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Spuren des NSU verlieren sich

Statt Transparenz bei der Aufklärung des rechtsextremistischen Terrors wird vertuscht und gelogen

Von René Heilig


Vor genau drei Monaten begannen sich Konturen eines politischen Skandals abzuzeichnen, der bleibende Schatten auf den Rechtsstaat und jene wirft, die vorgeben, ihn zu schützen. Nach einem Banküberfall in Eisenach, dem Tod der beiden Räuber und einem Wohnungsbrand in Zwickau wurde rasch klar, dass Mitglieder eines Neonazi-Netzwerk jahrelang unbehelligt mordend durch Deutschland zogen. Sie haben mindestens zehn Menschenleben auf dem Gewissen. Die Behörden versagten bei der Abwehr der zumeist rassistisch motivierten Taten - und sie versagen bei der Aufklärung. Zwar versprechen Regierungspolitiker schonungslose Offenlegung, doch es wird planvoll vertuscht, getäuscht, gelogen. Keine gute Ausgangsposition für parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Bund, in Thüringen und demnächst in Sachsen. Anmerkungen von RENÉ HEILIG.

Der 4. November 2011 war ein Freitag. Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt erreicht, als eine Polizeistreife im Eisenacher Vorort Stregda ein weißes Wohnmobil entdeckte. Treffer! Zwei Stunden zuvor war nur einige hundert Meter entfernt eine Sparkasse überfallen worden. Ein Zeuge will gesehen haben, wie zwei Täter auf einem nahe gelegenen Parkplatz ihre Fahrräder in ein solches Wohnmobil luden und davon brausten. Da stand es nun - und plötzlich brannte es. Im Innern fand man die Leichen von Uwe Böhnhardt (34) und Uwe Mundlos (38). Die beiden Männer hatten - wie man seltsam schnell herausfand - zusammen mit einer Frau namens Beate Zschäpe (34) in einer Zwickauer Wohnung unter falschem Namen gelebt. Die Wohnung war wenige Stunden nach einem Banküberfall in Flammen aufgegangen. Zschäpe stellte sich der Polizei und schweigt. Doch sowohl im Wohnmobil wie im Wohnungsschutt fanden Ermittler Indizien für eine beispiellose Serie politisch motivierter Verbrechen.

Kein klares Bild

Man war auf eine rechtsextremistische Terrorzelle gestoßen, die fest eingebunden war in ein Netzwerk namens Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). In 13 Jahren gehen mindestens 14 Banküberfälle auf das Konto der »Zwickauer Zelle«. Alle wurden in Ostdeutschland und vornehmlich in Zwickau und Chemnitz begangen. Noch mehr erschrecken müssen aber neun zwischen 2000 und 2006 begangenen Morde an Migranten. Acht wurden in Westdeutschland begangen. Hinzu kommen vermutlich zwei Bombenanschläge in Köln. Vor allem einer mehrfach verschickten, bereits Jahre zuvor hergestellten »Paulchen-Panther«-Bekenner-DVD verdankt man die Erkenntnis. Ein Beweis ist sie nicht, so wie die Ceska-Pistole, die man bei den Toten fand. Sie soll bei acht Morden benutzt worden sein. Die Bundesanwaltschaft, die nun die Ermittlungen an sich zog, die sie vor Jahren abgelehnt hatte, behauptet - so sie sich mal äußert - viel. Und beweist wenig.

Wer soll widersprechen? Böhnhardt und Mundlos sind tot, Zschäpe schweigt und was die inzwischen fünf Helfer aussagen können, stand zum Gutteil in den Zeitungen, lange bevor man sie verhaftete. Und dann ist da noch dieser Mord an einer Polizistin, begangen 2007 in in Heilbronn. Er markiert das seltsame Ende des Mordens, er fällt aus dem Raster.

Nach dreimonatigen Ermittlungen, an denen bis zu 500 Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) sowie aus den Ländern beteiligt waren, fügt sich aus den Puzzleteilen kein klares Bild. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortete; zahlreiche, in den Medien und von der Öffentlichkeit gestellte, werden überhört.

