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Verfassungsschutz nicht dicht

Staatsanwälte mussten Neonazi-Ermittlungen vor Geheimdienst verheimlichen

Von René Heilig *

Polizei und Staatsanwaltschaften haben den Verfassungsschutz als Sicherheitsrisiko bei der Verfolgung von Neonazi-Strukturen eingeschätzt. Das geht aus Dokumenten der Sicherheitsbehörden hervor.

Der Innenausschuss des sächsischen Landtages lädt für heute zur Anhörung über die »Unterbindung des Wirkens von Strukturen von Blood & Honour und der Hammerskin Nation in Sachsen sowie deren Unterstützernetzwerke« ein. Bei den Neonazi-Netzwerken handelte und handelt es sich um zwei der bedeutendsten in Deutschland.

Den Antrag zur Anhörung hatte die Linksfraktion im Februar, also lange vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) gestellt. Fachleuten war bereits damals klar: Blood & Honour (B&H) ist Teil des NSU-Skandals.

Schon im September 1998 rechnete das Thüringer Landeskriminalamt Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die später als NSU-Zelle vermutlich zehn Morde sowie Anschläge und Raubüberfälle verübten, »zum harten Kern der Blood & Honour-Bewegung«.

Dass das Problem mit den beiden verflochtenen, verfassungsfeindlichen Formationen überhaupt existiert, ist zu einem Gutteil jener staatlichen Behörde zuzuschreiben, die die Verfassung auch mit dem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel schützen soll.

Diese Erkenntnis hatten Polizei und Staatsanwaltschaft offensichtlich bereits vor Jahren, belegt das antifaschistische Leipziger Internetjournal »Gamma«. Als die Staatsanwaltschaft Halle Anfang der 2000er Jahre gegen eine B&H-Nachfolgetruppe und damit gegen 38 Verdächtige - darunter waren V-Leute sowie mindestens ein Unterstützer des NSU-Terrortrios - ermittelte, informierte sie den Verfassungsschutz bewusst nicht. Man befürchtete, dass der Dienst wieder einmal nicht »dicht hält«.

Der Befürchtung lagen negative Erfahrungen bei der Durchsetzung des Blut & Ehre-Verbots am 14. September 2000 zugrunde. Es gibt starke Indizien dafür, dass V-Leute des Verfassungsschutzes im Vorfeld informiert waren und andere Führungskader gewarnt hatten. Zumindest in Sachsen ging der erhoffte Schlag ins Leere.

Indizien für einen zu regen Austausch zwischen V-Leuten und V-Leute-Führern finden sich - obwohl von Amts wegen dementiert - auch in Brandenburg, Bayern und Thüringen.

Dafür war die Kommunikation zwischen Polizei und Verfassungsschutz - bis hinauf zum Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) - seit dem B & H-Verbot nachhaltig gestört. Bis mindestens 2006 hat sich das BfV offenbar trotz mehrfacher Anfragen geweigert, dem BKA die Namen früherer B&H-Mitglieder zu übermitteln. So konnte schlecht gegen Nachfolgeorganisationen wie die »Hammerskins« ermittelt werden. Ein geplantes Verbot, der Organisation, die sich bundesweit in zahlreiche Chapter gliedert, fiel aus.

Klein geredet wurde die Gruppierung auch vom sächsischen Landesamt. Das BKA dagegen ging davon aus, dass sie mehr als 30 Mitglieder hatte und gefährlich ist. Zitat: »Ziel ist die Bildung einer ›bewaffneten Eliteeinheit‹, die Schaffung einer ›reinen Rasse‹ und ein Angriff auf die Grundsätze des Staates und seiner Einrichtungen.« Trotz dieser polizeilichen Beurteilung taucht die Truppe nicht im geheimen Abschlussbericht »Rechte Kameradschaften« vom Juli 2003 auf, der vom BfV und dem BKA erarbeitet wurde und »nd« vorliegt.

Wollte man so den V-Mann Mirko H. schützen? Der Verdacht liegt nahe, dass der Geheimdienst aus diesem Grund Erkenntnisse »radierte«. Denn auch der »Nationale Widerstand Halle/Saale«, der auf Thomas R. hörte, ist zwar vom BKA als bedeutsam festgestellt, doch in dem Bericht nicht aufgeführt.

Thomas R., so erwies sich vor wenigen Tagen, war gleichfalls »Vertrauensperson« des Verfassungsschutzes.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. Oktober 2012


Ergebnis war gleich null

Ex-Verfassungsschützer vor NSU-Untersuchungsausschuss: Wir wussten nichts

Von Rudolf Stumberger **


Gerhard Forster, Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes von 1994 bis 2001, sagte als erster Zeuge vor dem Ausschuss des bayerischen Landtages aus, der die Vorgänge um die fünf Mordtaten der NSU in Bayern untersucht. Er sagte nichts, was der Aufklärung diente.

