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Staatliche Feindproduktion

Zur Praxis der Berufsverbote

Von Georg Fülberth *

Es wird wohl ein eher stilles Jubiläum werden: Am 28. Januar 1972 legten Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten dar, daß der Staat feststellen durfte, wer sein Feind sei und deshalb nicht sein Diener werden könne. Das war nicht völlig neu. Wer erklären will, woher es kam, sollte weite Wege durch die Geschichte nicht scheuen.

Zunächst noch eine terminologische Klarstellung: Man muß zwischen einem traditionellen und einem politischen Begriff des Berufsverbots unterscheiden. Ersterer wird angewandt, wenn zum Beispiel einem Arzt wegen Kurpfuscherei die Approbation entzogen wird. Den politischen Berufsverbotsbegriff, der die Fernhaltung von Unerwünschten aus dem öffentlichen Dienst meint, gibt es wohl erst seit der Ära Brandt. Damals ging der Terminus auch in den Fremdwörterschatz anderer Sprachen ein, wie »Blitzkrieg« und »Kindergarten«. Die Sache selbst ist älter. Hierzu jetzt.

Der Staat als Eigentümer der Gesellschaft

Wenn in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts die fünf größeren Bauern eines kurhessischen Dorfes, die überhaupt hierzu wahlberechtigt und wählbar waren, einen von ihnen überredet hatten, sich zum Bürgermeister machen zu lassen, mußte die Polizey-Direction nach dem Rechten sehen. Sie war zugleich eine Art Landratsamt und schickte entweder den Fußgendarmen oder den Landbereiter (seinen Kollegen zu Pferd) aus, um festzustellen, ob der Gewählte lesen und schreiben konnte, seine Vermögensverhältnisse in Ordnung waren und er nicht zuviel trank. In der Reaktionszeit nach 1848 kam ein weiteres Kriterium hinzu: Er mußte garantiert »conservativ« sein. Da diese Erkundigungen oft die Fähigkeiten des Polizisten überstiegen, wurde zusätzlich ein Gutachten des Ortspfarrers eingeholt. Urteilten die beiden Amtsträger übereinstimmend positiv, bestätigte die Regierung die Wahl – oft zum Leidwesen des Neuen: Keiner tat das allzu gern, die Feldarbeit blieb liegen, und man hatte nur Scherereien. Aber die Regierung blieb unerbittlich: Auch in den Kommunen wollte sie vertreten sein, der Bürgermeister war kein Organ der Selbstverwaltung, sondern des Staates.

Die Sache hatte ihre Logik: Noch war man im Absolutismus, und die Gesellschaft gehörte dem Monarchen.

Sieben Göttinger Professoren waren in diesem Punkt begriffsstutzig. Als der König von Hannover eine Verfassung, die sein Vorgänger erlassen hatte, aufhob, protestierten sie und wurden daraufhin abgesetzt. Sie hatten das Handicap, daß sie weder auf eine vorangegangene Revolution sich berufen konnten noch selbst eine machten. Die Verfassung war nicht in einem Akt der Volkssouveränität zustande gekommen, sondern der Monarch hatte einst allerhöchstgnädig geruht, sie zu erlassen. Wenn seinem Nachfolger das nicht mehr paßte, dann galt das alttestamentarische Wort: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Gepriesen sei der Name des Herrn«. Daß Lehrer monarchietreu zu sein hatten, verstand sich von selbst. Dies galt auch im Deutschen Reich von 1871. Wiederum war die Verfassung von Gottes Gnaden. Bestrebungen zur Herbeiführung einer Republik waren Vorbereitung zum Hochverrat. Sozialdemokraten waren Staatsfeinde und durften nicht Beamte werden (auch nicht ehrenamtliche kommunale Wahlbeamte).

Auf einem Feld war das nicht ganz unumstritten: in den Universitäten. Sie waren ja durch Wilhelm von Humboldt als zwar vom Staat zu finanzierender, in Forschung und Lehre aber selbstbestimmter Sektor konzipiert worden. Dafür, daß auch hier keine Feinde der Obrigkeit etwas zu suchen hatten, sorgten das Privileg des spätestens seit 1866 monarchistischen Bürgertums auf höhere Bildung und die streng konservative Gesinnung der Professorenschaft. Andererseits hüteten die Ordinarien die Selbstverwaltung der Hochschulen als eines ihrer Statusmerkmale. Als Kaiser Wilhelm II. auf die Entfernung des sozialdemokratischen Physikers Leo Arons, der sich an der Berliner Universität habilitiert hatte, drang, wehrten sie sich. Darauf wurde 1898 ein Gesetz – die »Lex Arons« – erlassen: Auch Privatdozenten unterstanden der Staatsaufsicht und durften keine Sozialdemokraten sein.