Dazu gehört die Mitverantwortung der Sicherheitsbehörden. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren als militante Neonazis bekannt. Sie gehörten zum »Thüringer Heimatschutz«, der vom Landesverfassungsschutz mit aufgebaut worden ist. Sie waren mit Sprengstoff erwischt im Visier der Polizei - doch man ließ sie untertauchen. In Chemnitz sollten sie gefasst werden, doch als der Zugriff hätte erfolgen können, waren die Verdächtigen offenbar gewarnt. Der Geheimdienst kannte die Leute, die Kontakt hielten zu der Truppe, aber plötzlich endete die Telefonüberwachung. Ebenso wusste man, dass die Neonazis Reisen unternahmen. Möglicherweise, um in Südafrika militärisch gedrillt zu werden. Doch die Fahnder, zu denen inzwischen auch Leute vom Militärischen Abschirmdienst und dem BKA gehörten, zeichneten sich nicht durch übliche Professionalität aus. Auch nicht beim Aufklären von Verbindungen nach Ungarn, Bulgarien, Österreich, in die Schweiz und nach Belgien.

Nur schemenhaft kann man die Wege der Waffen- und Sprengstoffbeschaffung nachzeichnen. Ganz zu schweigen davon, dass man sagen könnte, wie und von wem die Opfer ausgewählt wurden. Wie liefen die Verbindungen zum international aktiven rassistischen Blood&Honour-Netzwerk (Blut&Ehre)? Rassenkrieg durch kleine Zellen ohne Bekennerschreiben - so lautet dessen Konzept. Ein Mord am 13. Juni 2001 in Nürnberg fiel auf den Tag des Verbots von »Blood&Honour« in Deutschland. Böhnhardt und Mundlos hatten für die Rassistenbande in den 90er Jahren Konzerte veranstaltet. Könnte man diese Beziehung erhellen, wäre man auch ans Organisierte Verbrechen herangerückt. Möglicherweise kann man so die Frage beantworten, wovon die drei arbeitslosen, nicht gemeldeten »Zwickauer« all die Jahre lebten und sogar noch »Kameraden« unterstützten. Angeblich erbeuteten die nun toten Neonazis bei Banküberfällen etwa 600 000 Euro. 11 000 davon wurde im Wohnmobil entdeckt. Geldwäsche ist teuer, bis zu 50 Prozent Verlust. Wie sollen drei Leute im Untergrund mit 300 000 Euro über zehn Jahre auskommen, Wohnungen und Wohnmobile mieten, Waffenkäufe und Urlaub finanzieren? Und wieso untersucht man nur 4 von 14 Banküberfällen?

Gesperrt bis 2041

»Es sieht so aus, als ob einige Behörden kläglich versagt haben«, sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Was folgt daraus? Nichts. Lückenlose Aufklärung hat Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) versprochen. Und? Er verweigert Antworten mit Hinweis darauf, dass der Generalbundesanwalt ihm jede Aussage verboten hat. Das kann der zwar nicht - aber so werden grundlegende Parlamentsrechte ausgehebelt. Eine »zügige und umfassende Darstellung und Aufklärung darüber, wo Fehler gemacht wurden«, kündigte Sachsen Innenminister Marcus Ulbig (CDU) an. Er unternimmt alles, um einen Untersuchungsausschuss zu verhindern.

Nicht anders läuft die Vertuschung auf Bundesebene. Als in den Medien ein zusammenfassender Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz auftauchte, begehrten Bundestagsabgeordnete Einsicht. Nur ein Handvoll durfte das Dossier in der Geheimschutzstelle lesen - und muss schweigen. Denn der Geheimdienst hat die Akte gesperrt. Bis 2041.

* Aus: neues deutschland, 4. Februar 2012

Der Verfassungsschutz - ein Skandalverein seit Gründertagen

Die Skandal-Chronik des deutschen Inlandsgeheimdienstes zeigt vor allem eines: Er ist nicht nur überflüssig, sondern er ist eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Er sollte daher umgehend abgeschafft werden.

