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Ein Kampf gegen den Zwang zum Kämpfen

50. Jubiläum für die Zentralstelle KDV: Abschaffung der "Gewissensprüfung" war bisher größter Erfolg

Von Markus Drescher *

Heute (1. März) feiert die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (Zentralstelle KDV) ihr 50-jähriges Bestehen.

Jeder Kriegsdienstverweigerer, dem nach der ohnehin schon entwürdigenden Musterung die Praxis der »Gewissensprüfung« vor einem Ausschuss der Wehrbehörde erspart blieb, ist der Zentralstelle KDV zu Dank verpflichtet. Auch wenn die meisten Betroffenen gar nicht wissen dürften, dass es vor allem der unermüdliche Kampf der Zentralstelle war, der zur Abschaffung der »unerträglichen Verfahren« geführt hat, wie sie deren langjähriger Präsident Ulrich Finkh, bezeichnet.

Seit Wiedereinführung der Wehrpflicht begleitete die Zentralstelle KDV Kriegsdienstverweigerer bei ihrem schweren Gang vor den Prüfungsausschuss, um ihnen zu ihrem Grundrecht zu verhelfen. Mit der endgültigen Abschaffung der Prüfungsverfahren im Jahr 2003 konnte die Zentralstelle ihren bisher größten Erfolg feiern. Heute gibt es ein rein schriftliches Anerkennungsverfahren. Ulrich Finkh, der von 1971 bis 2003 der Zentralstelle vorstand, gibt aber zu bedenken, dass es auch mit dem Wegfall der »Gewissensprüfung« noch keine wirkliche Gewissensfreiheit gebe, da die Gewährung des Grundrechts auch weiterhin von einer behördlichen Überprüfung abhängt.

Gegründet wurde die Zentralstelle KDV am 2. März 1957 in Dortmund, noch bevor am 1. April 1957 die ersten Wehrpflichtigen in die Kasernen der Bundeswehr einrückten. Aus den elf Gründungsorganisationen sind mittlerweile 26 Mitgliedsverbände geworden, die mit einem Spektrum aus religiösen, pazifistischen, gewerkschaftlichen bis hin zu sozialistischen Organisationen eine breite gesellschaftliche Ablehnung des Dienstes an der Waffe repräsentieren.

Ablehnung heute alltäglich

In den 50er Jahren betrug der Verweigereranteil an den Gemusterten gerade einmal 4,3 Prozent. Heute ist es knapp die Hälfte. Nach jahrzehntelanger Diffamierung von Verweigerern ist heute eine Ablehnung des Kriegsdenstes alltäglich. Für den Geschäftsführer der Zentralstelle, Peter Tobiassen, ist der Wandel auch ein Verdienst seiner Organisation. »Die Arbeit der Zentralstelle KDV in den letzten 50 Jahren hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Verweigerung des Dienstes für den Krieg gesellschaftliche Normalität geworden ist.«

Kritik übt die Präsidentin der Zentralstelle, hannoverische Landesbischöfin Margot Käßmann, daran, dass mit der steigenden Zahl der Verweigerer eine zunehmende Ungerechtigkeit bei der Einberufung zum Wehr- und Zivildienst einhergeht. So würden jährlich rund 85 000 junge Männer zum Zivildienst, aber nur etwa 60 000 zum Wehrdienst einberufen. Diese Praxis sei nach dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes unzulässig.

Für Käßmann entstehe eine Gewissensentscheidung für oder wider den Dienst an der Waffe überhaupt erst durch die Wehrpflicht. Deshalb würde eine Abschaffung der Wehrpflicht und des Entscheidungszwangs die Gewissensfreiheit von Kriegsdienstverweigerern am besten garantieren. Aus diesem Grund will sich die Zentralstelle KDV auch weiterhin für ein Ende der Wehrpflicht einsetzen. Gleichzeitig würde der Zivildienst wegfallen, ohne den zur Zeit in allen Teilen des sozialen Bereichs eine zuverlässige Versorgung von Hilfsbedürftigen undenkbar ist. Anstatt als Ersatz für den Zivildienst Pflichtdienste einzuführen, plädiert Käßmann dafür, schon jetzt Freiwilligendienste wie das Freiwillige Soziale Jahr zu fördern und auszubauen.

