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Streitfrage: Müssen alle V-Leute abgeschaltet werden?

Es debattieren Sebastian Edathy, MdB SPD, und Hans-Christian Ströbele, MdB Bündnis90/Die Grünen


Nicht erst seit das Verbot der Neonazipartei NPD vor rund zehn Jahren gescheitert ist, wird über Sinn und Unsinn von V-Leuten gestritten. Diese »Vertrauenspersonen« werden von Geheimdiensten angeworben und sollen über Vorgänge in als extremistisch eingestuften Parteien und Organisationen informieren. Durch das Bekanntwerden der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hat die Debatte wieder an Fahrt gewonnen. Denn V-Leute des Verfassungsschutzes waren auch im Umfeld der NSU-Terroristen tätig.

Spagat für den Rechtsstaat

Von Sebastian Edathy *

Darf eine wehrhafte Demokratie nachrichtendienstliche Mittel nutzen, um sich im eigenen Land über potenziell militante extremistische Bestrebungen unterhalb der Schwelle bereits begangener Straftaten ein Lagebild zu verschaffen? Wer diese prinzipielle Frage mit Nein beantwortet, kann an dieser Stelle mit dem Lesen aufhören. Wer dies nicht tut, muss sich freilich mit der Folgefrage beschäftigen, von welcher Institution, in welcher Form und unter welchen Voraussetzungen eine solche Beobachtung massiv antidemokratischer Organisationen und Einzelpersonen rechtsstaatlich erfolgen kann.

Es war eine völlig richtige Entscheidung, bei der Gründung der Bundesrepublik darauf zu achten, dass in (West-)Deutschland nicht erneut eine Polizei mit nachrichtendienstlichen Befugnissen ausgestattet wurde. Es bedurfte und bedarf einer von der Polizei getrennten aber zugleich demokratisch legitimierten Einrichtung, deren Aufgabe die Erkennung von Gefahren für die Demokratie ist, um entsprechende Informationen Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften, gewählten Entscheidungsträgern und nicht zuletzt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Der deutsche Verfassungsschutz ist zweifellos in keiner guten Verfassung. Das stellt ihn nicht an sich in Frage, aber sehr wohl und sehr weitreichend seine aktuelle Struktur und auch seine Methoden. Dazu gehört seine Integration in ein Sicherheitsgefüge, das sich Kontrollen nicht entziehen darf.

In diesem Kontext ist das Thema »V-Leute« nur ein Aspekt. Dieser betrifft, was ich für bedenklich halte, zudem nicht allein den Verfassungsschutz-Bereich, sondern auch die Polizei. Das ist deshalb problematisch, weil die Nutzung von V-Leuten, wenn sie nicht auf Nachrichtendienste beschränkt wird, beinahe zwangsläufig in einen Graubereich führt.

Das Instrument des Einsatzes sogenannter V-Leute allein im Bereich des Verfassungsschutzes ist zudem ohne Zweifel völlig inflationär bis hin zur Beliebigkeit genutzt worden. Ich war entsetzt, als ich im Verlauf der Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses davon Kenntnis nehmen musste, dass man zum Beispiel in Thüringen recht gut über die rechtsextremistische Szene informiert war, aber in etlichen Fällen Hinweise auf geplantes oder sogar vollzogenes strafbares Handeln nicht an die für Ermittlungen zuständigen Stellen weitergab.

Ein Verfassungsschutz ohne konstruktive Rolle als Instanz der Interessen-Wahrnehmung demokratischer Belange wird dysfunktional. Das Sammeln von Informationen als Selbstzweck ist absurd. Im Zweifelsfall eher die eigenen Informanten als das Funktionieren des Rechtsstaats zu schützen, ist unerträglich. Verselbständigungstendenzen des Verfassungsschutzes sind nicht hinnehmbar. Aber: Ist das, wofür der Verfassungsschutz eigentlich da ist, deshalb unnötig? Nein!

