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Ein Ramelow-Urteil macht noch keinen Rechtsstaat

Linksabgeordnete und Linkspartei bleiben unter Verdacht

Von René Heilig *

Der Verfassungsschutz darf den Thüringer LINKEN-Abgeordneten Bodo Ramelow nicht beobachten, entschied das Bundesverfassungsgericht. Hat das Urteil Signalwirkung?

Er habe Tränen in den Augen gehabt, sagte Bodo Ramelow am Mittwoch. Verständlich. So lange sie nicht den Blick trüben und zu Unschärfe führen. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich die Beobachtung des einstigen Linksfraktionsvizes im Bundestag und heutigen Fraktionschefs in Thüringen als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.

Das ist nicht einmal die »halbe Miete«. Auch Ramelows Rechtsanwalt Peter Hauck-Scholz ist nur mäßig zufrieden. Er hatte gehofft, dass die Karlsruher Richter mit einem generellen Spruch die Beobachtung aller Abgeordneten beenden würden. Das taten sie bewusst nicht. Sie sagten: »Der in der Beobachtung eines Abgeordneten durch Behörden des Verfassungsschutzes und der damit verbundenen Sammlung und Speicherung von Daten liegende Eingriff kann im Einzelfall im Interesse des Schutzes der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein, er unterliegt jedoch strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen und bedarf einer Rechtsgrundlage, die den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes genügt.«

Die Richter definierten nicht, welche Gründe im Einzelfall vorliegen müssen, damit die Behörden einem gewählten Volksvertreter auf den Leib rücken dürfen. Es müssten, so heißt es, lediglich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft.

Diese vage Deutung nun durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstanden zu lassen, um auch anderen Abgeordnetenkollegen die Pein der Beobachtung durch den deutschen Inlandsgeheimdienst zu nehmen, ist Ramelow verwehrt, da seine Verfassungsbeschwerde ja positiven Bescheid erhalten hat.

Seit Gründung der PDS waren Partei und Funktionäre dem Verfassungsschutz verdächtig. Vor gut einem Jahr war bekannt geworden, dass noch immer 25 Bundestagsabgeordnete und vier Europaabgeordnete der Linkspartei im Visier sind. Vor allem der aus der PDS hervorgegangene sogenannte Reformerflügel ist betroffen: Fraktionschef Gregor Gysi, sein Vize Dietmar Bartsch, die Parlamentsgeschäftsführerin Dagmar Enkelmann, die heutige Parteichefin Katja Kipping, der Innenexperte Jan Korte werden als Akteninhalte gehandelt. In diese Reihe gehört auch Petra Pau, die sich nicht nur als ausgewiesene Antifaschistin und Obfrau des NSU-Untersuchungsausschusses einen guten Namen gemacht hat. Als Vizepräsidentin repräsentiert sie den gesamten Bundestag auch über deutsche Grenzen hinaus.

Pau klagt sich wie andere durch die Instanzen. Im Februar 2013 gab der Verfassungsschutz vor Gericht zu Protokoll, dass eine Beobachtung nicht mehr vonnöten sei – jedenfalls vorerst. Doch Petra Pau will mehr. Sie will wissen, was sie aus Sicht des Dienstes so gefährlich macht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz legte ihr nach langem Zaudern die Personakte vor. Drei Ordner, zwei Drittel der Einträge waren geschwärzt. Was gedenkt der Geheimdienst für sich zu behalten? Quellen? Spitzelberichte? Das kann eigentlich nicht sein, wenn man – wie behauptet – nur Material aus öffentlich zugänglichen Quellen sammelte.

Pau wollte auch Einsicht in die sogenannte Sachakte haben. Vor einer Woche kam die Ablehnung. Auf 40 Seiten wird begründet, warum man ihr die Einsicht in ihre ureigenen Angelegenheiten verwehrt. Es gebe allein beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz 400 Sachakten, in denen der Name Petra Pau auftaucht. Sie alle zu sichten, sei unverhältnismäßig, denn dann könnte ein Sachbearbeiter zwölf Wochen lang nichts anderes mehr tun.

Im Karlsruher Beschluss wird deutlich, welche Gliederungen der Partei noch immer unter antidemokratischem Verdacht stehen: die Kommunistische Plattform, das Marxistischen Forum und die Jugendorganisation Solid. Vollständig ist die Aufzählung sicher nicht. Zudem wird die Partei in verschiedenen Bundesländern auch verschieden bewertet.

Was geschieht, so warnt die Juristin und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Halina Wawzyniak, wenn ein Abgeordneter sich zu diesen »extremistischen« Gruppen hingezogen fühlt oder bei deren Veranstaltungen auftritt?!

Unterm Strich bleibt: Es ist offenbar notwendig, dass jeder Einzelfall in endlosen und teuren verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wird. Es sei denn, die neue Bundesregierung beendet die unsinnige Beobachtung der Linkspartei generell.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 11. Oktober 2013


Karlsruhe verbietet Überwachung von Ramelow

Verfassungsschutz muss Beobachtung des Thüringer LINKEN-Politikers einstellen

Von Fabian Lambeck **


Das Bundesverfassungsgericht entschied am Mittwoch, dass der Thüringer Fraktionschef der LINKEN, Bodo Ramelow, nicht mehr vom Geheimdienst ausspioniert werden darf. Die Schnüffelei gegen die LINKE bleibt unter Auflagen aber erlaubt.

