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Verfassungsschutz lässt seine braune Vergangenheit untersuchen: Nur 13 Prozent waren alte Nazis

Bundesamt für Verfassungsschutz präsentiert sich in weißer Weste – fast zumindest

Von René Heilig *

Zwei Historiker aus Bochum stellen dem Inlandsgeheimdienst einen Persilschein aus: Eine monokausal aus personellen »braunen Wurzeln« erklärte Geschichte und gesellschaftliche Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) greife offensichtlich zu kurz, lautet das Zwischenfazit ihrer Studie.

Der Begriff Persilschein hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Konjunktur in den Westzonen Deutschlands. Wollten belastete Regimediener die von den Alliierten eingesetzten Entnazifizierungskommissionen täuschen, dann besorgten sie sich bei Naziopfern oder -gegnern einen positiven Leumund. Und schon waren sie »reingewaschen«, bereit, neue tragende Ämter in Staat und Gesellschaft zu bekleiden.

So ähnlich läuft das noch immer. Seit November 2011 arbeiten Prof. Dr. Constantin Goschler und Prof. Dr. Michael Wala von der Ruhr-Universität Bochum an einem Forschungsprojekt zur »Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950-1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase«.

Diese Woche nun stellten sie einen Zwischenbericht vor. Und der ist – der Verfassungsschutz kann's brauchen – relativ positiv. Kernaussage: »Nur« für 205 Mitarbeiter der ersten Stunden waren Dokumente über eine NSDAP-Mitgliedschaft oder in anderen Nazi-Organisationen aufzutreiben. Das entspreche einem Anteil von 13 Prozent des Personals und sei gegenüber anderen Einrichtungen eine »eher niedrige Zahl«.

Folglich transportierten die Forscher, die nach einer Ausschreibung des Bundesinnenministeriums für den Job angestellt wurden, die Botschaft: Ein prägender Einfluss von früheren Mitgliedern des NS-Sicherheitsapparats auf die Arbeit der Behörde lässt sich nicht feststellen. Auch ein Vorwurf, der Dienst sei wegen seiner Vergangenheit gegenüber rechtsextremen Umtrieben blind, greife zu kurz.

Das könne man »nach bisherigem Stand« feststellen. Doch ihre statistische Fleißarbeit ist »nur mit großer Vorsicht zu genießen«, sagen die Professoren selbst. Weder sei es möglich, das BfV-Personal vollständig zu erfassen, noch alle Angaben über eine NS-Belastung vollständig zu recherchieren. Die Zahlen enthalten zudem feste und freie Mitarbeiter vom Präsidenten bis zur Putzfrau. Je nach Auswahl ergeben sich daher ganz unterschiedliche quantitative Aussagen, schränken die Forscher ein.

Zahlen allein sind wenig aussagekräftig. Zwar leistete sich der erst nach Gründung der Bundesrepublik entstehende Verfassungsschutz weniger belastete SS-Geheimdienstler als beispielsweise der als Organisation Gehlen gegründete BND. Doch das BfV stellte 1955 Hubert Schrübbers an seine Spitze. Der musste das Präsidentenamt dann 1972 wieder räumen, nachdem die DDR seine Tätigkeit als Nazi-Oberstaatsanwalt bekannt gemacht hatte.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Oktober 2013


Mit und ohne Parteibuch

Der Verfassungsschutz läßt seine braune Vergangenheit untersuchen. (Neo-)Naziskandale sind immer noch aktuell

Von Sebastian Carlens **


Das Bundeskriminalamt, das Wirtschaftsministerium, das Auswärtige Amt – alle haben die ersten Jahre ihrer Existenz in der jungen BRD historisch aufarbeiten lassen. Neben der Frage, welche Rolle NSDAP-Parteigenossen beim Aufbau der Institutionen spielten, soll damit auch ein Schlußstrich gezogen werden: Schwieriger Start, vorbelastetes Personal, und doch ganz gut in der Demokratie angekommen, so die Quintessenz dieser Studien. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wollte bei so viel Aufklärungswillen nicht zurückstehen. Am Dienstag präsentierten in Berlin die Professoren Constantin Goschler und Michael Wala von der Ruhr-Universität Bochum nach gut zweijähriger Arbeit die Zwischenergebnisse ihres Forschungsvorhabens »Organisationsgeschichte des BfV 1950–1974«.