Konkret: Seit 20 Jahren entwickeln sich rechtsextremistische Organisationen zunehmend in vergleichsweise losen Bewegungsformen. Wo über die Planung von Straftaten beraten wird, geschieht dies meist nicht etwa in Parteizusammenhängen, sondern zum Beispiel in sogenannten Kameradschaften. Dort einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes unter falscher Identität zu platzieren, dauert entweder lange, womöglich Jahre, oder gelingt erst gar nicht. Es ist für einen Rechtsstaat selbstverständlich ein Spagat, deshalb den Versuch zu unternehmen, durch die Gewinnung von Personen interne Auskünfte zu erhalten, die selber überzeugte Rechtsextremisten sind, aber bereit, internes Wissen gegen Geld an den Staat zu geben.

Deshalb sind nach meiner Überzeugung folgende fünf Punkte klar und verbindlich zu regeln:
  • Kontrolle der Auswahl: Intensivstraftäter dürfen nicht als Informanten in Betracht gezogen werden. Zugleich muss die Anwerbung von Informanten der Einzelfall sein und darf nicht massenhaft und im Verfassungsschutzverbund unkoordiniert erfolgen.
  • Kontrolle der Entscheidung: Demokratisch legitimierte Gremien müssen über das Ja oder Nein der Anwerbung befinden.
  • Kontrolle der Umsetzung: Informanten dürfen nur befristet eingesetzt werden. Die Zahlungen an sie dürfen nicht existenzsichernd sein. Es darf ihnen auch keine Straffreiheit für Taten unterhalb von Propagandadelikten zugesichert werden.
  • Kontrolle der Gestaltung: Es müssen immer mindestens zwei hoch qualifizierte Beamte für jeden Informanten zuständig sein. Bei in Einzelfällen vertretbaren längeren Einsätzen muss dieses Team nach gewisser Zeit ausgetauscht werden.
  • Kontrolle der Auswertung: Es muss konkret nachgewiesen werden, dass erlangte Informationen angemessen ausgewertet und weitergegeben werden. Ein Vorrang des Schutzes von Informanten gegenüber Zwecken der Strafverfolgung ist auszuschließen.
Gelingt die Implementierung dieser Regeln, ist der Einsatz von V-Leuten vertretbar. Nicht als beliebiges Mittel, wohl gemerkt, sondern als ultima ratio.

* Der SPD-Politiker Sebastian Edathy ist Vorsitzender der NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages.


Zweifelhafte Informationsquelle

Von Hans-Christian Ströbele **

V-Mann S. war ein guter Kamerad des Nazi-Trios. Man kannte sich von vielen Treffs der Szene etwa bei Konzerten von Blood & Honour. Mit Beate Z. soll er kurze Zeit liiert gewesen sein. Er hatte dem Trio das Kilo TNT-Sprengstoff besorgt, das in der Garage gefunden wurde. Nach dessen Untertauchen hatte er lange für Unterbringung in Wohnungen von Kameraden in Zwickau gesorgt. Nachdem er Jahre später von der Berliner Polizei als V-Mann rekrutiert war, hat er 2002 für Geld zwar den vagen Tipp gegeben, Jan W. solle drei irgendwie Gesuchten aus Jena Waffen besorgen. Er tat so, als kenne er die nicht. Er hat seinen V-Mann-Führer schlicht an der Nase rumgeführt. Erst 2012 hat er von seiner engen Beziehung berichtet. Jetzt ist er im komfortablen Zeugenschutzprogramm des Staates.

V-Leute in der rechten Szene bleiben Neonazis und Rassisten. Sie verraten ihre »Kameraden« nicht wirklich. Sie liefern unwichtiges »Spielmaterial«. Wenn es doch mal wichtigere Infos sind, werden diese nicht geglaubt und nicht ernst genommen. V-Leute führen die Auftraggeber von Polizei oder Verfassungsschutz zu häufig in die Irre, wie etwa in Nürnberg nach den NSU-Mordtaten. Auf dortige Rundfrage des Verfassungsschutzes bei seinen »Quellen« hieß es, die seien »in der Szene überhaupt kein Thema«. Leider begnügten sich die Sicherheitsbehörden damit.