Als sie schließlich keine Reichsfeinde mehr waren – seit dem 4. August 1914 –, konnten sie Beamte werden, zum Beispiel als Staatssekretäre in der kaiserlichen Regierung während des Ersten Weltkriegs.

1918–1933: Der Staat als Kampfplatz

Mit der Novemberrevolution von 1918 und der Reichsverfassung von 1919 war die Gesellschaft aus dem Eigentum des Staates entlassen, dieser war nun Kampfplatz der in ihr gegeneinander stehenden Klassen. Aufgrund der Erfahrungen aus der Zeit des Absolutismus und Halbabsolutismus gab es keine parteipolitischen Schranken für den Zugang zum öffentlichen Dienst. Hans Fallada traf in seinem Roman »Bauern, Bomben, Bonzen« ein weitverbreitetes Ressentiment mit etwas Realitätsgehalt, als er nebenbei das Phänomen des sozialdemokratischen Parteibuchbeamten beschrieb. Auch für Kommunisten gab es keinen formellen Ausschlußgrund. Beamte wurden sie dennoch fast nie. Das lag u.a. an der sozialen Zusammensetzung ihrer Partei: Akademiker gab es in ihr kaum. Das Kleinbürgertum, das die Schulmeister stellte, hielt sich von ihr meist fern. Karl Korsch, KPD-Mitglied und Professor in Jena, war Minister in der thüringischen Arbeiterregierung 1923, durfte nach deren Beseitigung durch Friedrich Eberts Truppen nicht mehr lehren, behielt aber seinen Beamtenstatus und den Titel. Immer wieder einmal wurde kommunistischen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern die Bestätigung durch das Innenministerium verweigert, oder sie wurden abgesetzt, wenn sie den Vollzug von Brünings Sparpolitik verweigerten. 1932 wurde Adolf Hitler Regierungsrat in Braunschweig, damit er zum Reichspräsidenten kandidieren konnte.

1933–1945: Innerstaatliche ­Feinderklärung

Das, was die Nazis am 7. April 1933 mit ihrem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« veranstalteten, war im Titel eine Mogelpackung: Es wurde Konservativismus vorgetäuscht (noch saß man nicht ganz allein in der Regierung). Es war aber keine Rückkehr zum Zustand vor 1914. Zwar wurden die Sozialdemokraten, die in der Weimarer Republik Beamte geworden waren, entlassen. Die innerstaatliche Feinderklärung traf aber vor allem die Juden. Die Gesellschaft war nicht mehr lediglich obrigkeitsstaatlich gegängelt wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten, sondern sie wurde zur Bekämpfung der Feinde im Innern und außen mobilisiert. Die Zustände, die dadurch geschaffen wurden und sich von der monarchischen Vergangenheit in diesem Punkt unterschieden, haben das Jahr 1945 in Teilen überdauert.

1945–1969: Kalter Krieg

In einer verdienstvollen Dissertation zu unserem Thema (»Vom inneren Frieden zur inneren Sicherheit. Staatsschutz in Westdeutschland zwischen Entnazifizierung und innerer Sicherheit«) unterscheidet Dominik Rigoll die »1945er« von den »1949ern«. Erstere waren Antifaschisten, die in Westdeutschland nach der Kapitulation etwas zu sagen haben meinten, letztere waren ihre Feinde, durch die sie nach Gründung der Bundesrepublik verdrängt wurden, damit die sogenannten 131er wieder in Amt und Würden kamen: alte Nazis, deren Rechtsstellung laut Artikel 131 des Grundgesetzes noch zu regeln waren. Sie wurden im Kalten Krieg gebraucht, für den die Gesellschaft nun mobilisiert wurde, unter anderem 1950 durch den »Adenauer-Erlaß«. Er zählte dreizehn Organisationen – elf linke und zwei faschistische – auf, deren Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen oder diesem von vornherein fernzuhalten waren. Vor allem ging es gegen die KPD, die FDJ, aber auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Es war nicht nur eine Tat Adenauers, sondern auch seines Innenministers Gustav Heinemann (kurz bevor dieser aus anderen Gründen das Kabinett im Streit mit dem Kanzler verließ). Um die innere Sicherheit ging es mit dem Erlaß kaum (es gab ohnehin nur wenige Kommunisten im öffentlichen Dienst), sondern um eine mobilisierende innerstaatliche Feinderklärung, exekutiert nicht durch Kaiser Wilhelms Beamte, sondern durch Personal, das sich schon vor 1945 einschlägig bewährt hatte. Nach dem Verbot der KPD 1956 wurden kommunistische Bürgermeister in Arbeiterwohngemeinden, die auf überparteilichen Listen gewählt worden waren, von den Innenministerien abgesetzt.

