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Friedrich in Feuerlaune

Abermals am Parlament vorbei wechselt der Innenminister Spitzenbeamte aus

Von René Heilig *

Der Rauswurf der gesamten Führungsspitze der Bundespolizei (BP) durch den obersten Dienstherren, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), sorgt für Empörung. Während die Union ihrem Parteigänger den Rücken stärkt, hört man aus der Opposition und den Gewerkschaften harsche Kritik an Friedrich.

In verschiedenen Medien war bereits am Samstag berichtet worden, was die Präsidenten der Bundespolizei, Matthias Seeger, sowie seine beiden Stellvertreter Wolfgang Lohmann und Michael Frehse erst heute offiziell erfahren werden. Sie sind gefeuert. Ab 1. August werden andere in ihre Potsdamer Büros einziehen.

Friedrich ist recht flott unterwegs, wenn es gilt, mehr oder weniger belastete Beamte in die Wüste und ihm ergebene Beamte in führende Ämter zu schicken. Nach den Reißwolf-Orgien im Bundesamt für Verfassungsschutz, bei denen Dokumente zur Nazi-Terrortruppe NSU verschwanden, hatte dessen langjähriger Präsident Heinz Fromm die Flucht in den vorgezogenen Ruhestand angetreten. Nachfolger: Hans-Georg Maaßen, bislang Unterabteilungsleiter für die Bekämpfung von Terrorismus und politischem Extremismus im Bundesinnenministerium. Auch der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) muss bis zum Jahresende gehen. Nachfolger: Helmut Teichmann, einst Bundesinnenministerium, derzeit Leiter des Leitungsstabes im Verteidigungsministerium. Seegers Nachfolger wird offenbar Dieter Roman. Der ist Referatsleiter für Terrorismusbekämpfung im Friedrich-Ministerium. Mit Jürgen Schubert und Franz Palm sollen zwei weitere Spitzenbeamte seines Hauses neue BP-Vizepräsidenten werden. Schubert war Inspekteur der Bereitschaftspolizeien, Palm leitete das Haushaltsreferat in der Zentralabteilung.

Was den Bundesinnenminister zur Tabula rasa an der Spitze der Bundespolizei bewogen hat, ist unklar. Spekulationen schießen ins Kraut.

Unumstritten ist Seeger, seit er vor knapp viereinhalb Jahren das Bundespolizeipräsidium in Potsdam übernommen hatte, nicht. Vor gut sechs Wochen war sogar die Rede von zu engen Beziehungen ins diktatorisch geführte Belorus. Üble Nachrede von Neidern, hieß es. Auch parteipolitische Divergenzen zwischen Friedrich und Seeger werden angeführt.

Mag sein, dass Minister Friedrich mit Seeger nicht klarkam, weil der keine Ruhe in die Truppe brachte, sondern ständig vor Überforderung warnte.

In keiner anderen Sicherheitsbehörde des Bundes hat es seit der deutschen Vereinigung so viele organisatorische Veränderungen gegeben wie bei der Bundespolizei. Seeger sah deutlich, dass die Reform von 2008 - die dritte in nur wenigen Jahren - in die Hose ging. Nicht nur, weil Personalräte vor seiner Tür empört Schlange standen. Die von Friedrich mehrfach geforderte Fusion von BKA und BP scheiterte am Widerstand der beiden Behördenleitungen sowie der meisten Mitarbeiter.

Die der Bundespolizei sehen sich als Ausputzer. Bei jeder Terrorlage müssen sie Sicherheit vorgaukeln, zu den grenz- und bahnpolizeilichen Aufgaben der 40 000 Frauen und Männern mit dem Bundesadler am linken Oberarm kommen Demonstrationseinsätze. Die Fußballindustrie hat Anforderungen, so wie Rüstungskonzerne. Beispielsweise sorgen Bundespolizei-Ausbilder in Saudi-Arabien dafür, dass EADS ein Grenzwachsystem installieren kann. Weitere Staaten sollen folgen. Man ist dabei, wenn in Afghanistan einheimische Polizisten gedrillt werden.