10 000 Anfragen im Jahr

Rund 10 000 Anfragen pro Jahr erreichen nach Angaben von Peter Tobiassen heute die Zentralstelle KDV. »Ihre Unterstützung ist bei Kriegsdienstverweigerern also nach wie vor gefragt.« Ungerechtigkeiten gibt es noch genug, die heute und in Zukunft die Arbeit und das große Engagement der Zentralstelle unentbehrlich machen. Eine immer größere Wehrungerechtigkeit, drohender Arbeitsplatzverlust, Verzögerungen bei der Ausbildung oder Verlust des Studienplatzes aufgrund einer Einberufung nennt Tobiassen als die Herausforderungen der Gegenwart.

Drückeberger und Zivis

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wurde das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in das Grundgesetz aufgenommen. Grundrecht hin oder her – seit Gründung der Bundeswehr wurden Kriegsdienstverweigerer, die ihr gutes Recht wahrnahmen, diffamiert. Sie galten als »Drückeberger«, wurden »Ohne-Michel« genannt und an Stammtischen als »Vaterlandsverräter« gescholten. 1956 äußerte Generalmajor Paul Hermann über Kriegsdienstverweigerer, dass diese »entweder Kommunisten oder Feiglinge« seien, die man »in eine Uniform mit Zebrastreifen« stecken solle.

Während des »Kalten Kriegs« galt Kriegsdienstverweigerung vielen in der Bundesrepublik als aus dem Osten gesteuert und wurde mit dem guten Rat »Geht doch nach drüben« kommentiert.

Doch auch in der DDR wurden Kriegsdienstverweigerer diskriminiert. Weder gab es ein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung noch einen zivilen Ersatzdienst. Wer dort aus Gewissensgründen den Dienst an der Waffe verweigerte, erhielt auf Beschluss des Nationalen Verteidigungsrates ab 1964 die Möglichkeit, in den Baueinheiten der NVA seinen Wehrdienst abzuleisten. Die so genannten Bausoldaten mussten nicht selten mit Nachteilen für ihr späteres Berufsleben rechnen. So erhielten ehemalige Bausoldaten oftmals nicht den gewünschten Studienplatz. Nach der deutschen Vereinigung besserte sich mit der Zeit und vor allem mit der steigenden Anzahl von Verweigerern deren Image. Kriegsdienstverweigerer leisten seit Jahrzehnten als Zivildienstleistende sinnvolle und wichtige Arbeit im sozialen Bereich. Aus den ehemaligen »Drückebergern« wurden die freundlichen »Zivis«, deren Arbeit heute nicht mehr aus dem sozialen Bereich wegzudenken ist.

MD



Kriegsdienst? Nein danke!

Schriftliche Hinweise auf Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen sind bereits aus frühchristlicher Zeit überliefert. In der Traditio Apostolica, einer Gemeindeordnung aus der Zeit um 200 n.Chr., findet sich die Anweisung, Soldaten nur zu taufen, wenn sie bereit wären, das Töten von Menschen zu verweigern. Zu den Vorläufern der heutigen Kriegsdienstverweigerer zählen die Hutterer, Mennoniten und Quäker, die sich aus religiösen Gründen dem Kriegsdienst widersetzten. Auch die Ideen der pazifistischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts gelten als Grundlage des heute bestehenden Grundrechts, den Dienst an der Waffe zu verweigern.

Dieses wurde nach dem zweiten Weltkrieg in Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes festgeschrieben. Dort heißt es: »Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.« Damit war die Bundesrepublik das erste Land, das dieses Recht in Verfassungsrang erhob. Nach Wiedereinführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik im Jahr 1956 wurde dieses Grundrecht allerdings eingeschränkt, indem die Kriegsdienstverweigerung vom Erfolg eines behördlichen Antragsverfahrens abhängig gemacht wurde.

Jahrzehntelang mussten Verweigerer vor inquisitionsähnlichen Tribunalen ihr Gewissen prüfen lassen. Heute reicht die schriftliche Darlegung der Beweggründe aus. Seit 1961 müssen Kriegsdienstverweigerer einen Ersatzdienst ableisten. Dieser dauerte bis zum Jahr 2004 fast durchgängig ein bis sechs Monate länger als der Wehrdienst. Im Jahr 1958 lag die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gerade einmal bei 2447. Heute verweigern pro Jahr etwa 140 000 junge Männer den Dienst an der Waffe.

MD



* Aus: Neues Deutschland, 1. März 2007


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