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"Der Geheimdienst nützt letztlich den Nazis"

NPD-Landesvorsitzender der Spitzeltätigkeit verdächtig. Linke-Politikerin fordert Auflösung des Verfassungsschutzes. Ein Gespräch mit Kerstin Köditz *


Kerstin Köditz ist Sprecherin für ­antifaschistische Politik der Linksfraktion im sächsischen Landtag.

Holger Szymanski, Vorsitzender der sächsischen NPD, soll für das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen gespitzelt haben. Er selbst bestreitet dies bisher. Welche Erkenntnisse haben Sie?

Als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission bin ich zur Geheimhaltung verpflichtet, darf Ihnen also nichts zu möglichen Erkenntnissen über eine frühere V-Mann-Tätigkeit des jetzigen NPD-Landesvorsitzenden sagen. Allerdings hat ausgerechnet der Präsident des Landesamtes selbst diese Geheimhaltungspflicht gebrochen, indem er gegenüber den Medien eine solche Spitzeltätigkeit von Holger Szymanski faktisch bestätigt hat. Die Details, die er dabei preisgegeben hat, lassen eigentlich keinen anderen Schluß zu als den, daß es sich bei der fraglichen Person tatsächlich um den frisch gekürten Landesvorsitzenden der NPD handelt.

Daß er selbst dies dementiert, kann kaum überraschen. Er weiß natürlich genau, daß den Beweis für seine Jahre als V-Mann nur der Geheimdienst selbst erbringen könnte. Der jedoch kann genau dies nicht tun, da der Schutz von Quellen auch nach ihrer Abschaltung oberste Priorität hat.

Wie reagiert die NPD selbst auf die Vorwürfe?

Der NPD-Landesvorstand hat ihm zwar einstimmig das Vertrauen ausgesprochen, aber immerhin gut zwei Stunden Diskussion benötigt, um sich zu diesem Schritt durchzuringen. Das Verhalten des Präsidenten des Geheimdienstes ist schlicht unverzeihlich. Er verrät damit nicht nur Dienstgeheimnisse, sondern er betreibt direkt Politik gegen eine Partei. Das aber ist dem Geheimdienst ausdrücklich nicht gestattet.

Szymanski, der erst im Januar an die Spitze des sächsischen NPD-Landesverbandes gewählt wurde, wurde maßgeblich von NPD-Bundeschef Holger Apfel protegiert. Könnten die nun erhobenen Beschuldigungen gegen Szymanski auch innerparteiliche Probleme für Apfel mit sich bringen?

Bei den Neonazis der »Freien Kräfte« gilt die NPD ja ohnehin bereits als »Spitzelpartei«. Um den Vorwurf abzuwehren, hatten sich die im Januar neu gewählten Landesvorstandsmitglieder verpflichten müssen, 15000 Euro zu zahlen, wenn sie doch Kontakte zu einem Geheimdienst haben oder hatten.

Statt dessen stellt man sich nach außen geschlossen vor einen Verdächtigten. Ein Teil der Gegner Apfels sammelt sich bereits in den »Freundeskreisen Udo Voigt«. Die Initiatoren kommen ausgerechnet aus Apfels Landesverband. Es handelt sich um das ehemalige Parteivorstandsmitglied Frank Rohleder aus Chemnitz sowie zwei Funktionäre aus dem Vogtland. Aus diesem Kreis hat auch der langjährige Kreisvorsitzende Unterstützung signalisiert, die derzeitige Kreisvorsitzende dagegen wurde nicht erneut in den Landesvorstand gewählt. All das läßt nur den Schluß zu: es herrscht heftige Unruhe auch in der sächsischen NPD.

Fürchten Sie Konsequenzen für ein kommendes NPD-Verbotsverfahren, wenn es tatsächlich zutreffen sollte, daß Szymanski im Dienst der Spitzelbehörde stand?

Nach meinen Informationen wird er nicht im Material zum Verbotsverfahren namentlich zitiert. Das sagt aber in diesem speziellen Fall nichts, denn als Pressesprecher war er selbstverständlich mitverantwortlich für die Formulierungen in zitierten Äußerungen von anderen Funktionären.

Insofern handelt es sich um eine weitere Klippe. Die NPD kann das nur freuen. Insgesamt habe ich meine Zweifel an der Qualität des vorgelegten Beweismaterials.

Mitunter wirkt es, als hätte es die neofaschistische Partei niemals in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern geschafft, wenn sie nicht – sowohl finanziell als auch personell – derart von den Inlandsgeheimdiensten alimentiert worden wäre …

Es gibt leider in Deutschland kontinuierlich einen relativ hohen Prozentsatz an Menschen, die das menschenfeindliche und rassistische Gedankengut der NPD teilen. Wenn wir uns die Zustimmung für Sarrazin ansehen, dann wissen wir, daß er deutlich größer ist als die Wählerschaft der NPD. Meiner Ansicht nach ist die staatliche Verantwortung vielmehr darin zu sehen, daß eine rassistische Politik betrieben wird, die den Nazis den notwendigen Auftrieb gegeben hat und noch gibt.