Häufig weiß die rechte Szene von der V-Mann-Tätigkeit ihrer Kumpane. Die Existenz von Geheimdiensten – wie auch anderer staatlicher Institutionen, etwa des Militärs – wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Also auch nicht deren Arbeitsweisen, etwa der Einsatz von V-Leuten.

V-Leute erhalten häufig viel Geld vom Staat und immer mehr, je mehr Informationen sie liefern. Wenn sie knapp bei Kasse sind, müssen sie sich was einfallen lassen oder Hinweise aufbauschen. V-Mann B. aus Thüringen soll es zu 20 000 DM gebracht haben: Wenn solcher Lohn für »politische Arbeit« ausgegeben wurde, wie B. stets stolz betonte, ist dies der rechten Szene sehr willkommen. So wird der Aufbau rechter Strukturen gefördert, statt sie zu schwächen. In den 2000er Jahren soll der Verfassungsschutz bundesweit bis zu 130 Spitzel in der NPD gehabt haben, eine beachtliche Alimentierung für diese Partei.

Finanzielle Vorteile bleiben V-Männern vielfach auch nach Ende ihrer Tätigkeit für die Ämter. Die endende Zusammenarbeit muss »abgefedert« werden durch Honorare oder Abfindungen. Und bei andauernder Gefährdung erhalten sie gar wegen fortwirkender »Schutzplichten« der Behörde weiter viel Geld. Ausscheidenden V-Leuten wird teure Starthilfe in eine neue Existenz gewährt, zuweilen auch im Ausland.

Hinzu kommt: V-Leute können in existenzielle Abhängigkeit geraten von dieser staatlichen Alimentierung. Dadurch wächst deren Versuchung, gegenüber ihrem Geldgeber berichtete Vorgänge aufzubauschen und zusätzliche Informationen zu »produzieren«, um davon finanziell zu profitieren.

Der langjährigen V-Mann des Verfassungsschutzes Berlin, Volker W., soll es 1979, als seine Dienste publik wurden, zur Absicherung und Identitätswechsel auf 500 000 DM für ein Weingut in der Toskana gebracht haben. Und 1986, als dies bekannt wurde, noch mal auf 450 000 DM zum Untertauchen.

Einsatz und Führung von V-Leuten werden gar nicht oder allenfalls rudimentär kontrolliert. Anders als etwa für Telefonüberwachung und ähnliche Ermittlungsbefugnisse gibt es für V-Leute derzeit keine Kontrolle durch Gericht, Parlament oder unabhängige Kommissionen. Und fraglich bleibt, ob eine effektive Kontrolle von Leuten im Zwielicht von Außen überhaupt möglich ist.

Vor allem sind V-Leute eine äußerst zweifelhafte, von undurchsichtigen Interessen geleitete Informationsquelle. Hinweise zivilgesellschaftlicher Antifa-Initiativen, die etwa rechten Veröffentlichungen im Internet entnommen werden, sind oft viel genauer und zuverlässiger. Unmittelbare Gefahr für Leib und Leben für Menschen wurden bisher durch Warnhinweise von V-Leuten nicht abgewendet.

Die Gewinnung von Informationen zum Schutz der Verfassung durch V-Leute – vor allem aus der rechten Szene – schaden mehr als sie nützen. Sie bleiben ein bemakeltes, untaugliches Instrument, um Grundwerte der Verfassung zu schützen und die Sicherheit der Bürger vor Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt zu garantieren. Der Staat sollte daher auf dieses Instrument verzichten und die bisherigen Einsätze erst mal unabhängig evaluieren.

** Hans-Christian Ströbele ist Rechtsanwalt und für Bündnis 90/Die Grünen Abgeordneter des Bundestages.

Beide Beiträge erschienen in: neues deutschland, Samstag, 15. Juni 2013 ("Debatte")



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