Bundesregierungen haben sich verbindlich zu einem restriktiven Rüstungsexport verpflichtet (zuletzt in der Rüstungsexportrichtlinie vom Januar 2000). Die stetig steigenden Exportzahlen sprechen eine gegenteilige Sprache. Wir fordern die Bundesregierung zu einer Trendumkehr auf. Wir wollen den vollständigen Stopp der Rüstungsexporte.

Die Hälfte des Rüstungsexportwerts der letzten zehn Jahre wurde durch Kriegsschiffe, vor allem U-Boote getätigt, ein Viertel durch den Export von Kampf- und Schützenpanzern.

Hauptabnehmer waren die Türkei, Griechenland, Australien, Südafrika und Südkorea. An diese fünf Länder gingen 45 Prozent des deutschen Exports von Großwaffen.

Die U-Boote des ThyssenKrupp-Konzerns (HDW) wurden in diesen zehn Jahren nach Süd-Korea und in die Türkei (je 5), nach Griechenland (4), Süd-Afrika und Israel (je 3), Italien und Brasilien (je 2) geliefert. Zehn davon mit Brennstoffzellenantrieb, dem revolutionären Unterwasserantrieb, der diese U-Boote so extrem leise macht, dass sie von Marinen außerhalb der NATO nicht zu orten sind. Diese U-Boote können drei Wochen lang ununterbrochen unter Wasser bleiben und dabei 20.000 km zurücklegen. Süd-Korea, Griechenland, Italien und Israel sind bisher Empfänger dieser Kampfmaschinen. Pakistan will drei und die Türkei und Süd-Korea wollen jeweils sechs dieser U-Boote, die mit ihren weit reichenden Schwergewichtstorpedos "Seehecht" für eine Übermacht auf See sorgen könnten. Diese U-Boote wirken stark verunsichernd und lösen bei potenziellen Gegnern (wie Indien, Nordkorea, Iran) weitere Rüstungsanstrengungen aus. Sie befördern das Wettrüsten. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Export von U-Booten zu stoppen.

Die Bundeswehr hat im letzten Jahrzehnt mehr als 1350 Kampfpanzer Leopard unter anderem an Griechenland (415), die Türkei (298), Brasilien (220), an Chile und Kanada je (140) teilweise modernisiert weiter verkauft. Dies führt in den Regionen über kurz oder lang zu weiteren Aufrüstungsanstrengungen, um diesen Monstern aus Stahl Paroli zu bieten. Wir plädieren dafür, von weiteren Exporten dieser Art Abstand zu nehmen und ausgemustertes Bundeswehrmaterial ausnahmslos abzuwracken. Einer "Prämie" bedarf es hierfür nicht.

Der SIPRI-Bericht enthüllt aufs Neue, dass der steigende Waffenhandel die Welt zunehmend unsicherer macht. Die Verantwortung dafür liegt insbesondere bei den großen Rüstungsexporteuren USA, Russland, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die zusammen 78 Prozent des weltweiten Waffentransfers bestreiten. Wir sehen in dieser Entwicklung einen Skandal ohne Grenzen. Die Bundesregierung darf sich nicht länger von dem Totschlagargument irreführen lassen, deutsche Arbeitsplätze müssten gesichert werden. Diese Behauptung ist unzutreffend: Mit dem Geld, das für staatliche Subventionen an die deutsche Rüstungsindustrie und für Waffenkäufe aufgewendet wird, könnten ungleich mehr Arbeitsplätze in zivilen Sektoren geschaffen werden.

Im Einklang mit der Waldkircher Erklärung zum Rüstungsexport" von 2007 fordern wir den "Ausstieg Deutschlands aus dem Geschäft mit dem Tod". Wer den Frieden will, darf die Kriegsparteien dieser Welt nicht mit Waffen versorgen.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wird seine abrüstungspolitischen Aktivitäten verstärken und das Rüstungsexportthema zum Gegenstand der Anti-Nato-Kampagne der Friedensbewegung machen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg
Peter Strutynski, Kassel


Europa größter Rüstungsexpoteur

pax christi kommentiert die neuen SIPRI Zahlen über den weltweiten Rüstungsmarkt

„Wir müssen auch wieder über die Abrüstung konventioneller Waffen reden, denn die bestimmen die Krisen in der Welt,“ fordert pax christi Generalsekretärin, Christine Hoffmann, angesichts der erschreckenden, wenn auch nicht überraschenden, Zahlen, die das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI über den weltweiten Rüstungsmarkt vorgelegt hat. „Die Verantwortung, die Deutschland durch dieses massive Engagement im Waffenexport trägt, ist der Öffentlichkeit viel zu wenig bewusst“ mahnt Hoffmann.“ pax christi fordert ein wirtschaftliches Umsteuern hin zu zivilem Nutzen des vorhandenen technologischen Know How. Deutschland könnte in viel größerem Umfang friedliche Technologie und gewaltlose Konfliktlösungsoptionen fördern, die zum Abbau der Armut in der Welt und zur Unterstützung der Gesundheitssysteme beiträgt. Die vorliegenden Fakten sind nicht rein wirtschaftlich zu betrachten. Denn sie haben immense politische Bedeutung.“ betont Hoffmann und präsentiert die aktuelle Analyse der SIPRI-Zahlen durch den pax christi-Experten, Fabian Siebert.