Es handelte sich nicht nur um deutsches Politikerbe, sondern auch um Kalten Krieg und die Umsetzung der US-amerikanischen McCarthy-Politik. Diese wirkten sich auf andere NATO-Staaten ebenfalls aus, aber dann doch wieder in unterschiedlicher Weise. Eric Hobsbawm berichtet in seinen Memoiren, wie man es in Großbritannien machte: Kommunisten im öffentlichen Dienst wurden von ihren Vorgesetzten aufgefordert, aus ihrer Partei auszutreten. Weigerten sie sich, wurden sie nicht entlassen, allerdings nie mehr befördert. In Ländern mit starken kommunistischen Parteien – Frankreich, Italien – war an eine Berufsverbotspraxis wie in der Bundesrepublik ohnehin nicht zu denken.

1969–1990: Die große Heuchelei

»Wir wollen mehr Demokratie wagen«: So sprach Brandt in seiner ersten Regierungserklärung 1969. Wieso Wagnis? Er redete als Obrigkeit, die Demokratie dosiert verabreichen wollte – nicht die ganze sollte es sein, sondern eben nur »mehr«. Ihre Grenzen wurden gleich mitgeliefert.

Die sozialliberale Koalition hatte drei Aufgaben: Erneuerung der Infrastruktur, Erschließung der östlichen Märkte für westdeutsche Exporte, Öffnung eines Schleichweges zur kapitalistischen Wiedervereinigung, nachdem 1961 durch die Mauer Adenauers Versuch einer schnellen Reconquista gestoppt worden war. Eine vorläufige Anerkennung der DDR und der Oder-Neiße-Linie war hierfür nützlich.

Diese Ziele wurden auch von CDU und CSU hingenommen, wenngleich teilweise nur klammheimlich. Daß mehr Schulen und Universitäten nötig waren, wußten ihre Kultusminister in den Ländern, und in Nordrhein-Westfalen (immerhin bis 1966 unionsregiert) und Bayern wurde durchaus etwas dafür getan. Die Osthändler waren ohnehin CDU/CSU-Anhänger. Wegen der Grenzen allerdings hätte es Ärger mit den Vertriebenenverbänden gegeben, deshalb sollten in dieser Angelegenheit lieber die Sozis sich die Hände schmutzig machen.

Damit sie danach möglichst schnell wieder abgelöst werden konnten, wurde sofort Opposition gemacht. Als geeignetes Thema hierfür erwies sich die Innere Sicherheit. Der Auftritt der RAF führte zur Forderung an die Regierung, sie solle Härte zeigen. Brandt erklärte, man müsse ihn nicht zum Jagen tragen. Aber die Union verlangte mehr: Der öffentliche Dienst werde von Verfassungsfeinden unterwandert, die müßten draußen bleiben.

Gemeint waren junge Leute, die von der außerparlamentarischen Opposition, kurz APO, politisiert worden waren und nun Lehrerinnen und Lehrer werden wollten. (Das war damals der akademische Durchschnittsberuf wie vorher Jurist und heute BWL.) Nach konservativem Verständnis gehörten Akademiker zur Elite, und 1968 waren Teile von ihr desertiert.

Diese Betrachtung war etwas oberflächlich, denn sie verkannte einen Tiefenprozeß: das Anwachsen der Intelligenz zur Massenschicht. Hier wurde die SPD aufmerksam: Nach Godesberg hatte sie sich allmählich dieses Potential erschlossen, und sie wollte es nicht verlieren. Die 1968 gegründete DKP war einige Zeit attraktiv für Teile der Unipopulation geworden. Wenn bei der SPD etwas funktioniert, dann ist es der Reflex gegen linke Organisationskonkurrenz.