»Ich gebe zu, ich habe heute geweint«, sagte Bodo Ramelow am Mittwoch. Grund für die Freudentränen des Fraktionschefs der Thüringer LINKEN war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ihn »völlig unvorbereitet« getroffen habe: Karlsruhe hatte die jahrelange Überwachung Ramelows für verfassungswidrig erklärt. Demnach stelle die Beobachtung »einen Eingriff in das freie Mandat dar« und unterliege »strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit«. Zwar verbietet das Gericht die Schnüffelei nicht grundsätzlich, legt die Hürden aber höher. So sei die Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz laut Grundgesetz nur möglich, »wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft«, heißt es im Beschluss.

Damit kassiert Karlsruhe ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das im Juli 2010 entschieden hatte, die Beobachtung des ehemaligen Fusionsbeauftragten der PDS sei recht- und verhältnismäßig. Damit stellten sich die Leipziger Richter gegen zwei vorinstanzliche Urteile. Sowohl das Oberverwaltungsgericht Münster als auch das Verwaltungsgericht Köln hatten entschieden, dass die Observierung des damaligen Bundestagsfraktionsvizes rechtswidrig war. Der Fall Ramelow zeigt auch, wie hartnäckig der Geheimdienst sein kann. Die erste Akte über ihn wurde bereits 1986 angelegt. Da lebte er noch in Hessen und arbeitete als Gewerkschaftssekretär.

Das Urteil aus Karlsruhe dürfte Signalwirkung haben. Ramelow ist bei weitem nicht der einzige LINKE, den der Verfassungsschutz im Auge hat. So beschwerte sich der damalige Linksparteichef Klaus Ernst im Januar 2012, dass der Geheimdienst mehr als die Hälfte der Bundestagsfraktion überwache. »Es sind mindestens 42 Bundestagsabgeordnete unserer Partei im Visier«, so Ernst. Dazu zählte auch die Partei- und Fraktionsführung um Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und selbst Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), als oberster Dienstherr des Geheimdienstes, verteidigte die Praxis gegenüber dem »Focus«: Teile der LINKEN seien in Gruppierungen, die eindeutig eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung anstrebten. Dies seien gute Gründe, »die Entwicklung innerhalb der Partei zu beobachten.« Um die Gemüter zu beruhigen, hatte Friedrich im November 2012 verfügt, dass nur noch Mitglieder angeblich extremistischer Vereinigungen wie der »Kommunistischen Plattform« beobachtet werden dürften.

Allerdings legen die Schlapphüte den Extremismusbegriff sehr weit aus, wie ein Anruf des »nd« beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zeigt. »Beobachtet werden nur die offen extremistischen Strömungen und Zusammenschlüsse«, betont ein Sprecher der Behörde gegenüber »nd«. Klingt beruhigend. Allerdings gilt im Südwesten so ziemlich jede Strömung als verdächtig. Neben der Kommunistischen Plattform werden auch die Antikapitalistische Linke, die gewerkschaftsnahe Sozialistische Linke, Marx 21, der Geraer Dialog, die Linksjugend Solid und der Studentenverband SDS als »offen extremistisch« eingestuft. Sollte auch das Bundesamt so großzügig verfahren, dürften beinahe alle Abgeordneten aus dem Westen unter Beobachtung stehen.

Nun steht Friedrich neuer Ärger ins Haus. Rund 50 Abgeordnete, die zwischen 2005 und 2009 im Bundestag saßen, hatten gegen ihre Beobachtung geklagt und diese Klage für die Dauer von Ramelows Verfahrens ruhen lassen. Wenn der Minister seine Haltung nicht ändere, werde man die Klagen wieder aufnehmen, hieß es am Mittwoch. Zwar betont der Geheimdienst immer wieder, man nutze nur »öffentlich zugängliche Informationen« zur Beobachtung. Jedoch gibt es genug Indizien dafür, dass auch nachrichtendienstliche Mittel zum Einsatz kommen. Nicht nur, dass Teile der vom Amt über Ramelow angelegten Akten geschwärzt wurden. Offenbar setzte man auch einen Spitzel auf den Linkspolitiker an. So behauptet Ramelow, dass sich ihm ein seit längerem bekannter Mann im Jahre 2006 als V-Mann offenbart habe.

Kein Geheimnis um die Schnüffelpraxis seiner Agenten machte der ehemalige Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel. Gegenüber Radio Bremen bestätigte er 2012, dass Abgeordnete der LINKEN »mit geheimdienstlichen Mitteln« überwacht worden seien. Zu diesen geheimdienstlichen bzw. nachrichtendienstlichen Mitteln zählt der Einsatz von V-Leuten ebenso wie das Abhören von Telefonen oder das Öffnen von persönlicher Post.

Auch das Landesamt in Baden-Württemberg zeigte sich nicht zimperlich. Dort wurde die damalige Bundestagskandidatin der LINKEN, Silvia Ofori, durch eine V-Frau namens »Krokus« beobachtet. Pikant: Die Schnüfflerin hatte zuvor angeboten, sich für den Verfassungsschutz in der rechten Szene umzuschauen. Doch wie ein Geheimdienstbeamter im NSU-Untersuchungsausschuss aussagte, habe man 2007 die Agentin »umgepolt« und auf die Linkspartei angesetzt. Ob solche Methoden noch zur Anwendung kommen, wollte der Sprecher des Landesamtes Baden-Württemberg gegenüber »nd« nicht offenbaren.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Oktober 2013


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