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Journalistenbespitzelung hat Folgen

Staatsanwaltschaft Hannover soll gegen niedersächsischen Verfassungsschutz ermitteln

Von Reimar Paul *

Die Bespitzelung und Überwachung von Journalisten und die rechtswidrige Speicherung ihrer Daten durch den niedersächsischen Verfassungsschutz könnte strafrechtliche Ermittlungen gegen den Geheimdienst nach sich ziehen. Die Journalistin Andrea Röpke erstattete am Dienstag bei der Staatsanwaltschaft Hannover Anzeige wegen des Verdachts der Urkundenunterdrückung, wie der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam mitteilte. Röpke habe damit auf die Vernichtung der über sie angelegten Akte reagiert, ohne daß ihr vorher der Inhalt und damit das Ausmaß der Überwachung mitgeteilt worden sei.

In der vergangenen Woche hatte Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) bekanntgegeben, daß in mindestens sechs Fällen Personendaten von Journalisten vom Verfassungsschutz unzulässig gespeichert worden sind. Das sei wegen fehlenden Bezugs zum Extremismus oder auch wegen mangelnder Relevanz nicht gerechtfertigt gewesen. Eine Betroffene ist die freie Journalistin Röpke. Die 48jährige ist Rechtsextremismus-Expertin und gilt als eine der besten Kennerinnen der Neonaziszene in Deutschland. Seit Jahren berichtet sie unter anderem für das NDR-Magazin »Panorama« über das Thema. Sie erhielt dafür nicht nur zahlreiche Journalistenpreise, sondern auch immer wieder Drohungen aus der rechten Szene.

Über sie hatte der Verfassungsschutz sechs Jahre lang Informationen gesammelt. Nach Eingang eines Auskunftsbegehrens Anfang 2012 seien die Unterlagen aber gelöscht und die Journalistin sei über die Tatsache der Überwachung belogen worden, sagte Adam. Röpke erhielt demnach die Auskunft, sie sei nicht im Visier. Daß dem nicht so war, hatte ihr Verfassungsschutzpräsidentin Brandenburger persönlich vergangene Woche telefonisch mitgeteilt – kurz bevor sie gemeinsam mit Innenminister Pistorius erst den Verfassungsschutzausschuß des Landtages und dann die Öffentlichkeit informierte.

»Bei der angelegten Akte des Verfassungsschutzes handelte es sich um eine Urkunde und um Daten, über die der Verfassungsschutz nach Eingang des Auskunftsbegehrens nicht mehr verfügen durfte«, erklärte Adam weiter. »Durch die Vereitelung des Auskunftsanspruchs dürfte daher der Straftatbestand der Urkundenunterdrückung erfüllt worden sein.«

Die Strafanzeige sei indes lediglich eine der rechtlichen Maßnahmen, mit denen versucht werden solle, die Hintergründe und das Ausmaß der Überwachung und der Vernichtung der Akte zu erfassen und zu ahnden, sagte Adam weiter. Neben einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den für das Auskunftsersuchen zuständigen und »seinerzeit offensichtlich lügenden« Sachbearbeiter sei der Geheimdienst aufgefordert worden, alle vorliegenden Informationen über die Speicherung von Daten über die Journalistin offenzulegen. Außerdem solle die Akte, die der Verfassungsschutz sechs Jahre über Röpke geführt habe, rekonstruiert und ebenfalls offengelegt werden.

Auch die weiteren Verfassungsschutzämter in Deutschland werden nach Ansicht Adams mitteilen müssen, ob Röpke Adressatin geheimdienstlicher Tätigkeiten war. Er habe bei all diesen Behörden Auskunft beantragt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. September 2013


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