Bayern ist ein traditionsreiches Land. Einer der Traditionsstränge geht zurück ins Jahr 1928, als sich ein Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages mit dem skandalös milden Urteil gegen Adolf Hitler beschäftigte. Der Hitler-Putsch 1923 in München hatte vier Polizisten das Leben gekostet. 84 Jahre später geht es beim bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss erneut um Mord und Naziterror und ganz traditionell geben sich die bayerischen Behörden auf dem rechten Auge eher blind.

Meint so sinngemäß jedenfalls der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD), der auch schon mal daran erinnerte, dass der Verfassungsschutz mit alten Nazis aus SS und Gestapo aufgebaut wurde. So was lässt den Kopf von Gerhard Forster, Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes von 1994 bis 2001, noch röter werden. Am Dienstag stand Forster als erster Zeuge vor dem Ausschuss des bayerischen Landtages, der die Vorgänge um die fünf Mordtaten der NSU in Bayern untersucht. Um es kurz zu machen: Der bayerische Verfassungsschutz wusste von gar nichts.

Mehrere Stunden dauerte die Vernehmung des Ex-Präsidenten im Sitzungssaal 2 des Landtages, flankiert von Beobachtern des Landesinnenministeriums, auf dass der Ex-Präsident nichts Vertraulich-Geheimes von sich gebe. Ein interessantes Detail kam dabei zu Tage, der die »Tradition« des Verfassungsschutzes ausleuchtet: Er war bis 1989 vor allem gegen Links gerichtet, 70 Prozent der Mitarbeiter beschäftigten sich mit dem linken Spektrum, darunter zum Beispiel die VVN. Erst nach dem Mauerfall verschoben sich die Gewichte hin zur Beobachtung der rechten Szene, 2001 habe das Verhältnis der Beobachtung von »Links« und »Rechts« 40 zu 60 gestanden. Die Zusammenarbeit mit der Polizei, so Forster, sei »vorbildlich«, viele Mitarbeiter des Verfassungsschutzes seien ja ehemalige Polizisten.

Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes sei die Beobachtung der Szene, dies geschehe vor allem über »Quellen«, also verdeckte Ermittler und angeworbene V-Männer. Deren dubiose Rolle wird - wie so oft - am Beispiel des neonazistischen »Fränkischen Heimatschutzes« deutlich. Der wurde in den 1990er Jahren als Ableger des »Thüringischen Heimatschutzes« von Tino Brandt aufgebaut, ein Spitzel des Verfassungsschutzes von Thüringen. Als Brandt eine Reihe von Neonazis nach Franken zog, wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass die Bayern die Szene in der »Operation Rennsteig« unterwanderten. »Das haben wir abgelehnt«, sagte Forster. Die Bayern wollte die Szene nicht unterwandern, sondern weghaben: »Brandt war ein Thüringer Problem.« Auf Drängen der Bayern zogen die Thüringer schließlich den Neonazi zurück, 1999 sei der »Fränkische Heimatschutz« nur mehr als Name für einen »Skinhead-Stammtisch« geblieben.

Zum NSU sagte Forster, man habe nach dessen Untertauchen den V-Leuten in der rechten Szene die Fahndungsfotos vorgelegt. Dabei habe es einen Hinweis auf einen Neonazi in Rheinland-Pfalz gekommen, der möglicherweise Unterschlupf bot. Doch Untertauchen sei in der Szene nicht ungewöhnlich.

Nach den ersten drei Morden in Bayern habe man im rechtsextremen Milieu die »Quellen« befragt, in Hinsicht auf Zustimmung und fremdenfeindliche Motive. »Das Ergebnis war gleich null«, so der Ex-Präsident. Und nein, der Verfassungsschutz habe in dieser Hinsicht keine Fehler gemacht, man habe ja nur die Quellen abfragen können. »Was hätten wir denn sonst tun sollen?« Bei der NSU habe es sich um eine kleine konspirative Zelle gehandelt und »wir hatten niemanden dran«.

Für Susanna Tausendfreund, die für die Grünen im Ausschuss sitzt, waren die Verfassungsschützer in Bayern in Sachen NSU »zu wenig sensibilisiert« und hätten mit zu wenig Nachdruck nachgeforscht. Man habe bei den Aussagen des Ex-Präsidenten den Eindruck gehabt, die Behörde hätte geglaubt »ihre« Rechtsextremisten in Bayern im Griff zu haben.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. Oktober 2012


»Kein eklatanter Fehler«

NSU: Bayerischer Verfassungsschützer bricht Lanze für seine Mitarbeiter. Schelte für Thüringer Kollegen

