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Fernlicht mit neuer Birne

Sachsens Verfassungsschutz versucht zarten Neuanfang / Meyer-Plath wird Präsident

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Sachsens Verfassungsschutz versucht nach dem NSU-Debakel einen Neuanfang. Der Übergangschef wird diesen als Präsident leiten. Seine Ideen prägen bereits den Jahresbericht 2012.

Wenn über Geheimdienste geredet wird, scheint es ein gewisses Bedürfnis nach kräftigen Metaphern zu geben. In Erinnerung ist etwa das Bild von »Schild und Schwert«. Markus Ulbig, Sachsens Innenminister, versucht jetzt, einen neuen sprachlichen Vergleich in Umlauf zu bringen: Der Verfassungsschutz des Freistaats solle als »Fernlicht der Sicherheitsbehörden« fungieren, sagte er gestern bei der Vorstellung des Jahresberichtes der Behörde für 2012 .

Dieses Fernlicht wird mit einer neuen Birne versehen: Zum 1. Juli steht der Behörde in Sachsen ein angeblich gründlicher Umbau ins Haus. »Neue Strukturen, neue Köpfe, neue Ordnung« werde es geben, sagte Ulbig. Ausgeknipst jedoch wird der Scheinwerfer nicht. Die Forderung war erhoben worden, nachdem klar wurde, dass der Geheimdienst die Gefahren durch das in Chemnitz und Zwickau über Jahre abgetauchten NSU-Trio nicht erkannt hatte. Ulbig räumte zwar ein, dass sich wegen des Debakels die Sicherheitsbehörden ernste Fragen gefallen lassen müssten, fügt aber hinzu: »Die Grundstruktur bleibt.«

Immerhin soll es in der Behörde mit ihren derzeit 195 Mitarbeitern Bewegung geben; von Rotation, Fortbildung und Personalentwicklung ist die Rede. Grundlage für die Veränderungen ist der Bericht einer von Ex-Bundesanwältin Monika Harms geleiteten Kommission, die 82 Änderungsvorschläge unterbreitet hatte. Von diesen würden die meisten übernommen, sagt Ulbig – einer aber definitiv nicht: Einen Landesbeauftragten für den Verfassungsschutz soll es nicht geben.

Leiten soll den Umbau der Behörde ein Mann, der bereits seit August 2012 versucht, etwas frischen Wind in das krisengeschüttelte Amt zu bringen: Gordian Meyer-Plath wird ab 1. August dessen neuer Präsident. Der 45-Jährige war im Sommer 2012 zunächst als kommissarischer Chef aus Brandenburg geholt worden, nachdem Vorgänger Reinhard Boos über einen Aktenfund im NSU-Umfeld gestolpert war und als einer von insgesamt fünf Amtschefs in Bund und Ländern abgedankt hatte. Meyer-Plath ist Historiker. Zum Geheimdienst kam er 1994. In Brandenburg war er ein V-Mann-Führer des Spitzels »Piatto«, eines Straftäters, der Hinweise auf den frisch abgetauchten NSU lieferte. Als Chef des sächsischen Landesamtes sucht Meyer-Plath neue Akzente zu setzen. So soll das Amt mehr Service für seine »Kunden« bieten. Im Jahresbericht 2012 gibt es erstmals Lagebilder zu den Aktivitäten der rechten Szene für die Landkreis und die drei Großstädte. Zudem gibt es ein Kapitel, das einen »Ausblick« zu möglichen künftigen Entwicklungen liefern will.

Oppositionspolitiker überzeugt indes weder der Bericht noch der angekündigte Umbau des Amtes. Der Reformbedarf sei riesig, die Zahl der konkreten Schritte liege bei Null, sagt Kerstin Köditz von der LINKEN. Für den Neuanfang, ergänzen die SPD-Innenexperten Sabine Friedel und Henning Homann, seien ein neues Verfassungsschutzgesetz, ein öffentlich tagender Kontrollausschuss und der Verzicht auf V-Leute nötig. Und die Grünen-Abgeordnete Eva Jähnigen sieht in dem Bericht ein Indiz für weiterhin fehlende »Analysefähigkeit« der Behörde.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. Juni 2013


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