Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Skandalfirma

Der Verfassungsschutz war schon immer für Skandale gut. Eine nd-Artikelserie von Velten Schäfer

Die "NSU"-Affäre ist kein Einzelfall; bundesrepublikanische Verfassungsschutzbehörden waren schon immer für Skandale gut. Fünf der prominentesten Fälle stellte das "neue deutschland" im Juli/August 2012 in einer Serie vor. Wir dokumentieren im Folgenden die Fälle, die als Dossier auch beim nd erhältlich sind: Verfassungsschutzpannen.

Die Liste des Amerikaners

Skandalfirma Verfassungsschutz: Die "Vulkan-Affäre" von 1953 illustriert das Klima des Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik

Am 22. Januar 1954 saß der Kommunismus dem Bonner Kabinett mal wieder besonders drohend an der Gurgel. Auf der 15. Sitzung der zweiten Adenauer-Legislatur klagten die Minister ihr Leid: »Unter Bezugnahme auf die bekannten Angriffe in der kommunistischen Presse gegen den Bundesminister für Vertriebene stellt der Bundeskanzler fest, dass diese Angriffe völlig unberechtigt seien und jeder Grundlage entbehrten«, heißt es in der Zusammenfassung des Sitzungsprotokolls. Dann »beschwert sich der Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit darüber, dass er seit Monaten Freiwild der Presse wegen der Vulkan-Affäre sei. Offenbar seien auch Vorgänge aus dem Bundeskanzleramt der Presse zugänglich gemacht worden.« Die Angelegenheit trieb Konrad Adenauer auch persönlich um: »Der Bundeskanzler spricht die Befürchtung aus, dass auch die Post kommunistisch durchsetzt sei, so dass manche Dinge auf diesem Wege durchsickerten«, beschließt das Kurzprotokoll den Tagesordnungspunkt.

Tatsächlich hatte die Runde nur wenig Grund zur Klage. »Vertriebenenminister« Theodor Oberländer, während des Krieges u.a. »Sachverständiger für die Behandlung fremden Volkstums« des von der deutschen Abwehr unter ukrainischen Gefangenen »rekrutierten«, berüchtigten »Bataillon Nachtigall«, das sich in Lemberg an Massakern beteiligte, konnte noch jahrelang amtieren. Und nicht einmal Vizekanzler und Minister Franz Blücher (FDP) ist über die »Aktion Vulkan« gestürzt.

Allein das macht deutlich, was für eine Hetzjagdstimmung im erweiterten Vorfeld des westdeutschen KPD-Verbotes herrschte: Man stelle sich vor, der jetzige Vizekanzler setzte sich vor die Presse, verläse eine lange Namensliste vermeintlicher kommunistischer Agenten und es stellte sich hinterher heraus, dass all das der reine Humbug war - wobei sich einer der Verhafteten das Leben genommen hatte.

Nicht nur dieser Selbstmord macht die Wirtschaftsspionageaktion, die nicht mit der Affäre um die Vulkan-Werft in den 1990er Jahren zu verwechseln ist, zu einer ernsten Sache. Mit Abstand liest sich die Geschichte dennoch wie eine schlechte Agentenkomödie: Ein zwielichtiger Amerikaner, der für weiß Gott wen gearbeitet hatte und aus der DDR zu den Westdeutschen übergelaufen war, hatte die Namen genannt - und die Schlapphüte, vom Erfolg berauscht, holten zum großen Schlag aus, anstatt die Informationen zu prüfen.

Günter Nollau, seit den ersten Tagen beim Verfassungsschutz und von 1972 bis zur Guillaume-Affäre deren Chef, hat die Panne in seinen Erinnerungen als »Kinderkrankheit« bezeichnet: Tatsächlich hatten auf der Liste des Amerikaners wohl Personen gestanden, die aus DDR-Sicht für einen künftigen Anspracheversuch in Betracht kommen könnten, von dieser Einschätzung aber nichts wussten - etwa Kaufleute mit Ost-West-Verbindungen. Einige von ihnen haben jahrelang um ihre Ehre kämpfen müssen und schwere geschäftliche Einbußen erlitten.

