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Erste Projekte gestrichen

Weil Vereine die Demokratieerklärung nicht unterzeichnen, müssen sie auf Fördermittel verzichten

Von Katja Herzberg *

Offene Briefe, ein Aktionstag und wiederholte Statements gegen die sogenannte Extremismusklausel konnten ihre Rücknahme bislang nicht erzielen. Weil mehrere Vereine sie nicht unterschreiben, fallen nun Projekte gegen Rechtsextremismus weg.

Es ist eine Gratwanderung. Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, sind auf Fördermittel angewiesen. Um Geld aus dem Bundesprogramm »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« zu erhalten, müssen sie aber die Demokratieerklärung unterzeichnen, gegen die Gewerkschaften, Kirchenverbände, Parteien und Jugendorganisationen seit Monaten protestieren. Einige Organisationen können sich daher nicht darüber freuen, wenn sie dieser Tage einen positiven Bescheid bekommen. Sie stehen allein vor der Entscheidung, die Demokratieerklärung, die die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) weiter verteidigt, zu unterzeichnen oder sich zu weigern. Dies gefährdet viele Projekte, einige sind bereits gestrichen.

So muss das selbstverwaltete Jugendkulturzentrum »Conne Island« in Leipzig sein Projekt zur Geschichte des Hauses vorerst ad Acta legen. »Wir haben die Demokratieerklärung letzte Woche nicht unterschrieben und verzichten damit auf die Fördermittel«, berichtet Sebastian Kirschner vom Trägerverein.

Neben dem »Conne Island« weigerten sich drei weitere Leipziger Vereine, die Extremismusklausel zu unterzeichnen – darunter der Frauenkultur e.V., der eine Publikation über rechtsextreme Frauen erstellen wollte. Aufgrund dieses Widerstands betrachtet nun auch der Ausschuss, der die Projekte auswählte, die Klausel als »staatlichen Eingriff in zivilgesellschaftliches Engagement«. Kirschner kann sich darüber nur wenig freuen. »Diese Positionierung finden wir gut, aber es bleibt dabei, dass wir wohl keine Gelder bekommen.«

Besser geht es den in Berlin ansässigen Beratungsteams »Reachout« und der »Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus« (MBR). Sie haben zwar die Klausel nicht erfüllt, können aber vorerst weiterarbeiten. »Wir haben diese antidemokratische Extremismusklausel nicht in vollem Umfang unterschrieben«, sagt Bianca Klose, Geschäftsführerin der MBR. Überprüfen zu müssen, dass sich alle Partner zur »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« bekennen, empfindet Klose als Aufforderung zur Bespitzelung. »Uns und unseren Partnern wird mit massivem und ungerechtfertigtem Misstrauen begegnet.« Das Bekenntnis zu den Zielen des Grundgesetzes hat der Koordinierungsstelle für das Bundesprogramm aber nicht ausgereicht. Die Zuwendung für die Beratungsprojekte in Berlin wurde widerrufen. Damit hängt die Finanzierung der MBR zurzeit an Mitteln des Landes Berlin. Wenn die Bundesregierung ihre Position zur Extremismusklausel allerdings beibehält, seien Stellen von Mitarbeitern gefährdet. »Damit wäre unsere Arbeit nicht mehr in vollem Umfang möglich«, fürchtet Klose.

Die gravierendsten Auswirkungen zeigt die Gesinnungsprüfung bei kleinen Projekten, die von den Kommunen mit Hilfe von »Lokalen Aktionsplänen« ausgewählt werden. In Berlin betrifft dies etwa die Straßensozialarbeiter von Gangway e. V. In einem Offenen Brief fordern Jugendliche, die sich selbst als Kiezagenten in Berlin-Kreuzberg engagieren, dass die Unterschrift der Demokratieerklärung nicht zur Bedingung für die weitere Förderung ihres Projekts bis 2013 gemacht wird. Noch sei ihr Antrag nicht beschieden worden, sagt Elvira Berndt. Die Geschäftsführerin von Gangway e. V. weiß nicht, wie sie sich verhalten wird, wenn die Kiezagenten für förderungswürdig erachtet werden. Die Jugendlichen sollen darüber aber mitentscheiden können.

Während weitere Initiativen in Sachsen, Bayern und Hamburg die Extremismusklausel ablehnen, versuchen Politiker der Linkspartei, SPD und Grünen zumindest eine Änderung der Klausel zu erreichen. Am Freitag bringt der Berliner Senat dazu einen Entschließungsantrag in den Bundesrat ein. Zudem prüfen Vereine, die die Demokratieerklärung nicht unterzeichnen wollen, ob sie gerichtlich gegen den Passus vorgehen können. Mehreren Rechtsgutachten zufolge sei die Kontrolle und Weitergabe der Gesinnungsprüfung an Kooperationspartner nicht haltbar.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Mai 2011


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