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DKP oder Professur

Vor 40 Jahren wurde der Münchener Horst Holzer Opfer des "Radikalenerlasses"

Von Rudolf Stumberger *

Der »Radikalenerlass« von 1972 betraf verschiedene Berufsgruppen. Der profilierte, gesellschaftskritische Sozialwissenschaftler Horst Holzer wurden nach Bekanntwerden seiner DKP-Mitgliedschaft gleich an mehreren Universitäten abgelehnt.

Warum applaudieren die Unterdrückten auch noch ihren Unterdrückern? Und lesen »Bild«-Zeitung oder sehen fern? Oder anders gefragt: Was sind die Gebrauchswerte, die die Menschen aus dem Nutzen von Massenmedien ziehen? Eine der Antworten, die Horst Holzer gab, war: Die Menschen nutzen diese Medien, um so gegenüber den Belastungen und Zumutungen ihrer sozialen Lage eine Entlastung zu finden.

Dieser Befund wäre an sich noch nicht so schlimm gewesen. Schlimmer waren Sätze wie: »Das vorliegende Buch unternimmt den Versuch, gesellschaftliche Kommunikation und deren spezifische Erscheinungsform im Gesellschaftssystem der BRD historisch-materialistisch zu bestimmen.« Das waren Sätze, angesichts derer so manche Menschen im weißblauen Freistaat in den 1970er Jahren rot sahen. Als sie 1976 auf den Umschlag des Buches »Kommunikationssoziologie« gedruckt wurden, war der Sozialwissenschaftler Horst Holzer bereits eines der prominentesten Opfer der Berufsverbote geworden.

Keine ordentliche Professur

Im Januar 1972 war in der Bundesrepublik der sogenannte Radikalenerlass in Kraft getreten. Selbst wer nur etwa Lokomotivführer oder Postbeamtin werden wollte, wurde auf »Verfassungstreue« hin überprüft. Der Radikalenerlass richtete sich vor allem gegen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP).

Deren Mitglied war auch Horst Holzer. 1935 geboren, hatte er in Frankfurt Soziologie studiert und von 1964 bis 1970 als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München gearbeitet. Dort wurde er 1971 auch Professor, formal zunächst als Beamter auf Probe. Im selben Jahr erhielt der damals 35-jährige Holzer einen Ruf als Professor für Kommunikationswissenschaft an die neu gegründete Bremer Universität. Doch politische Querelen im Bremer Senat um die Berufungen an die »Reformuniversität« vereitelten die Einstellung Holzers. Eine beamtenrechtliche Überprüfung ergab schließlich, dass Holzer auch Mitglied der DKP war. Am 27. Juli 1971 lehnte der Senat die Ernennung Holzers ab, da er nicht bereit war, »Mitglieder von rechts- oder linksradikalen Gruppierungen als Beamte nach Bremen zu holen«.

Der Ablehnung folgten Proteste von Hochschullehrern, Gewerkschaft und Studierenden. Ein Jahr später bestätigte jedoch das Verwaltungsgericht die Nichteinstellung aus politischen Gründen.

Für Holzers wissenschaftliche Karriere war dieses Urteil verheerend. 1972 wurde sein Ruf an die ebenfalls neu gegründete Universität Oldenburg verhindert, gleiches wiederfuhr ihm ein Jahr später in Marburg und in Berlin. In München hatte Holzer seine Professur (auf Probe) behalten. Als 1974 die Verbeamtung auf Lebenszeit anstand, entließ der bayerische Kultusminister Hans Maier ihn unter Berufung auf das Bremer Urteil aus dem Staatsdienst. Ende 1976 war auf einem Flugblatt der Münchner Bürgerinitiative gegen Berufsverbote zu lesen: »1974: CSU-Kultusminister Maier lässt sämtliche Bücher von Prof. Holzer aus der Universitätsbibliothek entfernen.«

Freiwilliger Rückzug

Holzer klagte erneut bei einem Verwaltungsgericht, doch 1980 kam er einem Urteil, das seinen finanziellen Ruin hätte bedeuten können, zuvor und ersuchte selbst um seine Entlassung aus dem Staatsdienst. Im Falle eines Richterspruchs hätte er womöglich seine Beamtenbezüge seit seiner Entlassung zurückzahlen müssen. Horst Holzer starb im Jahr 2000 im Alter von 65 Jahren.

In einem Nachruf schrieb der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang R. Langenbucher, die berufliche Karriere und das persönliche Schicksal Holzers seien durch die damalige »intellektuellenfeindliche« Politik geprägt worden und die Fakten sagten »nichts Gutes über die Wissenschaftsfreiheit im damaligen Deutschland« aus. An Horst Holzer wurde mittels des Radikalenerlasses ein Exempel statuiert, um kritischen Geist von den Hochschulen fernzuhalten.

* Aus: neues deutschland, 20. Februar 2012


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