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Verfassungsschutz rief zum Dschihad

"Islamistische Medienfront" von deutschen und US-Geheimdiensten geführt *

Sie hatten Videos verbreitet, auf denen Muslime zum bewaffneten »Heiligen Krieg« gerufen wurden oder die Enthauptung von Menschen bejubelt wurde. Das Oberlandesgericht München hat am Dienstag das letzte Urteil im Prozeß gegen die acht angeklagten Unterstützer der »Globalen Islamischen Medienfront« (GIMF) verkündet. Einer der Rädelsführer muß für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.

Zwei der wichtigsten Drahtzieher wurden aber gar nicht erst angeklagt: Der einstige Anführer der GIMF wurde als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt. Ein weiterer maßgeblicher Unterstützer der Vereinigung arbeitete in Wirklichkeit für ein privates US-Institut. Es unterstützte die Gruppe unter falscher Flagge, um Informationen über sie zu bekommen.

Der 22jährige Irfan P. war seit September 2007 Anführer der deutschen Sektion der GIMF. Dann warb ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz als Vertrauensperson (V-Mann) an.

Der Anwalt eines der Angeklagten, Mutlu Günal, hatte davon per Zufall erfahren. In einem anderen Verfahren war Irfan P. als Zeuge geladen. Als der Jurist die Spitzeltätigkeit am zweiten Verhandlungstag öffentlich machte, stand das Verfahren auf der Kippe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beeilte sich mitzuteilen, daß Irfan P. erst ab 2009 als V-Mann gearbeitet habe. Die Taten, für die sich die Angeklagten verantworten sollten, waren aber vorher begangen worden. Der Vorwurf, er könne die Angeklagten im Auftrag des Staates zu den verhandelten Taten angestiftet haben, lief also ins Leere, befand das Gericht. Das Verfahren gegen Irfan P. wurde eingestellt. Ein Dankeschön, weil er mit dem Verfassungsschutz kooperiert hatte?

Der nächste Eklat folgte prompt: Im September zeigte sich, daß die GIMF auch vom US-amerikanischen Institut SITE unterwandert war. Unter der Mailadresse tavhit201@yahoo.de gaben sich Mitarbeiter des Instituts, das dschihadistische Internetseiten auswertet, als Unterstützer der GIMF aus. Mal nannten sie sich Ahmet K., dann Ibn al Hanafi. Sie recherchierten unter falscher Flagge.

Besonders regen E-Mail-Austausch pflegte SITE mit dem Angeklagten Emin T. Dessen Postfach überwachte das Bundeskriminalamt (BKA). In einem Vermerk des BKA heißt es: »T. holte sich immer wieder Tips für die Gestaltung seiner Foren und für den Schutz seiner Foren vor dem Zugriff der ›Regierung‹«. Die Nutzer von »tavhit201@yahoo.de« versorgten die GIMF auch mit Speicherplatz und Software für eine Internetseite. Eine BKA-Ermittlerin schrieb: »Festzuhalten bleibt, daß die Unterstützung des Ahmet K. (...) die Aktivitäten der GIMF erst ermöglicht haben.«

Das war aber noch nicht alles: Das US-Justizministerium informierte im Juni dieses Jahres die deutsche Justiz darüber, daß auch deutsche Geheimdienstler von den SITE-Aktivitäten wußten. In dem Brief heißt es, die US-amerikanische Bundespolizei FBI habe im Sommer 2010 mit SITE-Mitbegründer Joshua Devon gesprochen. Er habe bestätigt, unter falschem Namen mit den deutschen GIMF-Aktivisten gechattet und einen Server bereitgestellt zu haben. Der E-Mail-Verkehr sei, so berichtete Devon dem FBI weiter, Ende 2007 und Anfang 2008 »mit Kenntnis des deutschen BND« erfolgt. Im Klartext: SITE half der GIMF, Propaganda zu verbreiten – und der BND wußte davon.

Das BKA tappte dagegen offenbar im dunkeln. Die Beamten versuchten zu ermitteln, wer hinter »tavhit201@yahoo.de« steckte. Als sie Mitte dieses Jahres erfuhren, daß die Kollegen des BND längst Bescheid wußten, ihr Wissen aber für sich behalten hatten, seien sie »stinksauer« gewesen, heißt es in Justizkreisen. Der Verteidiger des am Dienstag zu dreieinhalb Jahren verurteilten Renee Marc S. überlegt nun, Revision einzulegen.
(dapd/jW)

* Aus: junge Welt, 9. Dezember 2011


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