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VS-Abteilungsleiter suspendiert

Nach dem Neonaziskandal gibt es erste Konsequenzen beim Verfassungsschutz

Von Velten Schäfer *

Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm bietet ein Bauernopfer an: Der Rechtsextremismus-Bearbeiter wird suspendiert.

Laut »Spiegel« wird der Skandal um das NSU-Trio beim Verfassungsschutz nicht ganz ohne Konsequenzen bleiben: Behördenchef Heinz Fromm habe den Abteilungsleiter Artur Hertwig seiner Zuständigkeit für Rechtsextremismus enthoben. Die 2006 fusionierten Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus will er wieder trennen. Transparente Informationen zu solchen Fragen verweigert der Dienst. Laut »Spiegel« soll auf dem Posten Dinchen Franziska Büddefeld folgen, die Erfahrung bei der Bekämpfung »islamistischer Terrorzellen« habe.

Laut Bundesanwaltschaft lässt sich immer besser nachweisen, dass der NSU aus Fremdenhass gehandelt habe; darauf wiesen frühere Entwürfe des Selbstbezichtigungsvideos und auch schriftliche Unterlagen hin. Auf dieser Basis könne die in Haft sitzende Beate Zschäpe wegen versuchten Mordes anklagen.

Zudem scheint es, als hätten sich die mutmaßlichen Mörder an den berüchtigten »14 Wörtern« des US-amerikanischen Rassisten David Lane orientiert. Bei den zynischen Einblendungen im Video seien stets 14 umrahmte Felder zu sehen. Demnach ist es möglich, dass der NSU ursprünglich 14 Menschen ermorden wollte. Lanes »14 Worte« bilden auf Englisch den Satz »Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern.« Die Zahl 14 ist, wie die 88, unter Rassisten als Code verbreitet.

In Dresden wurde eine Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission am Freitag vertagt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz halte wichtige Unterlagen zurück, klagte Linksfraktionschef André Hahn. Unterdessen hat sich die SPD doch noch zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag bereitgefunden.

In Magdeburg haben sich am Sonnabend (14. Jan.) tausende Menschen an einer Kundgebung gegen Rechts beteiligt. In der Nacht zum Sonntag wurde zum wiederholten Male ein Magdeburger LINKE-Büro mit Steinen angegriffen.

* Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012


Nicht recht, aber billig

Von Velten Schäfer **

Heinz Fromm kann froh darüber sein, dass die Republik gerade mit den Bekanntschaften des Bundespräsidenten beschäftigt ist. So rückt nämlich nicht in den Mittelpunkt, wie schlecht der im Jahre 2000 angetretene Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz seinen Dienst verrichtet und dass er selbst schleunigst zurücktreten müsste, statt einen Abteilungsleiter als Bauernopfer anzubieten.

Schließlich war es Fromm, der 2006 die schon in der Sache skandalöse behördentechnische Zusammenlegung von Rechts- und vermeintlichem Linksextremismus organisierte und damit strukturell verschuldete, was jetzt die Spatzen von den Dächern pfeifen: dass die Verfassungsschützer auf dem rechten Auge nichts gesehen haben. Es fällt nun mal auf den obersten »Schützer« der Verfassung und nicht auf subalterne Chargen zurück, dass sich das Jena-Zwickauer Trio während Fromms Amtszeit kreuz und quer durch die Republik morden konnte, ohne dass die Schlapphüte offenbar den geringsten Verdacht schöpften. Jetzt die Verantwortung auf andere zu schieben - auf die Landesämter, auf den Abteilungsleiter oder auf den Weihnachtsmann -, ist zwar nicht recht, aber dafür um so billiger.

Was dem Fass jetzt aber endgültig den Boden ausschlägt, ist die Arroganz, mit der die Fromm-Behörde nun auch noch die Aufklärung behindert: Der Landesebene, der die Berliner Schnüffler mit der einen Hand die Verantwortung für den Skandal rüberreichen wollen, wird mit der anderen Material vorenthalten, das für die Aufarbeitung des Schlamassels benötigt wird. Dazu erübrigt sich jeder weitere Kommentar.

** Aus: neues deutschland, 16. Januar 2012 (Kommentar)


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