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Extremismusklausel gekippt

Verein aus Pirna siegt vor Gericht mit einer Klage gegen den Bekenntniszwang

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Das Bundesfamilienministerium verlangt von Demokratievereinen ein Bekenntnis, bevor Fördergelder gezahlt werden. Zu Unrecht, wie ein Gericht in Dresden am Mittwoch urteilte.

600 Euro Fördergelder hatte das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (Akubiz) beim Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge beantragt, um mit einem Flyer an das vergessene Außenlager des KZ Flossenbürg in Königstein erinnern zu können. Das Geld wurde bewilligt – unter der Voraussetzung, dass der Verein zuvor die sogenannte Demokratieerklärung, weithin als Extremismusklausel bezeichnet, signierte. Der Verein lehnte ab – und erhielt kein Geld.

Zu Unrecht, urteilte gestern das Verwaltungsgericht Dresden. Dass die Förderung mit Verweis auf die nicht geleistete Unterschrift verweigert wurde, sei »rechtswidrig« – weil es erhebliche Einwände gegen die Klausel gibt. Diese sei zumindest in Teilen »nicht ausreichend bestimmt«, hieß es in der kurzen mündlichen Begründung.

Schon diese kann als Ohrfeige für das von CDU-Frau Kristina Schröder geführte Bundesfamilienministerium angesehen werden. Es ist der eigentliche Kontrahent des Demokratievereins in dem juristischen Streit. Das Ministerium bindet die Vergabe von Fördermitteln seit einiger Zeit an ein Bekenntnis zur Demokratie und zum Grundgesetz – und verpflichtet die Empfänger, sich auch für alle ihre Partner zu verbürgen. So solle, wie es in der Klausel heißt, verhindert werden, dass der »Unterstützung extremistischer Strukturen Vorschub geleistet« wird.

Das Geld, welches der Pirnaer Verein beantragt hatte, sollte aus einem größeren Topf fließen, den der Landkreis vom Bundesministerium erhalten hatte. Damit sei die »Auflage« verbunden, Empfängern die Unterschrift abzuverlangen, sagt Jana Mocker-Leikauf, Juristin des Landkreises. Sie fügte hinzu, man befinde sich damit in einer »unglücklichen Position«.

Der Verein verweigerte die Unterschrift aus mehreren Gründen. Er sieht zum einen einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes, sagte Anwalt Robert Uhlemann. Niemand dürfe wegen seiner politischen Ansichten benachteiligt werden: »Nichts anderes macht aber die Klausel.« Zudem sei unklar, in welcher Form die »Gesinnungsüberprüfung« der Partner praktisch erfolgen solle. Schließlich würde mit vielen ungenügend konkreten Begriffen gearbeitet. Daran änderten auch die »Hinweise für Demokratie« nichts, die inzwischen als eine Art Hilfestellung für die Antragsteller ausgereicht werden.

Über die Extremismusklausel und den Umgang damit wird seit Monaten gestritten. Gutachter wie der Jurist Ulrich Battis nennen die Klausel »verfassungsrechtlich bedenklich«. Timo Reinfrank von der Berliner Amadeo-Antonio-Stiftung nennt sie das »Resultat einer verfehlten Politik gegen Rechts«. Sie bewirke ein »permanentes Misstrauen« und halte von der eigentlichen Arbeit ab: »Wir würden uns sehr gern mit anderen Dingen beschäftigen.« Negative Auswirkungen auf die Arbeit von Demokratieprojekten seien bereits zu beobachten. So hätten Ehrenamtliche ihre Arbeit beendet. Ausdruck der Verunsicherung sei, dass Besucher von Veranstaltungen sich teilweise per Unterschrift zur Demokratie bekennen müssten. Das schreckte Bürger ab, sagt Reinfrank. Er räumt zugleich ein, dass viele Vereine sich zur Unterschrift entschlossen hätten, um ihre Arbeit nicht zu gefährden.