Otto John, der damalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, machte in seinem Memoiren Franz Blüchers Geltungssucht verantwortlich: Während Adenauers USA-Reise im Frühjahr 1953 habe der farblose Vize von der kleinen FDP auch mal auf die Pauke hauen wollen. Außerdem beklagte John den »Übereifer« der Geheimen. Wes Geistes Kind dieses überzogene Engagement gewesen ist, sagte John gar nicht so lang nach der oben beschriebenen Kabinettssitzung unter freilich merkwürdigen Umständen: Plötzlich tauchte er - ein Mann aus dem Umfeld der Attentäter vom 20. Juli, der von den Briten ins Amt gehoben worden war - in Ostberlin auf, um sich zu beklagen, dass der West-Dienst voll sei von Nazis und Scharfmachern. Die Bonner Regierung war entsetzt. Innenminister Gerhard Schröder (CDU) ließ verbreiten, John sei verschleppt worden - was nicht einmal die »Welt« glauben wollte. Sie zitierte eine CDU-Abgeordnete mit dem Ausdruck »Kindergartenerzählung«.

Wie auch immer: Im Dezember 1955 wechselte John nach Westen zurück, um sich im folgenden Prozess mit genau dem Argument zu verteidigen, er sei unter Drogen gesetzt und entführt worden. 1956 wurde John in der Bundesrepublik zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er zwei absitzen musste. Zeit seines Lebens hat Otto John an der Entführungs- und Drogengeschichte festgehalten.

(neues deutschland, Dienstag, 31. Juli 2012)


Nicht sein kann, was nicht sein darf

Skandalfirma Verfassungsschutz: Wie in der »Affäre Traube« ausgerechnet die Geheimen dem »Atomstaat« einen mächtigen Gegner schufen

Kurz nach der Wiener Opec-Geiselnahme wurde das Haus des damaligen Atom-Topmanagers Klaus Traube verwanzt. Er kannte jemand, der jemand kannte - und stammte aus linkem Hause. Später wurde er zur Gallionsfigur der Anti-Atomkraftbewegung.

Viel von dem, was Klaus Traube in seinem ersten Leben beschäftigt hat, ist auf scharfe Kritik gestoßen. Zum Beispiel der »Schnelle Brüter« in Kalkar, für dessen Entwicklung der 1928 geborene Manager und Wissenschaftler in den 1970er Jahren als Direktor von »Interatom« zuständig war - und der den Atomkraftgegnern als Beton gewordener »Atomstaat« galt. Und es gab kaum jemand, der selbst ein so scharfer Kritiker der Atomindustrie gewesen ist wie Klaus Traube in seinem zweiten Leben: Bereits in den 1980er Jahren befasste er sich mit alternativer Energie, später engagierte er sich in Umweltverbänden.

Die Verbindung zwischen den beiden Leben des Klaus Traube ist gewissermaßen das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dieses sorgte Mitte der 1970er nämlich dafür, dass Traube seinen Job bei der Atomwirtschaft verlor. Im Dezember 1975, kurz nach der blutigen Opec-Aktion in Wien, verwanzte der Dienst Traubes Haus und nahm später Kontakt zum Arbeitgeber auf. Die Firma, davon zutiefst beeindruckt, feuerte ihren Top-Mann schließlich. Und alles nur, weil der VS glaubte, Traube habe Kontakt zum Terrorismus.

Nach VS-Papieren, die 1977 zum »Spiegel« gelangten, hatte man sich generalstabsmäßig auf die Wanzen-Aktion vorbereitet. Tagelang trieben sich falsche Angler um Traubes Haus herum, um schließlich nachts einzubrechen - illegal, ohne Gerichtsbeschluss. Ein Experte vom BND soll das Schloss geknackt haben. Man installierte hinter dem Schreibtisch eine Wanze mit 1200 Stunden Sendezeit. Heraus kam allerdings nichts. So wie bei allen anderen Maßnahmen, die bereits zuvor gegen Traube getroffen worden waren, etwa monatelange Postkontrollen und Telefonmitschnitte.