Als das Innenministerium am 1. November 2011 der Ruhr-Uni den Auftrag erteilte, die Frühgeschichte des Amtes »unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter« zu untersuchen, ahnte wohl niemand, daß bald ganz andere Sorgen über die Inlandsspione hereinbrechen würden. Am 4. November wurde die Existenz des »Nationalsozialistischen Untergrundes« bekannt. Nur wenige Tage später liefen beim BfV die Aktenschredder heiß, später trat Heinz Fromm, der Präsident, zurück. Doch nicht die aktuellen Neonazi-, sondern die alten Naziverstrickungen stehen im Zentrum der Untersuchung, die sich wohlweislich auf die ersten 24 Jahre der Behörde beschränkte.

Im Vergleich zu den erwähnten Studien anderer Ämter ist das Zwischenergebnis halbwegs glimpflich: Etwa 13 Prozent des Personals des BfV hatte eine Nazivergangenheit – »eine gegenüber vergleichbaren Organisationen eher niedrige Zahl«, so Wala und Goschler. Erschwert wurde die Arbeit der Historiker durch die Geheimhaltungs- und Vertuschungsneigung des Dienstes, die auch nicht erst im Jahr 2011 einsetzte: Die Personaldatenbank mußte umständlich, etwa durch Auswertung von Röntgenreihenuntersuchungen und Personalratswahllisten, rekonstruiert werden. »Es läßt sich kein prägender Einfluß von Angehörigen des ehemaligen NS-Sicherheitsapparats ablesen«, bilanzierte BfV-Chef Hans-Georg Maaßen.

Zum Teil vielleicht deshalb, weil das Amt nicht konnte, wie es wollte: Bis 1956 hatten die westlichen Alliierten das letzte Wort bei allen Personalfragen. Dennoch gelang es Kräften aus dem Sicherheitsdienst der SS (SD) und der Gestapo, unter dem Dach der »Verfassungsschützer« weiterzumachen. Der kalte Krieg erforderte erfahrene Kräfte. Die »Verfolgung kommunistischer Aktivitäten« sei für das Amt »von Anfang an zentral« gewesen, so Goschler. Antikommunistisch qualifizierte Fachleute gab es aus der Zeit vor 1945 genug. Von gerade einmal 75 Mitarbeitern im Jahr 1950 wuchs das Amt innerhalb von 25 Jahren auf über 2000 Planstellen. Eine NSDAP-Mitgliedschaft galt für eine Karriere nicht als Hinderungsgrund. Gestalten wie Walter Odewald, der im zweiten Weltkrieg als deutscher Sipo-Chef von Paris die Marseiller Altstadt zerstören ließ, mußten zwar pro forma vom niedersächsischen Landesamt beschäftigt werden, wurden dann jedoch ans BfV »ausgeliehen«. Andere, wie der NS-Richter Hubert Schrübbers, gingen den direkten Weg: 1955 wurde er zweiter Präsident des Amtes. In der Spionageabwehr des Dienstes konnte sich eine Gestapo-Seilschaft breitmachen, berichtete Goschler. Und auch Günther Nollau, Schrübbers’ Nachfolger als Amtschef, hatte es, das NSDAP-Parteibuch.

Bis Ende 2014 werden Goschler und Wala noch zur BfV-Geschichte forschen. Ein grundsätzliches Problem im Ansatz der Studie wird bestehen bleiben: Als NS-Belastung zählen Tätigkeiten für SD, Gestapo und SS. Ausgeblendet bleiben, neben originär geheimdienstlichen Institutionen wie der »Geheimen Feldpolizei«, auch Staatsanwälte und Richter. Die unheimlichen Juristen, die bis 1945 exekutierten, administrierten nach 1945 im Westen schließlich bruchlos weiter, auch im BfV

** Aus: junge Welt, Samstag, 5. Oktober 2013


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