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"Tommi", der Plauderer

Freund von NSU-Frau Zschäpe war Vertrauensperson der Berliner Polizei

Von René Heilig *

Der Mann, der seit dem Freitag als Vertrauensperson Thomas S. durch Medien gereicht wird, ist keine »Neuentdeckung« im Dickicht des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Doch manchmal macht eine kleine Information zum richtigen Moment die Staatsaffäre aus.

Thomas S. »hatte mal was« mit Beate Zschäpe. Er war »liiert«, liest man in einem geheimen Verfassungsschutzpapier vom September 1998. Egal welchen Begriff man auch wählen mag, »Tommi« ist interessant. Schließlich ist seine »Ex« die einzige Überlebende der sogenannten Zwickauer Zelle. Der werden zehn zumeist rassistisch motivierte Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle angelastet.

S. machte seit den 90er Jahren in der Chemnitzer Skinheadszene mit, wurde 1991 das erste Mal straffällig und 1993 wegen Beihilfe zur versuchten schweren Brandstiftung in Tateinheit mit Waffenbesitz verurteilt. Und so machte er munter weiter. Bald darauf bekam er zwei Jahre und sechs Monate »Staatspension« – und im Knast Besuch von den Kameraden, aus denen später der NSU entstand.

Der »Macher« war spätestens ab 1997 in der militanten Vereinigung »Blood & Honour, Sektion Sachsen«. Er stieg auf zum Vizechef. 1997 besorgte »Tommi« Sprengstoff, leitete das Paket nach Thüringen weiter. Wenig später flog in einer Garage in Jena die Bombenwerkstatt von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auf. Das Trio ging in den Untergrund.

S. blieb hilfreich, er brachte das Trio zunächst in der Wohnung des B&H-Sympathisanten Thomas R. unter, danach bei Max-Florian B. Dass Thomas S. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt wird, ist unwahrscheinlich. Nicht nur, weil die Vorwürfe verjährt wären.

Eine weitere Etappe in seiner Biografie könnte bei der Straffreiheit hilfreich sein. Im November 2000 war S. von Berliner LKA-Leuten als »VP« verpflichtet worden. Vertrauensperson blieb er bis zum Januar 2011.

Wie wurde er geworben? Vermutlich kam der Tipp von sächsischen LKA-Beamten. Im November 2000 hat man S. wegen der Produktion des »Landser«-Albums »Ran an den Feind« festgenommen, durchsuchte seine Wohnung, fand allerlei Verbotenes. Darunter war ein Adress- und Notizbuch mit Anschriften von NSU-Unterstützern: Max-Florian B., Mandy St., André E. ... Sie alle sorgten sich jahrelang um das »Trio«, das da wohl schon nach Zwickau gezogen ist. Das Büchlein scheint auf dem Weg zum LKA in Erfurt verschwunden zu sein.

Da das sächsische LKA keine VP führen darf, hat man S. vermutlich an die Berliner durchgereicht. Zugleich gibt es aber Indizien dafür, dass S. als V-Mann für den sächsischen Verfassungsschutz gearbeitet hat. Er soll »Blood & Honour«- und Nachfolgestrukturen ausgespäht haben. Unklar ist noch, ob auch das Bundesamt an S. »dran« war oder von den Erkenntnissen der Dresdner Agentenkollegen profitierte.

Was hat man S. für seine Dienste versprochen? Dass man ihm seine »Kameraden« vom Leib hält? Immerhin hatte S. schon mal schmerzhaft zu spüren bekommen, dass man nicht ungestraft über Interna aus der Szene plaudern darf. »Tommi« hatte mit seinen umfangreichen Aussagen zur »Landser«-Produktion Jan W. belastet. Die Aussagen wurden auf wundersame Weise in der Naziszene bekannt. Mehr noch: In der Zwickauer Frühlingsstraße, der letzten Wohnung der Mörderzelle, die Zschäpe in Brand gesteckt haben soll, wird im November 2011 sogar das Protokoll von S.' Vernehmung gefunden.

Juristisch ist S. aus der Anklage locker rausgekommen. 2005 wurde er zu zehn Monaten Haft – ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung – verurteilt.

Wie hoch ist die Bedeutung des Polizei-Spitzels Thomas S. einzuschätzen? Das ist ohne die Kenntnis der Berliner Akten schwer einzuschätzen. Immerhin aber kam von S. der Hinweis, dass man bei der Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht am Chemnitzer Jan W. vorbeikommt. Der war nicht nur »Landser«-Produzent, sondern bereits durch den V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes »Piato« als möglicher Waffenlieferant des NSU-Trios benannt worden.

Das Brandenburger Innenministerium leugnete gestern, je einen Informanten mit Kontakten zum NSU »beschäftigt« zu haben. Wirklich nicht? Statt zu leugnen könnte man ja mal die oberste Verfassungsschützerin fragen. Die hatte elf Tage nach dem Auffliegen der NSU-Zelle ein VS-Protokoll vom 17.9.1998 auf dem Tisch. Festgehalten ist eine Besprechung im Potsdamer Innenministerium, anwesend waren sieben Verfassungsschützer aus Potsdam, Erfurt und Sachsen.

Die Rede ist dabei von einem »weiteren Überfall«, den das Trio plane, bevor es sich nach Südafrika absetzen wolle. Die Sache hat einen üblen Beigeschmack, denn das Potsdamer Ministerium war »grundsätzlich nicht bereit, die Quellenmeldung als solche für die Polizei ›freizugeben‹«.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. September 2012


Näher dran geht nicht

Neonaziskandal längst zur Staatsaffäre geworden: Mutmaßliche Terrorhelfer waren V-Männer des Berliner Landeskriminalamtes.