Wie war der VS überhaupt auf die Idee gekommen, der Spitzenexperte der Atomindustrie könne Terror-Helfer sein? SPD-Mitglied Traube hatte eine kommunistische Mutter; sein Vater hatte sich unter dem Druck antisemitischer Verfolgung 1936 das Leben genommen. Noch dazu kannte er eine Frankfurter Anwältin, die oft Fälle aus dem linken Milieu übernahm - und zeitweise mit Hans-Joachim Klein liiert war, einem der sechs Terroristen, die im Dezember 1975 in das Wiener Opec-Gebäude eindrangen und u.a. elf Minister als Geiseln nahmen. Mit Klein dürfte Traube zuvor tatsächlich beiläufig zusammengetroffen sein. Mehr aber gab es nicht, auch nach Monaten des Mitlesens und Lauschens.

Für den VS war das nicht hinnehmbar - kurz nach der blutigen Aktion in Wien setzte man Traube die Wanzen ins Haus. In den Papieren ist von seiner »Herkunft« die Rede, wenn es um Gefährdungspotenziale geht. Der VS ging davon aus, Traube würde dem Terror zur Bombe verhelfen. Dass ein Manager wie er nur gern mit Linken essen ging, konnte man sich nicht vorstellen: weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Man darf davon ausgehen, dass solche Vorfälle an niemand spurlos vorübergehen. Insofern hat der Verfassungsschutz mit seiner Aktion der Anti-Atomkraftbewegung eine wichtige Galionsfigur zugetrieben. Einen, dem niemand vorhalten konnte, von der Sache keine Ahnung zu haben. Und weil das falsche Ziel eine Nummer zu groß war, ist der Traube-Fall auch sonst ein Solitär unter den Verfassungsschutzskandalen: Innenminister Werner Maihofer war deutlich angeschlagen, wenige Monate nach der Veröffentlichung des »Spiegel« trat er zurück - wenn auch unter Verweis auf andere Fehler.

(neues deutschland, Freitag, 3. August 2012)


Eine Kiste voll Pistolen

Skandalfirma Verfassungsschutz: Peter Urbach war der erfolgreichste Provokateur der deutschen Geschichte. Angeblich starb er vor einem Jahr

Bereits seit den frühen 1970er Jahren ist bekannt, dass die ersten Bomben des westdeutschen Linksterrorismus direkt vom Staat kamen. Irgendwelche Konsequenzen gab es nie.

Das letzte, was von Peter Urbach zu hören war, sind die Nachrufe aus dem Frühjahr. Angeblich ist er 2011 in Kalifornien gestorben, wo er zuletzt als Rohrleger gejobbt haben soll. Das war sein Beruf, und das war seinerzeit auch sein Eintrittsbillett in die militante Szene Westberlins. Nach 1968 verschaffte er sich als Handwerker, der auch mal was reparierte, Zugang zu der Welt der Radikalen. Er kokettierte mit dem Proletarischen, das er an sich hatte. Und als er dann enttarnt war, konnten viele das gar nicht glauben.

Die Urbach-Geschichte ist tatsächlich abgrundtief. Urbach, und mit ihm der Berliner Verfassungsschutz, bilden einen Ausgangspunkt der politischen Gewalt der 1970er. Der unauffällige Mann, der auf einem Foto mit Strickjäckchen zwischen dem wilden Kommunarden Fritz Teufel und Anwalt Otto Schily zu sehen ist, trieb die Militarisierung der Studentenbewegung tatkräftig voran.

Auf der Kundgebung gegen den Springer-Verlag nach dem Attentat auf Rudi Dutschke versorgte er die erzürnten Demonstranten aus einem Korb mit Molotow-Cocktails. Er platzierte Sprengutensilien in Wohnungen, die dann »gefunden« werden konnten. Den Militanten bot er die berühmte »Kiste voll Pistolen« an.

»Ohne die Starthilfe« durch den Berliner Innensenator Kurt Neubauer (CDU) »und die staatlich geförderte Tatkraft seines Agenten Urbach wäre die RAF womöglich gar nicht entstanden«, schrieb die »Süddeutsche Zeitung«. Der frühere Studentenführer Tilman Fichter nannte Urbach den »erfolgreichsten Provokateur der Geschichte« und »Waffenmeister« der ersten RAF-Generation.

Der Zynismus der Staatsschützer raubt bis heute den Atem. Was wäre passiert, wenn 1969 die Urbach-Bombe an der Route des US-Präsidenten Richard Nixon explodiert wäre? Was hätte man dann mit linken Studenten gemacht?

