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Zu Gast bei Linken

Die Bundestagsfraktion der Partei, die den Verfassungsschutz auflösen will, lud dessen Chef Hans-Georg Maaßen zu einer Talkrunde ein. Er kam und blieb in der Sache hart

Von Claudia Wangerin *

Keine Sekunde will Hans-Georg Maaßen gezögert haben, dieser Einladung zu folgen: Die Bundestagsfraktion Die Linke hatte sich für eine kontroverse Diskussion über den »Verfassungsschutz – zwischen Reform und Auflösung« keinen geringeren als dessen Präsidenten als Talkgast auf dem roten Ledersofa im Berliner Kulturzentrum »Pfefferberg« gewünscht. Er sei »der festen Überzeugung«, daß man sein Profil nur schärfen könne, wenn man nicht immer nur mit Freunden diskutiere, sagte Maaßen zu Beginn der Runde am Mittwoch nachmittag. Er habe auch nie den Berufswunsch gehabt, Chef einer Bundesbehörde zu werden. Es sei ihm aber klar, daß dies »wichtig für unser Land« sei.

Die Impulsreferate der Linkspartei-Abgeordneten Jan Korte, Petra Pau und Ulla Jelpke hatte der Geheimdienstchef leider verpaßt, als er lächelnd den Raum mit etwa 100 Zuhörern betrat. Maaßen schien gut darauf vorbereitet, daß neben der Rolle neofaschistischer V-Leute im Umfeld der Terrorgruppe »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) auch die Beteiligung von Altnazis am Aufbau des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur Sprache kommen würde. Auf Personalien wie die des langjährigen BfV-Präsidenten Hubert Schrübbers, der seine Karriere als linientreuer Staatsanwalt unter Hitler begonnen hatte, ging er nicht ein, sondern verwies auf »unabhängige Historiker«, die sich im Auftrag der Behörde mit deren Frühgeschichte befaßten.

Der eigentliche Vorgänger des BfV sei »nicht die Gestapo«, sondern das 1920 in der Weimarer Republik gegründete Reichskommissariat zur Überwachung der öffentlichen Ordnung, behauptete er. Dieses habe »Nazis, aber auch Linksextremismus« überwacht und sei aus heutiger Sicht 1929 zu früh aufgelöst worden – die NSDAP sei nur wenige Jahre später an die Regierung gekommen. Heute müsse unbedingt verhindert werden, daß »die extremen Ränder«, egal ob links oder rechts, »auf legalistischem Weg an die Macht kommen« könnten. So verteidigte er auch die Überwachung »extremistischer Teilorganisationen« der Linkspartei, wie etwa der Kommunistischen Plattform. »Da hab’ ich auch kein schlechtes Gewissen«. Es könne auch nötig sein, Abgeordnete ins Visier zu nehmen. Wer einen Systemwechsel wolle, sei für ihn ein Verfassungsfeind, hob Maaßen hervor. Eben darauf war Jelpke in ihrem Geleitwort eingegangen: Der Inlandsgeheimdienst wolle den Kapitalismus schützen, dem er Verfassungsrang zuordne. Das gebe die Verfassung aber nicht her.

Mit Blick auf den Terror des NSU räumte Maaßen Fehler ein. Solche »Defizite« dürfe es nicht mehr geben; wenn in Zukunft Akten vernichtet würden, »dann nach Recht und Gesetz und nicht einfach so«. V-Leute aus der Neonaziszene seien zwar »Verräter« und »Schmutzfüße«, die aus niederen Beweggründen wie »Geld oder Mißgunst gegenüber Kameraden« handelten, aber als Informationsquellen unverzichtbar. Das von Petra Pau genannte Beispiel des V-Mannes »Piato«, der trotz des Mordversuchs an einem Nigerianer vom Brandenburger Verfassungsschutz angeworben wurde, liege nicht in der Verantwortung des Bundesamtes, wich Maaßen aus. Der Verfassungsschutz sei nicht für Strafverfolgung zuständig, werde aber als »Frühwarnsystem« gebraucht. Eben als solches habe die Behörde aber im Fall des NSU nichts getaugt, hielt Jan Korte – links von Maaßen auf dem Sofa – entgegen. Zum Schluß sagte Korte mit Blick auf sein zwölf Punkte umfassendes »Sofortprogramm zur Auflösung des Inlandsgeheimdienstes«, dieser solle ja nicht über Nacht abgeschafft werden. »Uns schwebt eher ein Fünfjahresplan vor, Sie können sich also drauf einrichten.« Moderator Hanno Harnisch lud Maaßen ausdrücklich zum »Come together« am Buffet ein.