Von Sebastian Carlens **


Wie nah war der Staat an den einer Mordserie verdächtigten Terroristen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU)? Näher geht es kaum, muß die Antwort mittlerweile lauten: Engste Unterstützer des NSU-Trios könnten im Sold staatlicher Stellen gestanden haben, erfuhr am Donnerstag abend der Bundestagsausschuß zum Behörden»versagen« bei der Aufklärung einer Mordserie an Migranten. Einem Bericht von Spiegel online vom Donnerstag zufolge soll der Chemnitzer Neonazi Thomas Starke, gegen den der Generalbundesanwalt als Unterstützer des NSU ermittelt, seit dem Jahr 2000 als »Vertrauensperson« für das Berliner Landes¬kriminalamt (LKA) gearbeitet haben. Im Januar 2011, ein dreiviertel Jahr vor Auffliegen der Terrorzelle, sei die Quelle abgeschaltet worden, so die Webseite. Erst am 20. März 2012 informierte die Berliner Behörde den Generalbundesanwalt über den Kontakt. Der Ausschuß-Obmann der Grünen, Wolfgang Wieland, kritisierte am Freitag im RBB-Inforadio, daß diese »relevanten Informationen« dem Gremium erst am Donnerstag durch ein »hereingereichtes dreiseitiges Papier« zur Verfügung gestellt worden seien.

Thomas Starke gilt als Schlüsselfigur beim Abtauchen des NSU in den Untergrund. Bereits 1998 soll er dem späteren Terroristen Uwe Mundlos ein Kilogramm des Sprengstoffes TNT verschafft haben. Der NSU entzog sich nach dem Fund des Sprengstoffes in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage 1998 in Jena der Festnahme und tauchte ab – zunächst nach Chemnitz. Dort habe ihnen Starke, der rund um das Jahr 1997 mit Zschäpe liiert gewesen sein soll, die erste konspirative Bleibe vermittelt, berichten Verfassungsschutzpapiere. In einem als »VS – nur für den Dienstgebrauch« klassifizierten Dokument des sächsischen Landesamtes vom 18.11.2011, das jW vorliegt, wird Starke als »hervorzuhebende Persönlichkeit« beschrieben: »Seine Kontakte zu den Flüchtigen stellen Anhaltspunkte dar, daß Starke der Gruppierung zugehörig war«, heißt es dort. Zwei Jahre später soll er laut Spiegel online vom LKA als »V-Mann« geworben worden sein. Starke machte schon 2001 erste Angaben zum Verbleib der NSU-Terroristen. 2002 soll er schließlich den Hinweis gegeben haben, bei Jan Werner, ebenfalls einem hochrangigen Neonazi aus dem »Blood&Honour«-Umfeld, nachzuforschen. Werner war bereits von einem weiteren V-Mann als möglicher Waffenlieferant des NSU benannt worden.

Jan Werner könnte gewußt haben, wo sich die NSU-Mitglieder verbergen. Doch Nachforschungen waren vielleicht gar nicht nötig, denn auch Werner selbst, im Papier des sächsischen Landesamtes als »Führungspersönlichkeit« beschrieben, soll im Sold der Berliner Behörde gestanden haben: Laut einem Bericht der Berliner Zeitung (Onlineausgabe) vom Freitag arbeitete Werner zwischen 2001 und 2005 mit dem LKA zusammen. Sie zitiert ein Fax des LKA an das Bundeskriminalamt vom 22. August 2001 – darin seien die Wiesbadener Kriminalisten von ihren Berliner Kollegen gebeten worden, sie vor »Maßnahmen« gegen Werner zu informieren. Solche Absprachen seien üblich bei Anwerbung von Informanten, so die Zeitung. In einem Geheimdokument des Thüringer Verfassungsschutzes vom 30.11.2011, das jW vorliegt, wird Werner als Kontaktmann zum NSU beschrieben. Er »soll damals den Auftrag gehabt haben, ›die drei Skinheads mit Waffen zu versorgen‹«.

Eigentlich sollte sich der Ausschuß am Donnerstag mit einer der rätselhaftesten Taten, die dem NSU zugeschrieben werden, befassen. Am 22. April 2007 starb in Heilbronn am Rande der städtischen Festwiese die Streifenpolizistin Michèle Kiesewetter durch Schüsse in den Kopf, ihr Kollege wurde schwer verletzt. Am 7. November 2011, nach dem mutmaßlichen Selbstmord zweier NSU-Mitglieder, wurden die Dienstwaffen der beiden im Wohnmobil der Terroristen in Eisenach gefunden. Doch noch immer steht die Frage nach dem Motiv der Tat, die von den neun Morden an Migranten zwischen 2000 und 2006 abweicht, ungelöst im Raum. Der Patenonkel der ermordeten Beamtin, selbst Polizist und vor 2007 in der Abteilung Staatsschutz beschäftigt, ist früh von einem Zusammenhang zwischen der Tötung Kiesewetters und der Mordserie an Migranten ausgegangen. Er soll der frühere Partner einer Thüringer Beamtin sein, die später wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen an Neonazis suspendiert wurde, berichtete Axel Mögelin, Leiter der damaligen Sonderkommission, am Donnerstag den Ausschußmitgliedern. Mit eben jener ehemaligen Polizistin, die unterdessen mit einem Neonazi verheiratet ist, war Michèle Kiesewetter im Jahr 2003 gemeinsam in Ungarn im Urlaub. Der Heilbronner Mord ist immer noch nicht aufgeklärt.

** Aus: junge Welt, Samstag, 15. September 2012


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