Aus dem Grab heraus meldete sich der Genosse Gustav Noske und gab folgendes zu bedenken:

Die Führung der DKP war fest mit der DDR und der Sowjetunion verbunden. Wenn sie nun eine Massenbasis für die so wichtig gewordene Intelligenz gewann, dann war das nicht nur ein Problem für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, sondern auch für den Staat, also Sache der für seinen Schutz verantwortlichen Ämter.

Gesagt, getan. 1971 begann der sozialdemokratisch geführte Senat in Hamburg, kommunistischen Lehramtsbewerber (inne)n den Weg ins Referendariat zu versperren. Im selben Jahr lehnte es der Wissenschaftssenator Thape (SPD) in Bremen ab, das DKP-Mitglied Horst Holzer an die Universität Bremen zu berufen. Ernest Mandel durfte nicht Professor in Westberlin werden (zuständig: Senator Stein, SPD). Der Bundesinnenminister Genscher (FDP) verbot ihm sogar die Einreise in die Bundesrepublik. Auch in Bayern und anderen unionsregierten Ländern ließ man Linke nicht in den Staatsdienst, aber dort gab es nicht so viele, und außerdem war es da halt das Übliche, während in den sozialdemokratisch verwalteten Regionen noch ein symbolpolitischer Knalleffekt hinzukam.

Bei derart einheitlicher Praxis wäre eine weitere Absprache gar nicht nötig gewesen. Damit es aber alle hören und sehen konnten, stellten Brandt und die Ministerpräsidenten am 28. Januar 1972 noch einmal fest: »Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Anstellungsvertrages.«

Das war der sogenannte Radikalen- oder Extremistenerlaß. Formal ist die Bezeichnung nicht völlig korrekt. Ein Erlaß ist ein amtliches Schriftstück, das sich an konkret angegebene juristische oder natürliche Personen richtet. Hier war es eher eine Art Erklärung ans Volk, damit dieses wußte, was ohnehin schon gespielt wurde. Es wurde die »Regelanfrage« eingeführt: Wer in den Staatsdienst wollte, wurde vorher vom Verfassungsschutz gescreent. Insgesamt geschah das laut Deutschem Historischen Museum in 3,5 Millionen Fällen; 10000 Bewerber wurden abgelehnt, 130 Personen entlassen. Die DKP beziffert die Zahl der Gekündigten mit 265. Schwerpunkt waren die Schulen, aber es gab auch Berufsverbote bei Bahn und Post, bei letzterer sogar besonders heftige: Briefsortierer und -zusteller, die schon längst Beamte auf der untersten Stufe waren, wurden wegen DKP-Mitgliedschaft entfernt.

Nur im Saarland soll es keine Berufsverbote gegeben haben. Selbstverständlich machte auch das Bundesverfassungsgericht mit: In einem Grundsatzurteil von 1975 gegen einen Linksradikalen, der nicht der DKP angehörte (auch sie traf es immer wieder), gab es den Verwaltungen Ermessensfreiheit für die Ablehnung.

Allerdings wurde diese Politik in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre für die Bundesrepublik und hier vor allem die SPD doch peinlicher, als man es sich vorher gedacht hatte. Es gab breiten Protest, der von der 1973 gegründeten Initiative »Weg mit den Berufsverboten« koordiniert wurde. Im Ausland wurde man schnell hellhörig. Alfred Grosser machte die deutsche Radikalenverfolgung zum Thema seiner Friedenspreis-Rede 1975. Besonders verwies er auf den Fall der Lehrerin Silvia Gingold aus einer jüdischen und kommunistischen Familie: Ihre Eltern waren während des Nazifaschismus nach Frankreich emigriert, hatten viele Angehörige verloren und in der Résistance gekämpft. Jetzt sollte die Tochter ihren Beruf nicht ausüben dürfen. In Frankreich kündigte Mitterrand die Gründung eines eigenen Komitees gegen die deutschen Berufsverbote an. Er hat es dann zwar unterlassen, aber die SPD bekam allmählich kalte Füße. Genauer: Sie trug auf beiden Schultern. Während auch sozialdemokratisch geführte Verwaltungen weiter Berufsverbote verhängten, brummelte Brandt, inzwischen nicht mehr Kanzler, der Beschluß von 1972 sei wohl doch ein Fehler gewesen.

Seit Beginn der Lehrerarbeitslosigkeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war es vollends unnötig, daß sich die Einstellungsbehörden mit politischen Ablehnungsgründen blamierten: Wurde jemand nicht genommen, lag es eben einfach am Überangebot an Bewerbungen. Um 1980 herum wurde zunächst in den sozialdemokratisch regierten, dann in allen anderen Ländern (zuletzt 1991 in Bayern) die Regelanfrage wieder abgeschafft, »Bedarfsanfragen« aber blieben weiterhin möglich. In Niedersachsen gab es danach noch ein paar besonders harte Berufsverbote.