Fernab des von der politischen Mitte betriebenen Rassismus: Der Zustand der NPD gilt als vollkommen desolat. Die Partei scheint noch immer durchsetzt von V-Leuten, und es stehen diverse Strafzahlungen an, die die Partei wegen falscher Rechenschaftsberichte an die Bundestagsverwaltung zurückzuzahlen hat. Ist ein Verbotsverfahren gegen die NPD vor diesem Hintergrund überhaupt noch notwendig?

Es gibt gute Gründe, die für ein Verbot der NPD sprechen. Und es gibt gute Gründe, die dagegen sprechen. Unstrittig ist wohl, daß ein Scheitern des Verfahrens der NPD erheblichen Auftrieb geben würde. Die Gefahr eines solchen Scheiterns ist nicht unerheblich. Nicht zuletzt sorgt der desolate Zustand der NPD dafür, daß das Verfahren spätestens in Strasbourg abgewiesen würde. Ich glaube nicht, daß die Innenminister in einer solchen Konstellation klug beraten waren, das Verfahren zu forcieren.

Im Rahmen der Enthüllungen über die vom neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) verübten Morde und Bombenanschläge wurde Gordian Meyer-Plath als neuer Präsident des sächsischen Geheimdienstes eingesetzt. Hat sich unter seiner Führung etwas positiv geändert?

Kein Gebrauchtwagenhändler wird seinen Ladenhüter als verrottete Karre anpreisen. Statt dessen wird er ihn auf Hochglanz polieren, die dringend notwendigen Reparaturen dagegen unterlassen. Das ist die bisherige Rolle von Meyer-Plath. Das Landesamt in Sachsen ist also so inkompetent wie eh und je. Sollte sich dann auch noch bestätigen, daß ausgerechnet Meyer-Plath der V-Mann-Führer des brandenburgischen Spitzels »Piato« gewesen ist, glaube ich nicht einmal mehr, daß der Wille zur Veränderung gegeben ist.

Man könnte fast zu dem Schluß kommen, daß mehr Gefahr von den Verharmlosern und Förderern der Neofaschisten in den Geheimdienstzentralen als von der Naziszene selbst ausgeht …

Ich spekuliere eigentlich nicht gerne, ob die Pest oder ob die Cholera gefährlicher ist. Für mich ist die entschiedene Bekämpfung der Neonazis und jeglichen menschenfeindlichen Gedankenguts notwendig, und für mich ist die Abschaffung des Inlandsgeheimdienstes dringlich. Beide sind eine Gefahr für die Demokratie. Es hat sich in der Geschichte der Bundesrepublik gezeigt, daß der Geheimdienst letztlich den Nazis nützt. Herausragendes Beispiel ist das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren. Dort war der Einfluß des Bundesamtes und der Landesämter so groß, daß das Gericht der NPD »mangelnde Staatsferne« attestieren mußte. Eigentlich ist das der Super-GAU: sowohl für den Geheimdienst als auch für eine Partei, die sich als systemoppositionell darstellt.

Unbestreitbar ist, daß die Einigung der zersplitterten thüringischen Neonaziszene zum »Thüringer Heimatschutz« ohne die Ämter sehr viel schwieriger gewesen wäre. Und auch bei der Nutzung des Mailboxnetzwerkes »Thule« gab es Hilfestellung vom VS. Von den Spitzelgeldern, die in die Szene geflossen sind, will ich gar nicht erst reden. Mein Fazit: wenn wir die Geheimdienste abschaffen, machen wir auch den Nazis das Leben schwerer. Zwei Fliegen mit einer Klappe, so nennt man das wohl.

Auf welche Vorgänge in Sachen NSU und militante Nazis werden Sie sich in den kommenden Wochen konzentrieren?

Jetzt steht erst einmal der 13. Februar in Dresden vor der Tür. Stoppen wir auch in diesem Jahr dort die Nazis, könnte das das endgültige Ende für den Marsch dort bedeuten. Die Beteiligung zeigt aber auch, daß wir uns durch die staatliche Repression nicht einschüchtern lassen. Und dann kommt der 5. März zum gleichen Thema in Chemnitz. Die Mobilisierungsfähigkeit der Nazis läßt zwar nach, wie in Magdeburg zu sehen war, aber das liegt nur daran, daß sich unsere Gegenwehr verstärkt hat. Wir dürfen also nicht nachlassen.

Was das Netzwerk NSU und den Untersuchungsausschuß betrifft, so fürchte ich, daß sich das öffentliche Interesse in den kommenden Monaten auf den Prozeß in München konzentrieren wird. Dort geht es um die strafrechtliche Aufarbeitung. Die politische Aufarbeitung in den Ausschüssen und die Konsequenzen daraus sind aber ebenso wichtig.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Freitag 8. Februar 2013


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