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Fritsche fatal

Innenstaatssekretär sorgt für Eklat im NSU-Untersuchungsausschuss

Von René Heilig und Hendrik Lasch *

»Das ist die Grenze dessen, was man hinnehmen muss«, empörte sich der Chef des NSU-Bundestags-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, und unterbrach gestern die Zeugenvernehmung von Klaus-Dieter Fritsche. Der ist Staatssekretär im Innenministerium und eine Schlüsselfigur beim staatlichen Versagen wider rechtsextremen Terror.

Klaus-Dieter Fritsche (59) - grauer Anzug, blaues Hemd, brauner Schlips, Brille im ausdruckslosen Gesicht - meidet eigentlich Scheinwerfer. Er ist gern der Zweite - der, der sagt, wo es lang geht. So war das zwischen 1996 und 2005 als Vize im Bundesamt für Verfassungsschutz, dann als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Seit Dezember 2009 ist er Staatssekretär im Bundesinnenministerium.

Widerspruch ist der Strippenzieher nicht gewohnt. Hinten herum kritisierte er die Untersuchungsarbeit, die »von einem Skandalisierungswettstreit überlagert wird«. Er stellte sich vor Polizei und Geheimdienste, die unverdient mit »beißender Kritik, Hohn und Spott« übergossen werden. Skandalös sei es, wenn man Behörden Vertuschungsversuche vorwerfe und die Regierung beschuldige, nicht mit dem Untersuchungsausschuss zu kooperieren. Keine Frage: Die Entscheidung darüber, was nötig ist zur Aufklärung, wollte er ganz gewiss nicht den Abgeordneten überlassen. »Kenntnis nur, wenn nötig«, gab er als Losung aus, um sich dann routiniert hinter der Bundesanwaltschaft zu verstecken. Wegen der »Befugnis zur Sachleitung«.

Der Mann sorgte sich um den »dauerhaften Schutz der Vertraulichkeit« für V-Leute. Das alles kennt man aus jüngsten maßlosen Äußerungen von Hans-Georg Maaßen, dem neuen Verfassungsschutzchef. Und man wundert sich nicht, schließlich kommt auch der aus dem Bundesinnenministerium des Hans-Peter Friedrich (CSU).

Nachdem Fritsche erklärt hatte, dass die operative Arbeit des Geheimdienstes grundsätzlich tabu bleibe und alle Aufklärer wiederholt vor einer Gefährdung des »Staatswohls« warnte, gipfelte die Vorlesung in allgemeiner Staatsbürgerkunde à la Fritsche in dem »Appell« an Abgeordnete und Medien, den Behörden »nicht durch Indiskretionen und Verschwörungstheorien die Grundlage erfolgreicher Arbeit zu entziehen«. So etwas hat es in dem Ausschuss noch nicht gegeben. Während im Halbkreis der Abgeordneten ein Grummeln anhob, platzte dem Ausschuss-Vorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) der Kragen. Doch Fritsche sah weder ge- noch betroffen drein.

Der Mann ist so cool wie clever. In den Dokumenten, die dem Ausschuss vorliegen, finden sich nur zwei, die Fritsches Unterschrift tragen. Eines davon aber hat es in sich. Nachdem Bayerns damaliger Innenminister Günter Beckstein (CSU) den Verdacht geäußert hatte, dass es in Deutschland eine »Braune-Armee-Fraktion« gibt, fragte der damalige Ministerialdirigent im Bundesinnenministerium Gerhard Schindler, heute Chef des Bundesnachrichtendienstes, den damaligen Bundesverfassungsschutz-Vize, ob der das ähnlich sehe. Fritsche beschied das abschlägig.

Das Schreiben vom 14. September 2003 ist als »GEHEIM« eingestuft und trägt den Stempel »Quellenschutz«. Ungefragt ging der Schreiber auf die »drei Bombenbauer aus Thüringen« ein, die »seit mehreren Jahren abgetaucht« und »auf der Flucht« seien. Sie hätten »seither keine Gewalttaten begangen«. Ihre Unterstützung sei »nicht zu vergleichen mit der für einen bewaffneten Kampf aus der Illegalität«. Zudem seien »Absichten für einen solchen Kampf in der rechtsextremistischen Szene nicht erkennbar«. Ein potenzielles Unterstützerumfeld gebe es nicht. Zudem habe die RAF Banken überfallen ...