* Aus: junge Welt, Freitag, 15. März 2013

"Der Verfassungsschutz ist strukturell demokratieunfähig"

Aus der Rede der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpe (Die Linke) auf einer Veranstaltung mit Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen am Mittwoch in Berlin:

Wenn man eine Liste der Skandale aufstellen wollte, die der Verfassungsschutz in Bund und Ländern verbrochen hat, stößt man unweigerlich auf ein zentrales Problem: Eine solche Liste wäre im wahrsten Sinn des Wortes endlos. Endlos zum einen, weil sie sehr lang ist. Das Amt hat seine Prägung durch die Altnazis, die es anfangs vereinte, bis heute nicht verloren. Der Hauptfeind stand und steht links (...). Endlos ist die Liste zum anderen deswegen, weil sie aufgrund des Charakters des Verfassungsschutzes als Geheimdienst zwangsläufig unabgeschlossen bliebe. Das Sicherste, das man über den Verfassungsschutz weiß, ist: Daß man nur einen Bruchteil von dem weiß, was er macht. Dieser Bruchteil ist allerdings schon so schlimm, daß ich sage: Dieser Dienst muß weg, er ist eine Gefahr für alle Demokratinnen und Demokraten. (…)

Herr Maaßen, ich habe mit großer Verwunderung im aktuellen Focus gelesen, wie Sie behaupten, die Arbeit Ihrer Behörde werde »vollständig von Parlament und Regierung kontrolliert«. Zumindest was das Parlament angeht, kann ich nur sagen, daß Ihre Aussage ein schlechter Witz ist. Die parlamentarischen Kontrollinstanzen sind weniger als zahnlose Tiger, sie sind allenfalls Streicheltiere. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) tagt ein paar Mal im Jahr. Es tagt geheim. Kein Bürger, kein Journalist hat Zugang. (…) Die Mitglieder des Geheimgremiums sind selbstverständlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sie dürfen über einen Skandal nicht reden, sie machen sich sonst strafbar. Ich meine: Kontrolleure, die über die Ergebnisse ihrer Kontrolle nicht reden dürfen, sind keine Kontrolleure. Sie so zu nennen, ist ein Etikettenschwindel. (...)

Herr Maaßen, Sie haben nach ihrem Amtsantritt in einem Interview mit Bild gesagt, das Bundesamt für Verfassungsschutz sei »so wichtig wie die Polizei oder die Feuerwehr«. Soll heißen: Die Feuerwehr will ja auch keiner abschaffen, wenn sie mal versagt und einen Brand nicht gelöscht hat. Ich muß sagen, ich finde diesen Vergleich regelrecht empörend und eine Beleidigung für Feuerwehrleute. Die Feuerwehr ist keine Geheimorganisation. Jeder kann nachfragen, wie viele Feuerwehrleute es gibt, wie viele Fahrzeuge usw. Die Arbeit der Feuerwehr ist nachvollziehbar, das Budget ist transparent. Von der Feuerwehr ist nicht bekannt, daß sie Leute, die Brände legen, mit Millionenbeträgen versorgt und ihnen praktisch die Benzinkanister noch in die Hand drückt. (…) Ich habe großen Respekt vor Feuerwehrangehörigen, weil sie teilweise unter Lebensgefahr versuchen, Brände zu löschen und Menschenleben zu retten. Während der Verfassungsschutz Verbrechern und Mördern aus der Naziszene noch dazu verhilft, sich mit falschen Pässen zu versorgen und weiterhin Straftaten zu begehen. (…)




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