Besonders unklar ist bis heute die Geschichte der berühmtesten Bombe von Peter Urbach, die am 9. November 1969 im Jüdischen Gemeindehaus gefunden wurde. Seit dem 2005 erschienenen Buch von Wolfgang Kraushaar ist wohl unbestreitbar, dass auch sie vom Verfassungsschutz kam. Wie gefährlich war sie aber? In der Westberliner »Abendschau« wurde zeitgenössisch die Detonation eines »Duplikats« vorgeführt - eine gewaltige Explosion, die viele Todesopfer gefordert hätte. Kurz danach jedoch soll der Innensenator im Abgeordnetenhaus unter der Hand abgewiegelt haben, es sei nur ein Brandsatz gewesen. Auch Beteiligte schildern das im Nachhinein so. Wie es nun war, wird man nie erfahren. Trotz der Aussagen des von der Aktion angewiderten »Haschrebellen« Bodo Saggel ist die Geschichte nie umfassend aufgeklärt worden.

Peter Urbach hatte sich, wie auch Rudi Dutschke, aus der DDR abgesetzt. Der Legende nach war er als »Maoist« bei der Berliner S-Bahn von den »Stalinisten« der SEW gemaßregelt worden, dem Westberliner SED-Ableger. Das glaubten viele »Antiautoritäre« gerne. Nur Dutschke soll gemutmaßt haben, dass Urbach mit den DDR-Diensten zu tun hatte.

Doch gefunden wurde bisher nichts dergleichen. Günter Langer, ein ehemaliger Weggefährte, nennt Urbach heute einen »antikommunistischen Adrenalin-Junkie«, der in die Höhle des Löwen gewollt habe.

Bekannt ist das Doppelleben des Peter Urbach, seit er 1971 gegen Horst Mahler aussagte und dann in den USA verschwand. Fragen zu Bomben und Waffen, hatte er dem Gericht erklärt, könne er nicht beantworten. Von Konsequenzen für die Verantwortlichen der unglaublichen Berliner Bomben-Saga hat man nie gehört.

(neues deutschland, Dienstag, 7. August 2012)


Ist doch unsere Mauer!

Skandalfirma Verfassungsschutz: Die Affäre um das »Celler Loch« zeigt, dass nichts so ist, wie es scheint - wenn der VS in der Nähe ist

Die Geschichte um das »Celler Loch«, einem vom Verfassungsschutz inszenierten Ausbruchsversuch, wird inzwischen als launige Anekdote behandelt. Dabei zeigt die Episode aus dem Niedersachsen der späten 1970er vor allem, wie dreist und folgenlos gelogen wird, wenn der Verfassungsschutz im Spiel ist.

Unter welchen Umständen ist es nicht strafbar, mit einem lauten Rumms ein Loch in die Außenmauer eines Gefängnisses zu sprengen? Wenn man selbst der Staat ist, also der Eigentümer des Kittchens. Denn dann ist keinem Dritten ein Schaden entstanden.

Niedersachsen hat so tatsächlich einmal argumentiert, als es gerade ein bisschen peinlich wurde. Aber das ist noch längst nicht der Clou am so genannten »Celler Loch«, das Verfassungsschutz und GSG 9 im Jahr 1978 in die Außenmauer des Celler Gefängnisses sprengten, um eine versuchte Befreiung des linksradikalen Militanten Sigurd Debus vorzutäuschen und so Spitzel in das RAF-Milieu einzuschleusen. Das beste an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass ein Ex-VS-Mann 1982 Anzeige erstattete und haarklein erzählte, was Sache war. Aber niemand wollte das hören, hatte doch die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen soeben eingestellt, weil die Hintergründe angeblich nicht zu recherchieren waren.

Einige Monate später wurde die Geschichte dann doch in kleinem Kreise offenbar - die Landesregierung informierte die parlamentarische Kontrollkommission. Bis die Bürger von der Aktion erfuhren, vergingen indes weitere Jahre. Erst im April 1986 wurde ruchbar, wer die Bombenleger gewesen waren. Doch die Staatsanwaltschaft Lüneburg stellte die Ermittlungen nach einem Tag erneut ein. Es gab ja, siehe oben, keine Geschädigten!