Die Klausel wird vor allem vom Bundesfamilienministerium verlangt; auch Programme des Innenministeriums enthalten diese Verpflichtung. Zudem hat Sachsen eine leicht veränderte Formulierung eingeführt. Andere Bundesministerium forderten kein solches Bekenntnis, sagte Reinfrank: »Das ist kein Projekt der Bundesregierung, sondern eines von Frau Schröder.«

Endgültig dürfte dieses wohl noch nicht gekippt sei. Das Gericht ließ die Berufung zu. Ob der Landkreis die Möglichkeit nutzt, soll erst mit Vorliegen der schriftlichen Begründung entschieden werden. Das Akubiz ist laut Uhlemann gewillt, den Streit notfalls »bis in die letzte Instanz« zu führen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. April 2012


Teilerfolg für Zivilcourage

Rechtswidrigkeit der »Extremismusklausel« festgestellt. Bundesfamilienministerium will abwarten

Von Marion Baumann **


Nach nur 15 Minuten Anhörung und einer Stunde geheimer Beratung hat das Verwaltungsgericht Dresden die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) initiierte und von antifaschistischen Initiativen sowie der Opposition kritisierte »Extremismusklausel« am Mittwoch für rechtswidrig erklärt.

Die Richter befanden, daß der Bund von Gruppen, denen er Fördermittel gewährt, zwar ein Bekenntnis zum Grundgesetz verlangen kann. Die geforderte Bürgschaft der Empfänger für die freiheitlich-demokratische Gesinnung ihrer Bündnispartner seien aber in Teilen »zu unbestimmt«. Die Formulierungen seien »nicht ausreichend« definiert, so die Vorsitzende Richterin Claudia Kucklick bei der Urteilsverkündung. Es bleibe unklar, wer »Partner« seien oder was genau von den Antragstellern erwartet werde.

Die Richter bezogen sich ausdrücklich auf ein Gutachten des Berliner Rechtswissenschaftlers Ulrich Battis, der bereits im November 2010 »erhebliche Zweifel an der Angemessenheit der Sätze 2 und 3 der Bestätigungserklärung« sah und die Klausel als »verfassungsrechtlich bedenklich« einstufte. Über 100 Aktivisten verschiedener sächsischer Demokratieinitiativen hatten sich vor Prozeßbeginn unter dem Motto »Extrem_ist_in« vor dem Gerichtsgebäude versammelt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ das Gericht eine Berufung vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht zu.

Gegen die Klausel hatte der Pir­naer Verein AkuBiZ e.V. geklagt. Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum hatte 2011 Fördermittel des Bundesprogramms »Demokratie fördern – Kompetenz stärken« beim zuständigen Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge beantragt. Mit den 600 Euro sollten Flyer gedruckt werden, um an ein früheres Außenlager des KZ Flossenbürg in Königstein zu erinnern. Bewilligt wurde dies, die Auszahlung wurde aber an die Bedingung geknüpft, daß die Initiative eine dem Zuwendungsbescheid beigelegte Demokratieerklärung unterzeichne. Der Verein weigerte sich.

Während SPD, Linke und Grüne auf Bundes- und Länderebene in dem Urteil vom Mittwoch »eine klare Niederlage« für Schröder sehen, will das Bundesfamilienministerium »abwarten, bis das Urteil rechtskräftig ist und schriftlich vorliegt«. Es hält die Demokratieerklärung weiterhin für »sinnvoll«, wie Pressesprecher Hanno Schäfer am Donnerstag gegenüber jW betonte. Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Steffen Bockhahn empfahl, die Familienministerin solle das Urteil als Aufforderung verstehen, »endlich die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements zu beenden«.

Landtags- und Bundestagsabgeordnete der Oppositionsparteien begrüßten den Richterspruch. Grüne, SPD und Linkspartei fordern »die ersatzlose Streichung der Extremismusklausel«. Die sächsische Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Die Linke) nannte das Urteil eine »schallende Ohrfeige« für Bundesministerin Schröder und Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU). Der sächsische SPD-Politiker Karl Nolle fühlte sich durch die Klausel an »finsterste, vordemokratische Zeiten« erinnert.

Da die Richter aber nur den Bund betreffende Passagen monierten, sieht das sächsische Innenministerium keinen Handlungsbedarf, wie Pressesprecher Frank Wend am Donnerstag auf jW-Anfrage mitteilte. Der Freistaat bestehe nur auf den ersten Satz der Erklärung, der von den Richtern als zulässig erachtet worden sei. Sachsen ist das einzige Bundesland mit eigener Demokratieerklärung.

** Aus: junge Welt, Freitag, 27. April 2012


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