In seltener Einmütigkeit verteidigen die Gewerkschaft der Polizei und die Deutsche Polizeigewerkschaft die Gefeuerten. Jan Korte, Innenexperte der Bundestag-Linksfraktion, macht darauf aufmerksam, dass der Minister mit großer Routine personelle - und damit auch Richtungsentscheidungen - am Parlament vorbei trifft. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach fordert, dass sich die Bundespolizei endlich wieder auf ihren Kernjob, nämlich die Sicherheit, konzentrieren solle und Michael Hartmann, ein Kollege aus der SPD-Bundestagsfraktion, warnt: »Nirgendwo ist erkennbar, wohin der Innenminister bei der inneren Sicherheit steuert.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 30. Juli 2012


Bei der Bundespolizei "rollen Köpfe"

Bundesinnenminister Friedrich entläßt komplette Führungsriege. Kritik von SPD und Polizeigewerkschaften **

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich macht tabula rasa. Nach Angaben aus Koalitionskreisen setzt der CSU-Politiker die komplette Spitze der Bundespolizei vor die Tür und ersetzt sie durch Spitzenbeamte aus dem Bundesinnenministerium. Demnach verlieren Bundespolizeichef Matthias Seeger sowie dessen beiden Stellvertreter Wolfgang Lohmann und Michael Frehse ihre Posten wegen eines »anhaltenden Vertrauensverlustes in ihre Amtsführung«. Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt sei extrem schlecht. Angeblich sollen aus der Bundespolizei auch wiederholt brisante Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sein, hieß es. Neuer Behördenchef soll der bisherige Referatsleiter Terrorismusbekämpfung im Innenministerium, Dieter Roman, werden. Vizepräsidenten werden mit Jürgen Schubert und Franz Palm ebenfalls zwei bislang im Friedrich-Ministerium beschäftigte Top-Beamte. Friedrich werde bereits am Mittwoch das Bundeskabinett über die Personalie unterrichten. Das Bundesinnenministerium erklärte, zu Personalspekulationen nehme man nicht Stellung.

Kritik an der Entscheidung übte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann. »Es rollen einfach Köpfe«, sagte er am Sonntag in Berlin. Friedrich habe seine Entscheidung »ohne wirklichen Grund und Anlaß« getroffen. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, nannte den Vorgang »schäbig und menschlich unanständig«. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Josef Scheuring, beklagte, der Stil der Personalentscheidungen sei »vollkommen inakzeptabel«. Verhalten war auch das Echo in der Union. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte unter Verweis auf Führungswechsel beim Verfassungsschutz im Bund und den Ländern sowie anstehenden Veränderungen im Bundeskriminalamt, er könne sich nicht erinnern, wann es zuletzt in so kurzen Abständen so viele Auswechslungen an den Spitzen der Sicherheitsbehörden gegeben habe. Lob kam derweil von der FDP. Deren Innenexperte Serkan Tören sagte der Bild am Sonntag: »Für einen Neuanfang sind angesichts vieler Verfehlungen personelle Veränderungen unerläßlich«. (dapd/Reuters/jW)

** Aus: junge Welt, Montag, 30. Juli 2012


Konfliktpotenzial

Von Christian Klemm ***

Die Politik drückt auf die Tube. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls bei der Reform des Verfassungsschutzes auf. Jahrelang haben es die Landesämter mit der Geheimhaltung ganz genau genommen. So genau, dass weder ihre Kollegen in anderen Bundesländern noch die Bundesbehörde so recht mitgekriegt haben, wer zur Zeit gerade wen beobachtet. Vermutlich wäre die Mordserie des »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU) wenigstens zum Teil verhindert worden, hätten die Abteilungen des Inlandsgeheimdienstes enger zusammengearbeitet.

Jetzt ist Eile geboten, schließlich muss ein Versagen der Schlapphüte wie bei den NSU-Verbrechen für die Zukunft möglichst ausgeschlossen werden. Es wird deshalb erwogen, einzelne Landesämter für einen besseren Informationsfluss zusammenzulegen. An und für sich ein vernünftiger Vorschlag, doch da machen die Ministerpräsidenten bis auf wenige Ausnahmen nicht mit. Der Grund dürfte einfach sein: Durch das Zusammenlegen würden ihre Einflussmöglichkeiten auf die Ämter dahinschmelzen wie eine Kugel Erdbeereis im Hochsommer. Würden die Pläne Realität, müssten sich mehrere Regierungschefs über das Vorgehen eines Landesamtes verständigen. Das birgt großes Konfliktpotenzial, gehen doch die Vorstellungen, wer beobachtet werden soll und wer nicht, zum Teil weit auseinander. Wenn allerdings kleinliches Kompetenzgerangel für wichtiger gehalten wird als der Kampf gegen Naziterroristen, hätten die Verantwortlichen aus dem NSU-Desaster nichts gelernt.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 30. Juli 2012


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