Im Herbst 1986, also acht Jahre nach der Aktion, wurde dann in Hannover ein U-Ausschuss installiert, der freilich der Regierung von Ernst Albrecht (CDU) nicht zu nahe trat. Albrecht, der Vater der heutigen Bundesarbeitsministerin, log dabei, dass sich die Balken bogen: Nicht nur Debus‘ Ausbruch - zu dem es jenseits des VS-Szenarios keinerlei Pläne gegeben hatte - sei »verhindert« worden, im Zuge der Aktion habe man eine »geplante Mordtat« vereitelt und einen »Bombenanschlag« gestoppt.

Albrechts wilde Ammenmärchen über eine in Hamburg angeblich entdeckte Bombe, ein bereits vorbereitetes »Volksgefängnis«, gar eine aufgedeckte ETA-Zelle waren vollkommen haltlos. Doch über solche Lügen ins Gesicht der Nation lachte man in den 1980er Jahren allenfalls herzlich. Albrechts Innenminister Egbert Möcklinghoff (CDU) verstieg sich in diesem Zusammenhang zu dem legendären Spruch, die »Irreführung der Öffentlichkeit« sei nun mal »kein Straftatbestand«.

Debus hatte um 1974 in Hamburg offenbar eine Art zweite RAF aufbauen wollen, wurde aber nach einem Bankraub festgenommen, weil in seiner Gruppe ein Spitzel war. Nun stürmte man seine Zelle nur fünf Minuten nach der Explosion der Verfassungsschutzbombe. Die beiden Kleinkriminellen, die als V-Leute in die militante Szene eingeschleust werden sollten, waren ihm im Gefängnis nahegebracht worden. Sie hatten auf Geheiß des VS auch allerlei Utensilien »eingeschmuggelt«, die sich nun als Ausbruchswerkzeug bei Debus »sicherstellen« ließen, etwa ein »Engelshaar« zum Zersägen von Gitterstäben.

Debus, dem zuvor Hafterleichterungen gewährt worden waren, damit er mit den beiden Spitzeln in spe in Kontakt kommen konnte, wurde anschließend wieder unter scharfen Bedingungen gehalten - und die Aufklärung der Affäre hat er nicht mehr erlebt. 1979 wurde Sigurd Debus nach Hamburg verlegt, wo er zwei Jahre später nach einem Hungerstreik verstarb. Sein Vater Jürgen Debus schrieb dazu einen offenen Brief: Seiner Meinung nach war nicht der Hungerstreik selbst, sondern ein »Gefäßüberdruck infolge von Überinfundierung oder infolge der Zusammensetzung der Infusionslösung (Beigabe von Fettemulsion)« die Todesursache.

(neues deutschland, Freitag, 10. August 2012)


Mordwaffe im Panzerschrank

Skandalfirma Verfassungsschutz: Niemand wird jemals erfahren, wie genau der linke Studenten und V-Mann Ulrich Schmücker starb

Wie kommt eine Mordwaffe in den Verfassungsschutztresor? Weil die Staatsschützer einem politischen Mord zugesehen haben. Und das wäre noch die sauberste Erklärung für den bizarren Mordfall um Ulrich Schmücker im Juni 1974.

Auf welches Land würden Sie bei folgender Story tippen? Ein junger Student, Mitglied in oppositionellen Gruppen und Geheimdienstspitzel, wird erschossen aufgefunden - und 15 Jahre später taucht die Tatwaffe in einem Geheimdiensttresor auf: Klingt das nach Belarus? Nach der Ukraine? Jemen? Weit gefehlt. Es handelt sich um die Bundesrepublik Deutschland der 1970er und 1980er Jahre - und der betreffende Geheimdienst war niemand anders als das Westberliner »Landesamt für Verfassungsschutz«.

Die bizarre Geschichte um den Mord an Ulrich Schmücker gehört zu den Höhepunkten der Skandalchronik westdeutscher Inlandsgeheimdienste. Denn immerhin geht es hier um nichts anderes als das, was im Schlapphutjargon angeblich eine »nasse Sache« genannt wird. Und bis heute ist nicht wirklich zu klären, wer den damals 22-Jährigen in der Nacht des 4. auf den 5. Juni 1974 im Grunewald aus kurzer Distanz niederschoss.