Von Claudia Wangerin, München ***


Bei Morden wie dem an Enver Simsek, sagt Gerhard Forster, »taucht bei uns eigentlich immer die Frage auf, ob das unsere Klientel sein könnte«. Forster leitete von 1994 bis 2001 das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Am Dienstag wurde er als erster Zeuge im Untersuchungsausschuß des Landtags zur Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) vernommen. Nach dem Mord an dem Blumenhändler im September 2000 in Nürnberg hätten die V-Mann-Führer ihre Quellen in der rechten Szene befragt, ob sie etwas darüber gehört hätten, versichert Forster. Auch nachdem die drei Jenaer Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe 1998 untergetaucht sind, seien die bayerischen V-Leute befragt worden. Immer wieder sagt er: »Wir haben keine Informationen gehabt, keinen Hinweis bekommen.« Er kann sich allerdings nicht erinnern, ob die V-Mann-Führer auch nach dem zweiten oder dritten Mord dieser Serie nachfragten, der bis 2006 insgesamt neun Männer mit Migrationshintergrund zum Opfer fielen – fünf von ihnen in Bayern. Forster ist auch nach mehrmaliger Nachfrage überzeugt, seine Behörde habe »keinen eklatanten Fehler gemacht«. Denn: »Ein Fehler kann doch nur sein, wenn wir eine andere Möglichkeit gehabt hätten und sie nicht genutzt haben.« Über die Arbeitsweise seiner Behörde sagt er: »Ich glaube, daß dieses System insgesamt sehr gut funktioniert hat«.

Wie viele Mitarbeiter seiner Behörde damals in Beschaffung und Auswertung im Bereich Rechtsextremismus tätig waren, will Forster nicht sagen. Er betont aber, die Behörde habe sich nach Ende des kalten Krieges verstärkt um diesen Bereich gekümmert. Bis 1989 sei der bayerische Verfassungsschutz im Bereich des »politischen Extremismus« zu 70 Prozent mit linken Gruppierungen und nur zu 30 Prozent mit den Rechten beschäftigt gewesen. Bis zum Jahr 2001 habe sich das Verhältnis gewandelt: Auf den Bereich Linksextremismus seien nur noch 40 Prozent der Arbeit entfallen, dem standen 60 Prozent im Ressort Rechtsextremismus gegenüber. »Insgesamt glaube ich, daß wir diese Szene ganz gut eingeschätzt haben«. Es sei nicht der Anspruch des Verfassungsschutzes, jeden einzelnen Neonazi zu kennen. Die Behörde sei »kein dichtes Überwachungsnetz«.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag, Franz Schindler (SPD), wirkte während der Vernehmung zunehmend genervt von der »heilen Welt des Verfassungsschutzes«, die Forster da schilderte. Dieser kritisierte wiederum Schindlers Interview-Äußerung, es spreche »viel dafür, daß der bayerische Verfassungsschutz rechtsextreme Bestrebungen und deren durchaus aktive Verbindungen in andere Bundesländer einfach nicht sehr ernst genommen hat.« Statt dessen beobachte er bis heute lieber zivilgesellschaftliche, linke Initiativen. Diese Aussage, so Forster, tue seinen Mitarbeitern weh. Schindler betonte am Dienstag hingegen, er sehe keinen Anlaß, diese Einschätzung auch nur um einen Millimeter zu relativieren.

Forster war bemüht, sich so weit wie möglich von der Arbeitsweise seines Thüringer Amtskollegen Helmut Roewer zu distanzieren. Der berüchtigte V-Mann Tino Brandt sei »ein Thüringer Problem« gewesen, sagte Forster. Als der Neonazi Mitte der 1990er Jahre nach Westdeutschland kam und eine Stelle bei einem rechtsextremen Verlag in Coburg antrat, habe er »einen ganzen Schwanz von Thüringer Rechtsxtremen mit nach Bayern gezogen«. So sei der fränkische Ableger des »Thüringer Heimatschutzes« entstanden, der als Brutstätte des NSU gilt. »Wir wollten sie weg haben«, betonte Forster. Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe aber die bayerischen Kollegen davon überzeugen wollen, eigene Quellen im »Fränkischen Heimatschutz« zu führen. »Wir haben das abgelehnt«, betonte Forster.

Er habe damals schon gewußt, daß Brandt ein V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutzes war – er könne aber nicht mehr sagen, woher. »Normal sagen das die Ämter nicht«. Er habe von Roewer verlangt, daß Brandt seine Aktivitäten in Bayern einstelle. Im übrigen hätte das bayerische Landesamt Brandt nie als Quelle geworben, betonte Forster, denn ein V-Mann solle »nicht steuernd tätig werden«. Brandt sei aber »die steuernde Figur« in der Thüringer Szene gewesen. Ähnlich wurde er in Bayern eingeschätzt: »Wir waren der Meinung, wenn Brandt da rausgezogen wird, dann bricht das Ganze zusammen – was ja dann auch tatsächlich so war.« Ab 1999 habe sich die Coburger Szene wieder in kleinere Kameradschaften »zerfleddert«.

Einen gefestigten ideologischen Überbau spricht Forster der »Skinheadszene« ab. Auf Codes wie »88« für »Heil Hitler« und »18« für »Adolf Hitler« angesprochen, sagt er: »Die wissen gar nicht, was sie damit meinen«. Dafür fehle vielen ganz einfach der Intellekt. Gefragt, ob er die Neonazis angesichts der Mordserie womöglich unterschätzt habe, erwidert Forster, einige hätten das vielleicht »organisatorisch gut hingekriegt«. Fremdenfeindlichkeit alleine sei aber noch keine Ideologie.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Oktober 2012


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