Inzwischen hatte diese Politik ihre pädagogische Wirkung längst getan. Nach 1972 rieten so manche Eltern ihren radikalen Kindern, sie sollten es doch lieber mit Umweltschutz versuchen. Vorsicht zog beim Nachwuchs ein. Ideologische Anlässe, den Jugendsünden abzuschwören, konnten nachgeliefert werden: Eurokommunismus und Biermann-Rausschmiß 1976 nagten an der Intellektuellen-Mitgliedschaft der DKP, bei den K-Gruppen besorgte dies der sogenannte Deutsche Herbst 1977.

1990 ff: Tabula rasa Ost

Als die Berufsverbote in Westdeutschland ihr Werk getan hatten, wurden sie in der bisherigen DDR nachgeholt, und zwar in ganz anderer Quantität.

Kriegsdienstverweigerer erinnern sich an eine unzulässige Frage aus dem Prüfungsausschuß: »Wenn im Wald Ihre Freundin angefallen wird, und Sie haben eine Waffe dabei, bleiben Sie dann friedlich?« Das Gegenstück bei Anhörungen im öffentlichen Dienst ging so: »Und was sagen Sie zu den Berufsverboten in der DDR?«

Gab es die?

Ja. Hacks billigte, Stefan Heym mißbilligte folgende Ähnlichkeit der DDR mit dem Absolutismus: Der Staat bestimmte über die Gesellschaft, im späten Feudalismus zu deren Konservierung im Interesse des Adels, im Sozialismus zwecks Umwälzung. Hierdurch war die Aufgabe der Staatsklasse (= der Angehörigen des öffentlichen Dienstes) bestimmt, wobei die geforderte Loyalität enger gefaßt war als in der bürgerlichen Demokratie, vom Lippenbekenntnis bis zur Überzeugung. Als der westdeutsche Kapitalismus die DDR abräumte, wurde nicht viel Unterschied gemacht: in erster Linie pauschaler Kahlschlag, in zweiter selektive Weiterverwendung, oft genug wohl gerade umgekehrt wie im Märchen – die Guten ins Kröpfchen, Anpassungsbereite (vielleicht hatten sie das vorher schon gelernt) ans Trögchen. Im Ergebnis war es die breiteste deutsche Berufsverbotswelle seit dem Faschismus, dem Umfang nach sogar größer als damals (wenngleich ohne die mörderischen Folgen).

Alles wieder gut?

Im Westen gab es noch ein paar Nachgefechte: 1995 befand der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, daß die Lehrerin Dorothea Voigt, die in den vorangegangenen Instanzen vom Rechtsanwalt Gerhard Schröder vertreten wurde, in Niedersachsen wieder einzustellen sei. Als Annette Schavan in Baden-Württemberg ein Berufsverbot gegen den Antifaschisten Michael Csaszkóczy verhängen wollte, entschied 2007 ein Gericht in Karlsruhe für ihn.

Einige werden frohlocken, jetzt sei in Deutschland europäische Normalität eingezogen. Doch was ist das? Ökonomisch wird ja viel von einer Nord- und einer Süd-EU geredet. In der politischen Kultur besteht eher eine Ost-West-Grenze. In Frankreich, Italien, Großbritannien und Ländern mit ähnlicher Vergangenheit gibt es wohl immer noch keine Berufsverbote. Im Osten wird auch einmal eine kommunistische Organisation verboten, und das Europaparlament wird mit antikommunistischen Entschließungsentwürfen aus dieser Weltgegend behelligt. Deutschland ist eher östlich. Hier darf selbst die Vorsitzende der Linkspartei nicht über Kommunismus reden, ohne daß ihr der Mund gestopft wird. Junge Linksradikale vor dem Eintritt ins Berufsleben sind gut beraten, wenn sie sich ein spurentilgendes Design zulegen – eine Klandestinität, die dem Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsdienstleistern in Zukunft vielleicht neue Aufgaben zuwachsen läßt. Letztlich aber ist staatliche Aktivität weniger nötig: Die Selektion hat längst jenes Gebilde übernommen, das man mit frommem Augenaufschlag als Zivilgesellschaft zu bezeichnen sich angewöhnt hat.

* Aus: junge Welt, 28. Januar 2012


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