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"Aufschrei" gegen deutsche Waffenexporte

Ein breites Bündnis von Kriegsgegnern will den Handel von Rüstungsgütern "made in Germany" mit neuer Kampagne stoppen

Von Katja Herzberg *

Mit einer bundesweiten Kampagne wollen Nichtregierungsorganisationen Waffenexporte aus Deutschland stoppen. Ihr Sprecher ist der Träger des Aachener Friedenspreis 2011.

Die Nachricht hätte für ihn zu keinem besseren Zeitpunkt bekannt werden können: Der langjährige Abrüstungs- und Friedensaktivist Jürgen Grässlin erhält den diesjährigen Aachener Friedenspreis. Die Kampagne »Aktion Aufschrei« gegen den Waffenhandel der deutschen Bundesregierung, die Grässlin als deren Sprecher gestern in Berlin vorstellte, wird damit noch mehr Beachtung finden. Zehn Organisationen der Friedens- und Menschenrechtsarbeit fordern ein generelles Exportverbot deutscher Waffen und Rüstungsgüter im Grundgesetz. Bis zur Bundestagswahl 2013 wollen die Initiatoren 262 000 Unterschriften sammeln.

Deutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Dabei nehme die Bundesregierung keine Rücksicht darauf, ob die Empfängerländer der Gewehre, U-Boote und alten Panzer von Diktatoren oder autoritären Regimes geführt werden, meint das Bündnis. So gelangten deutsche Waffen etwa im libyschen Bürgerkrieg auf beide Seiten. »Krieg ist gut fürs Geschäft«, interpretiert Grässlin diese Politik. Doch das wolle die deutsche Bevölkerung nicht mehr. Die »Aktion Aufschrei« werde von Kirchen, Friedensaktivisten, Ärzten und Juristen unterstützt und stehe damit für eine »breite Masse in der Bundesrepublik«, erklärte Christine Hoffmann, Generalsekretärin der katholischen Friedensorganisation »pax christi«.

Der internationale Waffenhandel töte Menschen und konterkariere die Bekämpfung von Hunger und Armut in vielen Entwicklungsländern. Als besonders verwerflich stellten sich laut Grässlin zurzeit die Waffenexporte Deutschlands nach Tunesien, Ägypten und Libyen dar. »Die Bundesregierung verschweigt ihre massive Mitschuld an Repression in Ländern, wo sich nun die Bevölkerung wehrt«, kritisierte der Freiburger die mangelnde Transparenz über die Rüstungsexporte. Die entsprechenden Berichte der Bundesregierung seien wenig aussagekräftig. Erwiesen ist, dass Deutschland 2009 Waffen im Wert von sieben Milliarden Euro ins Ausland lieferte. Vor allem Kleinwaffen gelten als Exportschlager. Wie viele Menschen durch Waffen »made in Germany« bislang starben, könne man nur schätzen. Grässlin geht allein von 1,5 Millionen Toten durch Waffen von »Heckler & Koch« aus. »Das ›G36‹ ist das tödlichste Gewehr der Welt«, so der Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner.

»Seit den 80er Jahren arbeitet er mit beeindruckender Energie und Unermüdlichkeit für den Frieden, vor allem für Verbote von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten«, begründete der Aachener Friedenspreis die Wahl Grässlins. Die neue Kampagne zeigt, dass sich der 57-Jährige auch weiter mit Veröffentlichungen sowie Protest- und Hilfsaktionen für Frieden und Abrüstung einsetzen will. Neben Grässlin erhält die Tübinger Informationsstelle Militarisierung e.V. am 1. September den Aachener Friedenspreis. Die »antimilitaristische Denkfabrik« habe während ihres 15-jährigen Wirkens Hintergrundinformationen, Analysen und Einschätzungen geleistet, »die für die Friedensbewegung so wichtig sind«, erklärte Verein, der den Preis seit 1988 vergibt.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2011


Nein zu tödlicher Ware

Kampagne für wirksames Verbot von Waffenexporten: Menschenrechtsgruppen fordern Klarstellung im Grundgesetz

Von Claudia Wangerin **


Mit der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffelhandel« wollen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen eine Präzisierung des Grundgesetzes durchsetzen, um ein wirksames Verbot von Rüstungsexporten zu erreichen. »Deutschland ist Europameister bei den Rüstungsexporten«, betonte der soeben mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnete Rüstungsgegner Jürgen Grässlin zum Auftakt der Kampagne am Freitag in Berlin. Allein die Firma Heckler & Koch habe inzwischen rund 1,5 Millionen Tote durch die Entwicklung und den Export von Kleinwaffen zu verantworten, sagte der Lehrer, Buchautor und Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Deutschland habe Waffen an das autoritäre Regime von Hosni Mubarak in Ägypten exportiert, das Regime von Muammar Al-Ghaddafi in Libyen aufgerüstet und die Genehmigung für die Lizenzproduktion des Sturmgewehres G36 von Heckler & Koch an das Königreich Saudi-Arabien erteilt.