Dabei wusste der Verfassungsschutz, dass Unterstützer für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Waffen beschafften, dass die mittellos Abgetauchten plötzlich über genügend Geld verfügten. Man suchte sie in der Chemnitzer Gegend, kannte die rechte Strategie des führerlosen Widerstandes und das Vorhaben der Nazis, Kleinzellen für den bewaffneten Kampf zu bildeten. Dass Rechtsextremisten keine Bekennerschreiben auslegen, war nicht neu. Fritsches Antwort war - da war man sich gestern im Ausschuss einig - eine fatale Fehleinschätzung. Nur einer sah das anders: Fritsche. Und das ist nun mehr als nur fatal, denn er wird trotz allem der zweite, der maßgebende Mann deutscher Innenpolitik bleiben.

Schweigen in Sachsen

In Sachsen hat die Koalition aus CDU und FDP gestern einen dringlichen Antrag abgewiesen, mit dem Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu einer Stellungnahme im Landtag aufgefordert wurde. Anlass war eine Abhöraktion sächsischer Verfassungsschützer gegen Mitglieder und das Umfeld des NSU in den Jahren 2000 bis 2010. Darüber hatte kürzlich die »Welt« berichtet. Ulbig hatte die Umstände in einem Brief an die Fraktionschefs von LINKE, SPD und Grünen erläutert, allerdings, wie ein »Welt«-Journalist seinerseits in einem Brief feststellte, »in erheblichen Teilen unzutreffend«. Ulbig verweigerte eine Antwort. Damit habe sich Schwarz-Gelb »von seiner ignoranten Seite« gezeigt, so SPD-Fraktionschef Martin Dulig. Rico Gebhardt von der LINKEN, kündigte nun eine Sondersitzung des sächsischen NSU-Ausschusses zur der Abhöraktion an.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 19. Oktober 2012


Staatssekretär auf Krawall gebürstet

Eklat im NSU-Untersuchungsausschuß: Ex-Verfassungsschutzvizechef Fritsche übt Medienschelte

Von Claudia Wangerin **


Die Vernehmung von Klaus-Dieter Fritsche im Untersuchungsausschuß des Bundestags zum Neonaziterror hatte noch gar nicht begonnen, da mußte der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Donnerstag bereits die Sitzung unterbrechen. Der Grund war eine flammende Verteidigungsrede des Staatssekretärs, der wegen seiner Funktion als Vizechef des Bundesamtes für Verfassungsschutz in den Jahren 1996 bis 2005 und später als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt als Zeuge gehört werden sollte. Während seiner Dienstzeit beim Verfassungsschutz hatte der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) einen Großteil seiner Morde an Männern mit Migrationshintergrund begangen. Die Ausschußmitglieder wollten von Fritsche wissen, warum seine Behörde diese Taten jahrelang nicht mit den untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Verbindung bringen konnte. Fritsche setzte in seiner Vorbemerkung zur Zeugenaussage auf Vorwärtsverteidigung. Er warf Kritikern der Sicherheitsbehörden einen »Skandalisierungswettstreit« und Mangel an Respekt vor den Opfern vor. An die Medien appellierte er, von »Indiskretionen und Verschwörungstheorien« abzusehen. Für den Verfassungsschutz nahm er in Anspruch, die Klarnamen von V-Leuten – auch im Umfeld des NSU – dauerhaft verschleiern zu dürfen. Zwischenfragen von Abgeordneten wollte Fritsche nicht beantworten. Nach der Unterbrechung wurde sein Ton zunächst sachlicher. Im Zusammenhang mit der Vernichtung relevanter Akten erhob die Abgeordnete Eva Högl (SPD) schwere Vorwürfe gegen den Staatssekretär im Innenministerium, weil er die Aktenschredderei erst im Juli gestoppt hatte und nicht unmittelbar nach dem Auffliegen der Terrorzelle im November 2011. Fritsche verwies auf die Abwägung zwischen den Rechten des Untersuchungsausschusses und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen von Überwachungsmaßnahmen.

** Aus: junge Welt, Freitag, 19. Oktober 2012


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