Der Name deutet auf ein hehres Ziel: Die Behörde sollte das Grundgesetz schützen. 1950 wurde das Bundesverfassungsschutzgesetz beschlossen; es entstanden das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und in jedem Bundesland ein entsprechendes Landesamt. Doch der erste Skandal war schon da: In traditioneller antikommunistischer Verblendung stellte man zum Teil hochrangige Vertreter aus Hitlers Geheim- und Sicherheitsdiensten ein und hetzte sie wieder auf Antifaschisten.

1953 konstruierte man gegen den »aggressiven Osten« die Vulkan-Affäre. Es ging um Wirtschaftsspionage, 30 Verdächtige wurden völlig zu Unrecht verhaftet.

1954 folgte die die Otto-John-Affäre. Der erste von den Westalliierten ernannte Chef des Verfassungsschutzes floh in die DDR. Die Motive des Antifaschisten wurden nie recht klar, doch nach seiner Rückkehr machte man ihn fertig. Sein Nachfolger, der angeblich legendäre Hubert Schrübbers, wurde 1972 in den Ruhestand versetzt, da seine Verwicklung in die Nazi-Terrorjustiz offenbar geworden war.

1963 flog die Telefon-Affäre auf. Der Geheimdienst hörte widerrechtlich ab und öffnete Post. 1968 und 1969 machte die Urbach-Affäre Schlagzeilen. Nach dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke besorgte Peter Urbach, ein V-Mann der eigentlich widerrechtlich installierten Westberliner Behörde, im Auftrag Molotowcocktails für protestierende Studenten. Auch die ersten Waffen für die RAF wechselten so den Besitzer. Ein Anschlag mit einer von Urbach beschafften Bombe gegen das jüdische Gemeindehaus schlug fehl. Der Agent provocateur flog auf, seine Agentenführer versteckten ihn im Ausland.

Ab 1972 konzentrierte sich der Inlandsgeheimdienst auf die Durchsetzung des Radikalenerlasses. 1,4 Millionen meist junge Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden in der Folge auf ihre »Verfassungstreue« hin überprüft.

1977 kam es zur Affäre Traube. Der Siemens-Atomphysiker Klaus Traube wurde verdächtigt, radioaktives Material an Terroristen weiter zu geben. Traube war befreundet mit einer linken Anwältin in Frankfurt am Main, die Kontakte zur RAF hatte. Zudem war Traubes Mutter Mitglied der verbotenen KPD gewesen. Das reichte. Man verwanzte Traubes Haus. Alle Vorwürfe erwiesen sich als gegenstandslos.

1978 folgte das Celler Loch. Der niedersächsische Verfassungsschutz sprengte die Gefängnismauer, um eine versuchte Befreiung eines RAF-Gefangenen vorzutäuschen.

Ein Jahr nach der staatlichen Einheit kam es zum Schmücker-Skandal. Ein Berliner Student, einst Mitglied der »Bewegung 2. Juni«, spionierte als V-Mann des Verfassungsschutzes die linke Szene aus. 1974 wurde er im Berliner Grunewald erschossen aufgefunden. Der folgende - 15 Jahre währende - Prozess wurde eingestellt, weil das Landesamt bei der Vertuschung der Tat mitgewirkt hatte.

2011 kam es zum NSU-Skandal, der derzeit die Republik bewegt. Weil terroristische Neonazis über fast 14 Jahre nicht verfolgt oder sogar von Verfassungsschützern unterstützt wurden, konnten zehn Menschen ermordet werden. Zahlreiche V-Leute auch in der NPD nutzten nichts. Dennoch weigern sich Landesämter und der Bund, sie abzuziehen. So dienen sie als wichtigste Ausrede gegen ein Verbot der Nazi-Partei. Derweil wurde 2012 erneut deutlich, wie der Inlandsgeheimdienst seit Jahrzehnten auch Abgeordnete der Linkspartei systematisch bespitzelt. hei

(neues deutschland, 4. Februar 2012)




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