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Arrest für die Truppenmoral

Bundeswehr will Totalverweigerer Jonas Grote mit mehrfachem Freiheitsentzug beugen

Von Mark Wolter *

Wegen der Weigerung, weder Wehr- noch Zivildienst zu leisten, sitzt der 20-jährige Jonas Grote seit gestern das zweite Mal in Militärarrest – eine »Erziehungsmaßnahme«, die die Bundeswehr bei Totalverweigerern schon seit Jahren nicht mehr angewendet hat.

Die Freiheit währte nur kurz. Nachdem Jonas Grote vor drei Tagen aus dem Arrest entlassen worden war, sperrte ihn die Bundeswehr, weil er sich weigerte, seine Uniform in Empfang zu nehmen, prompt wieder ein. Es ist die zweite 21-tägige Haft, die der Student aus Minden wegen Ablehnung der Wehrpflicht absitzen muss.

»Die Arrestbedingungen werden verschärft«, sagt Michael Behrendt, Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, der vor Arrestantritt noch mit Jonas Grote gesprochen hat. Laut dem 20-Jährigen soll die Besuchszeit verkürzt und der Ausgang eingeschränkt werden. Eine Beschwerde Grotes gegen den Arrest wurde vom Truppendienstgericht abgelehnt. In der Begründung heiße es u. a., dass »die Moral der Truppe aufrecht erhalten werden muss« – eine Truppe, mit der Jonas Grote nichts zu tun haben will.

Der Bundeswehr ist schon lange bekannt, dass aus dem vom christlichen Glauben geprägten Informatikstudenten kein Vaterlandsverteidiger wird. Grote ist ein sogenannter Totalverweigerer. Neben dem Grundwehrdienst lehnt er aus Gewissensgründen auch den Zivildienst ab. Bei der Musterung im März vergangenen Jahres, zu der ihn die Polizei bringen musste, verweigerte Grote die ärztlichen Untersuchungen und machte seine Einstellung deutlich.

Grotes Ablehnung wertete die Bundeswehr lediglich als Antrag auf Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung, stufte ihn als eingeschränkt wehrdienstfähig ein und schickte ihm eine Einberufung zum Antritt des Grundwehrdienstes am 2. April dieses Jahres bei den Heeresfliegern in der Rother Otto-Lilienthal-Kaserne bei Nürnberg. Daraufhin tauchte Grote wochenlang unter, bis er sich am 15. Mai, dem internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung, an den Zaun der General-Kammhuber-Kaserne in Karlsruhe kettete. Dort wurde er von Feldjägern verhaftet und anschließend mit dem ersten 21-tägigen Arrest belegt.

Auf Jonas Grote könnte bei weiterer Verweigerung noch ein dritter Arrest warten. »Eine Maßnahme, mit der erzogen werden soll«, sagt Peter Tobiassen von der Zentralstelle Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen. »Doch jemanden zu beugen, widerspricht jedem Grundrechtsverständnis.« Zudem drohen Grote strafrechtliche Konsequenzen wegen Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung.

Warum die Bundeswehr so viel Interesse an einem Soldaten Jonas Grote hat, ist für Tobiassen ein Rätsel. »Seit etwa fünf Jahren ist kein Totalverweigerer mehr einberufen worden.« Schließlich mangelt es nicht an Auswahl. Laut Tobiassen standen den 65 000 Rekrutierten letztes Jahr etwa 430 000 bis 450 000 potenzielle Soldaten gegenüber. Von den 360 000 Gemusterten (der Rest wurde vergessen) wurden 40 Prozent aussortiert. Die Hälfte der übrig Gebliebenen verweigerte den Dienst an der Waffe. Für die Einberufung blieben so 120 000 bis 150 000.

Dass man »einen Einzelnen so verfolgt, wenn man Tausende ganz außer Acht lässt«, hält Tobiassen für einen Skandal. Auch Renate Schmidt (SPD), frühere Bundesfamilienministerin und ehemalige Präsidentin der Zentralstelle der Kriegsdienstverweigerung, hat schon bei Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) angefragt, warum man von der bewährten Praxis abrücke und einem jungen Mann so nachstelle.

»Die Bundeswehr missbraucht den rechtlichen Spielraum«, kritisiert Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion das Vorgehen als »inakzeptabel«. Die Wehrdisziplinarordnung müsse reformiert und mit den demokratischen Bürgerrechten in Einklang gebracht werden, fordert die Linke. Wie Berufs- und Zeitsoldaten müsse Totalverweigerern eine »gewissensschonende Handlungsalternative« geboten werden – im Fall Jonas Grote die sofortige Entlassung aus der Bundeswehr.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2007


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