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Gegen Bekenntniszwang

Antifaschistische Initiativen verweigern "Demokratieerklärung"

Von Markus Bernhardt *

Die Politik von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) bezüglich der Förderung von Projekten, die sich gegen Neofaschismus engagieren, sorgt zunehmend für eine Spaltung zwischen den in diesem Bereich tätigen Organisationen und Initiativen.

So nötigt das Bundesfamilienministerium Organisationen, die Fördergelder etwa aus dem Bundesprogramm »Vielfalt tut gut« und »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« abrufen wollen, eine Erklärung zu unterzeichnen, mit der sie sich verpflichten, ihre Bündnispartner auf deren Verfassungstreue zu überprüfen, gegebenenfalls Informationen über die potentiellen Partner beim Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz einzuholen und sich selbst zur »Demokratie« zu bekennen.

Aller Kritik von Fachleuten zum Trotz und obwohl neofaschistische Gewalt vielerorts in der BRD ansteigt, hält die CDU-Familienministerin daran fest, die vom Bund geförderten Programme gegen Rechtsextremismus als »Extremismusbekämpfungsprogramme« unter Berücksichtigung der Bekämpfung angeblich »linksextremistischer« und »islamistischer« Bestrebungen weiterzuführen.

Zwar können seit Anfang letzten Jahres nicht nur Opfer rechter Gewalt, sondern auch Betroffene von »linker und islamistischer Gewalt« Härtefallleistungen beim Bundesamt für Justiz beantragen. Diese Möglichkeit blieb jedoch bisher ungenutzt. So beantragten in den ersten acht Monaten des letzten Jahres 71 Opfer rechter Gewalt die Hilfsleistung, mit Verweis auf »linke« oder »islamistische« Gewalt jedoch kein einziger.

»Ich begrüße sehr, daß viele Initiativen sich weigern, dem von Frau Schröder geforderten Bekenntniszwang nachzukommen«, erklärte etwa Professor Heinrich Fink, Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) am Dienstag im Gespräch mit junge Welt. Nur wenn sich das Gros der Initiativen verweigere, sähe er »zumindest eine Chance, daß die politischen Entscheidungsträger zukünftig auf diese undemokratische Klausel verzichten« , so der ehemalige Rektor der Berliner Humboldt-Universität weiter. Harsche Kritik übte Fink daran, daß das Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus unter anderem eine Gedenk- und Bildungsfahrt zum ehemaligen Vernichtungslager Ausschwitz nicht mehr durchführen könne, weil die Initiative sich geweigert hatte, die »Demokratieerklärung« zu unterzeichnen. Die Politik der Bundesregierung führe mittlerweile dazu, daß das so oft eingeforderte zivilgesellschaftliche Engagement nicht mehr geleistet werden könne.

Der vorläufige Höhepunkt in der Auseinandersetzung um das staatlich verordnete Ausspähen von antifaschistischen Organisationen war bereits im November erreicht. Da weigerte sich das links-alternative Pirnaer Kultur- und Bildungszentrum AkuBiZ aufgrund der zu unterzeichnenden »Demokratieerklärung«, den mit 10000 Euro dotierten Sächsischen Demokratiepreis anzunehmen.

Mittlerweile existieren mehrere Gutachten – etwa vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages –, die das Vorgehen des Familienministeriums als verfassungswidrig einschätzen.

* Aus: junge Welt, 1. Juni 2011


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