Fabian Sieber, Herausgeber des DAKS-Kleinwaffen-Newsletter und Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsbüro, Freiburg, analysiert die aktuellen Informationen wie folgt:

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI veröffentlichte eine neue Hochrechnung über den weltweiten Rüstungsmarkt bis zum Jahr 2008. Ermöglicht wird dadurch ein Vergleich über die beiden Zeiträume 1999-2003 und 2004-2008.

Es mag zynisch klingen, aber die Erkenntnis, dass Deutschland seinen Anteil am weltweiten Rüstungsmarkt in dieser Zeit von 7% auf 10% erhöht hat und dass dadurch seine Gesamtrüstungsexporte um 70% gestiegen sind, überrascht wenig. Diese Zahlen sind bereits durch die jährlich publizierten Rüstungsexportberichte der Bundesregierung bekannt. Schockierend sind allerdings die Ergebnisse der Vergleichsmöglichkeiten die die Studie bietet: Mit Hilfe des von SIPRI aufbereiteten Materials wird es möglich, den Anteil verschiedener Wirtschaftsräume am weltweiten Rüstungsmarkt zu bestimmen, die spezifische Abhängigkeit der Import- von den Exportregionen nachzuvollziehen und die Verlagerungen im Bereich der Nachfrage nach Waffen zu verfolgen.
  • So scheint der Europäische Wirtschaftsraum in Gestalt der EU-Mitgliedsländer Deutschland (10%), Frankreich (8%), Großbritannien (4%), den Niederlanden (3%), Spanien (2%), Italien (2%) und Schweden (2%) im Zeitraum von 2004-2008 für rund 31% der weltweiten Rüstungsexporte verantwortlich zu sein. Die Erkenntnis, dass Deutschland weltweit der drittgrößte Exporteur von Waffen aller Art ist, wird also noch dadurch übertroffen, dass der Europäische Wirtschaftsraum noch vor den USA der Rüstungsexport aktivste Wirtschaftsraum ist.
  • Auch im Rüstungsmarkt schlägt sich demnach die wirtschaftliche Dominanz der (westlichen) Industrieländer nieder. Die Vereinigten Arabischen Emirate etwa, die in den vergangenen Jahren zu einem der Hauptimporteure von Rüstungsgütern aufgestiegen sind, decken ihren Bedarf fast vollständig durch die drei Lieferanten USA (54%), Frankreich (43%) und Deutschland (1%). Südkorea, ebenfalls einer der weltweit führenden Rüstungsimporteure kauft gleichfalls vor allem bei diesen Lieferanten ein: USA - 73%, Deutschland – 12%, Frankreich – 9%. Russland dagegen ist Hauptlieferant von sowohl China (92%) als auch Indien (71%)
  • Interessant ist, dass die Prozentzahlen in den beiden untersuchten Zeiträumen zwar geringfügigen Schwankungen unterlagen, sich an den Hauptlieferanten für die jeweiligen Kunden aber nichts geändert hat. Dies erklärt sich durch die Langlebigkeit moderner Waffensysteme und die Notwendigkeit, die Interoperabilität der einzelnen Systeme untereinander sicherzustellen. – Wer einmal ein bestimmtes System eingeführt hat, ist im Folgenden auf eine weiterführende technische Unterstützung angewiesen, was in der Konsequenz zu einer jahrzehntelangen, rüstungstechnischen Abhängigkeit der Empfängerländer führt.
  • Problematisch erscheint die Konfliktregion des Nahen Ostens. Seit Beginn des „Kriegs gegen den Terror“ sind die Rüstungsimporte aus dieser Region um 38% im Vergleich zum Vergleichszeitraum gestiegen. Besorgniserregend ist die Dimension, die mittlerweile der Verteidigungshaushalt der Vereinigten Arabischen Emirate erreicht hat. Nicht weniger schwierig erscheinen jedoch die Rüstungsimporte des Irak, der im weltweiten Rüstungsranking immerhin Platz 28 unter den wichtigsten Waffen-Importeuren einnimmt.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich gar nicht so sehr die Frage, ob die Welt vor einem neuen Rüstungswettlauf steht. Erschreckend ist nicht die mögliche Zukunft, sondern die reale Gegenwart, die weniger durch visionäre Politiker geprägt zu werden scheint, die das Ziel einer gerechten und friedlichen Welt im Blick haben, als durch machtpolitische Bestrebungen. Die Zeit zu handeln ist jedoch jetzt.


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