Dabei hat man dies mit erheblichem Aufwand versucht: Um seinen Tod entspann sich zwischen 1976 und 1991 der längste Strafprozess in der Geschichte der Bundesrepublik - der irgendwann im Nichts endete. Im vierten und letzten Verfahren verkündete das Gericht schließlich entnervt, angesichts der offenkundigen vielfachen Manipulation des Verfahrens »trotz Tatverdachts« kein Recht sprechen zu können.

Dieser Offenbarungseid des Rechtsstaates war immerhin ehrlich - und damit schon das Erfreulichste an dem in vier Prozesse zerfallenden Verfahren, das unglaubliche 591 Verhandlungstage dauerte. Dreimal waren zuvor Mitglieder einer linksradikalen Kommune aus Wolfsburg verurteilt worden, dreimal hatte der Bundesgerichtshof das Urteil wieder kassiert.

War es tatsächlich der »Fememord«, als der der Fall zeitgenössisch dargestellt wurde? Ulrich Schmücker war 1972 als Mitglied der »Bewegung 2. Juni« in Bonn verhaftet worden, wo die Militanten eine Attacke auf das türkische Konsulat geplant hatten. Im Gefängnis hat Schmücker als V-Mann »Kette« kooperiert. Wie weit diese Zusammenarbeit ging, ist nicht ganz klar; auffallend ist, dass Schmücker für den Bombenplan nicht über die U-Haft hinaus einsaß. Einen fingierten Ausbruch, der ihm eine neue Legende hätte geben können, soll Schmücker dabei abgelehnt haben.

Wer den jungen Studenten tatsächlich ermordet hat, wird bis auf Weiteres gerichtlich unklar bleiben. Mitte der 1980er Jahre aber - zu diesem Zeitpunkt hatten die Verurteilten schon mehrere Jahre Gefängnis hinter sich - stellte sich plötzlich heraus, wer zumindest indirekt dabei war: der Berliner Verfassungsschutz, der offenbar kurz nach der Tat für ein Jahrzehnt die Mordwaffe verschwinden ließ.

Ging die Initiative tatsächlich auf ein Komplott der Szene zurück, hat der VS »nur« zugesehen? Wilde Pläne hatten Schmückers Genossen sehr wohl geschmiedet. Und die Geheimen, die das alles wussten, hätten immerhin einen theoretischen Grund gehabt, einen Mord geschehen zu lassen: Viele ihrer Informationen über die Militanten stammten vom V-Mann »Wien« alias Peter Weingraber, der in der Szenekneipe »Tarantel« arbeitete. Eine Intervention in Sachen Schmücker hätte den Topspitzel am Zapfhahn verraten können. Weingraber soll auch die Mordwaffe zum Verfassungsschutz gebracht haben.

Diese Version ist die »sauberste« mögliche Erklärung. Denkbar wären auch ganz andere Deutungen. Immerhin ist bekannt, dass Schmücker mindestens einmal versucht hat, seinen VS-Kontaktmann »Peter Rühl« alias Michael Grünhagen vor seinen Genossen zu enttarnen. Weingraber soll mit dem Spitzelgeld ein hübsches Weingut in Italien betreiben. V-Mann-Führer Grünhagen ist angeblich 1988 sehr jung an Hautkrebs verstorben - da prüfte der BGH gerade das zweite Urteil im Skandalprozess.

Aus Sicht der Demokratieschützer von Landesamt kam auch dieser vermeintliche Todesfall gerade zur rechten Zeit - schließlich soll Grünhagen auch der Agentenführer des berühmtem Sprengstoffprovokateurs und Verfassungsschutz-IM Peter Urbach gewesen sein. Einer wie er hätte wahrlich etwas zu erzählen. Müßig zu erwähnen, dass es auch andere Theorien über den Verbleib des Michael Grünhagen gibt.

Klar ist bei all dem eigentlich nur eins: Für eine solche Geschichte muss wirklich niemand nach Belarus fahren.

(neues deutschland, Dienstag, 14. August 2012)

Damit endete die nd-Serie von Velten Schäfer über Skandale des Verfassungsschutzes. Alle Texte im Dossier Verfassungsschutzpannen.


Zurück zur Verfassungsschutz-Seite

Zur Seite "Kalter Krieg"

Zurück zur Homepage