»Die Präambel und Artikel 26 Absatz 2 des Grundgesetzes stehen dieser Dimension von Rüstungsexporten klar entgegen«, sagte Rechtsanwalt Dr. Holger Rothbauer von der Initiative »Ohne Rüstung Leben«. Deshalb müsse das Grundgesetz im Sinne seiner Verfasser verändert werden. In Artikel 26 heißt es unter Absatz 1: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.« Nur in diesem Zusammenhang, so Rothbauer, sei Absatz 2 zu verstehen, in dem es heißt: »Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.« Den letzten Satz wollen die Trägerorganisationen der Kampagne zur Klarstellung ersetzen durch: »Das Nähere regelt das Kriegswaffenkontrollgesetz. Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert.« Rothbauer sieht dies als Intention der Mütter und Väter des Grundgesetzes in Absatz 1. Die Realität erfordere aber eine Präzisierung.

Bis zur Bundestagswahl 2013 sollen zu diesem Zweck 262 000 Unterschriften gesammelt werden. Zu dieser Zielmarke habe man sich von den Ziffern des Artikel 26, Absatz 2 inspirieren lassen, erklärte Christine Hoffmann von der Friedensorganisation Pax Christi am Freitag in Berlin. »26 200 wären doch etwas wenig.« Die Kirchen hätten seit langem auf den Schaden hingewiesen, den Waffenexporte bei der Bekämpfung von Armut und Hunger anrichteten, so Hoffmann.

»Kleinwaffen, einer der Exportschlager der deutschen Rüstungsindustrie, fordern weltweit den größten Teil der Todesopfer in Kriegen und Bürgerkriegen«, sagte Ursula Völker vom Vorstand der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Die Behandlung der Vielzahl von Verletzten überlaste die Gesundheitssysteme in Entwicklungs- oder Schwellenländern und Krisenregionen. »Ein Kind, das durch eine Landmine ein Bein verliert, bekommt durchschnittlich fünf neue Prothesen angepaßt, bis es ausgewachsen ist, und braucht Physiotherapie.« Waffengewalt oder die ständige Angst davor hätten zudem Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, sagte die Assistenzärztin der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Tübingen.

** Aus: junge Welt, 7. Mai 2011


Stoppt die Todeshändler

Von Olaf Standke ***

Deutsche Waffenschmieden haben Kriegsgerät an autoritäre Regime in Tunesien, Ägypten, Bahrein oder Saudi-Arabien geliefert und den libyschen Despoten Gaddafi hochgerüstet – trotz der angeblich doch so strengen Richtlinien der Bundesregierung, die Exporte in Spannungsgebiete und Länder verbietet, in denen Menschenrechte verletzt werden. Deutschland ist nach den USA und Russland weltweit der Todeshändler Nr. 3. Kleinwaffen etwa, einer der großen Exportschlager der hiesigen Rüstungsindustrie, kosten in Kriegen und Bürgerkriegen die meisten Menschenleben.

Genug ist genug, sagten sich deshalb zehn Nichtregierungsorganisationen und haben eine bundesweite Kampagne gestartet: »Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel«. Weil dieses Land nicht länger mit seinen Lieferungen zur Gewalteskalation beitragen und zugleich die Bekämpfung von Armut und Hunger unterminieren soll, streben sie mit einer Klarstellung des Grundgesetzes ein allgemeines Verbot deutscher Rüstungsexporte an und wollen auf diesem Weg erreichen, dass diese Forderung bis zur Bundestagswahl 2013 zumindest in den Wahlprogrammen der demokratischen Parteien verankert wird. Ein erster Schritt aber wäre sofort nötig und auch möglich: der Stopp aller Waffenlieferungen und Lizenzvergaben zur Rüstungsproduktion an diktatorische und scheindemokratische Regime, wie ihn die Kampagne jetzt verlangt hat.

*** Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2011


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