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Lieber über Salafisten reden ...

Verfassungsschutzbericht des Jahres 2012 vorgestellt

Von René Heilig *

Erstaunlich! Statt wie bislang die Existenz rechtsextremer terroristischer Strukturen in Abrede zu stellen oder zu verharmlosen, hält man solche Strukturen im gestern veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für 2012 immerhin für möglich.


Der vollständige Verfassungsschutzbericht ist hier erhältlich:
Verfassungsschutzbericht 2012 - Vorabfassung
Und hier geht es zu einer Kurzfassung des Berichts: Kurzfassung



Was jahrelang öffentlich nicht sein durfte, ist jetzt immerhin vorstellbar. Jedenfalls laut Verfassungsschutzbericht 2012, den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und sein Geheimdienstpräsident Hans-Georg Maaßen gestern in Berlin vorgestellt haben. Darin heißt es: »Vor dem Hintergrund einer stark durch Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung geprägten rechtsextremistischen Szene erscheint die Existenz weiterer rechtsterroristischer Strukturen zumindest möglich. Auch eine Übernahme sonstiger militanter Vorgehensweisen aus anderen extremistischen Phänomenbereichen ist vorstellbar.«

Angesichts der zahlreichen von diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und durch diverse polizeiliche Ermittlungen zutage geförderten Fakten über den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und seine Verbrechen ist diese »Analyse« so schwammig wie dürftig. Sie scheint bestenfalls dazu geeignet, als Alibi zu gelten, wenn aus dem Nazibereich heraus erneut schwerste Straftaten verübt werden.

Wer im Bericht Antworten zu den bestehenden Neonazi-Netzwerken erwartet, wird enttäuscht. Wieder redet Maaßen nur von rechtsterroristischen Anschlägen, die durch »Einzeltäter« verübt werden könnten. Rechtsextremistische Gewalt werde weiterhin »überwiegend spontan verübt«. Indirekt macht der Geheimdienst dafür auch noch die Gegner der Neonazis verantwortlich, denn »solche Taten« erfolgen oft »aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten – einzeln oder in kleinen Gruppen – auf Personen treffen, die dem typischen rechtsextremistischen Feindbild entsprechen«. Weiter heißt es: »Bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der rechts- und linksextremistischen Szene ist je nach Stärke, Organisationsgrad und Aggressionspotenzial vereinzelt auch ein Übergang von spontanen zu geplanten Aktionen zu verzeichnen – insbesondere, wenn sich das gegenseitige Aggressionspotenzial aufgrund verbaler Attacken und ›Outing-Aktionen‹ aufgeschaukelt hat.« In dem Zusammenhang muss man die Erkenntnis, dass »die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff« ein »latentes Gefährdungspotenzial« bildet, fast schon als sensationell bezeichnen.

Weniger erstaunlich dagegen ist, dass die Verfassungsschützer den islamistischen Terrorismus als eine der größten Gefahren für die innere Sicherheit beschreiben. Deutschland ist Anschlagsziel von islamistischen Terroristen, sagte Maaßen. 2012 habe es ein starkes Wachstum des Islamismus in Deutschland gegeben. Auf 42 500 Personen beziffert der Präsident das »islamistische Potenzial«. Davon seien etwa 1000 Personen gefährlich, 130 stünden unter ständiger Beobachtung. Erstmals zählt die Behörde die Salafisten zum Gefährdungspotenzial hinzu. Gerade diese Bewegung wachse sprunghaft von 3800 auf 4500 Personen in nur einem Jahr. Besondere Sorge macht Maaßen der »individuelle Dschihad«. Der Anschlag auf dem Airport Frankfurt, bei dem 2011 zwei US-Soldaten ums Leben kamen, sei ein Beispiel.

Minister Friedrich nutzte die gestrige Gelegenheit, um dem Bundesamt für Verfassungsschutz eine Bestandsgarantie zu geben. Insbesondere seit Bekanntwerden der NSU-Mordserie und des Versagens der Verfassungsschützer wird die Existenzberechtigung der Behörde in Frage gestellt. Der Bericht belegt, dass das zurecht geschieht.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. Juni 2013


Dick aufgetragen

Von René Heilig **

Gröhe sei Dank! Der aktuelle Verfassungsschutzbericht zeige, »wie wichtig starke Sicherheitsbehörden sind«. Für Merkels Generalsekretär und andere aus dem Regierungslager ist klar: Kritiker der Behörde, die vor allem nach dem NSU-Debakel deren Abschaffung als Geheimdienst fordern, können sich ihre Alternativen in die Haare schmieren.

Apropos schmieren. Beim Verfassen des Berichtes hat Maaßens merkwürdige Mannschaft wahrlich mal wieder den ganz fetten Stift benutzt. Der zeichnet so schön unscharf, wenn es um Erkenntnisse zu Rechtsextremismus und -terrorismus geht. Dafür kann man mit ihm umso dicker auftragen, will man den Islamismus-Horror an deutsche Wohnzimmerwände malen. Geradezu schmierig wird es, wenn die Kölner Behörde linksextremistische Gefahren beschreibt. Da liest man doch tatsächlich, dass es Linke in der LINKEN gibt, die ihre »kommunistische Identität nicht aufgeben«. Und dann diese kreuzgefährliche Arbeitsgemeinschaft »Cuba Sí« ... Wie klammheimlich die seit 1991 Kontakte zur Castro-Insel unterhält, lässt sich schon daran ablesen, dass dem Geheimdienst nicht einmal die aktuelle Mitgliederzahl bekannt ist.

Sicher ist nur, dass es seit dem Wochenende acht neue Mitglieder gibt. Die Abgeordneten der Bundestags-Linksfraktion haben ihre Eintrittserklärung als Kopie an den Verfassungsschutzchef geschickt. Sie wollten so vermutlich nur beim Archivieren helfen, damit nicht wieder alles mit allem in einem Extremismustopf verrührt wird. Welch vergebliche Müh'.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 12. Juni 2013 (Kommentar)


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