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Für eine Welt ohne Terror und Krieg

Von Conrad Schuhler

Rede auf einer Protestversammlung des Schwabinger Friedensbündnisses am 17. September 2001 in München

Die Terrorakte in New York und Washington sind so barbarisch, so men- schenverachtend, daß es den meisten wie ein Frevel vorkommt, wenn man die Frage stellt, ob es Ursachen für diese Terrortaten gibt, und wer diese Ursachen zu verantworten hat. Für die meisten steht auch fest, daß jetzt Rache und Vergeltung verlangt sind, und die Frage nach den Wirkungen eines solchen globalen Rachefeldzuges wird wieder aus einem moralischen Reflex heraus zurückgewiesen, wird als Parteinahme für die Terroristen empfunden.

In Wahrheit hängt aber von der Beantwortung dieser beiden Fragen - nach den Ursachen des Terrors und nach den notwendigen Maßnahmen zu ihrer Über- windung - buchstäblich der weitere Lauf der Welt ab. Wenn sich die Haltung der Regierung der USA durchsetzt, gehen wir einer globalen Katastrophe ent- gegen. Die USA rüsten, wie sie sagen, zu einem umfassenden Feldzug gegen den internationalen Terrorismus und alle Staaten, die Terroristen unterstützen oder beherbergen. Dieser Feldzug, läßt das Weiße Haus mitteilen, könne Jahre an- dauern. Der US-Kongress hat einen Bericht vorgelegt, wonach der Hauptver-dächtige Bin Laden angeblich Terroristenzellen in 34 Ländern unterhält. Mit Ausnahme Australiens sind alle Kontinente vertreten. Das Auswärtige Amt in Washington hat Afghanistan, Irak, Libyen, Nordkorea, den Sudan und Kuba als " Schurken-Staaten" aufgelistet, die angeblich das System des Terrors aufrecht erhalten.

Der Regierungschef Israels hat erklärt, der Bin Laden Israels heiße Arafat, und Israel ist bereits seit Tagen dabei, die palästinensischen Autonomiegebiete militärisch zu überrollen und politisch auszulöschen. Auf Menschenleben wird dabei keine Rücksicht genommen. Will Washington dieses Muster auf die ganze Welt anlegen - sollen Dutzende Länder im " Feldzug gegen den Terrorismus" bombardiert, besetzt, auf Dauer politisch-polizeilich kontrolliert werden? Kann irgend jemand wirklich glauben, dies würde dem Terrorismus den Garaus machen?

Oder muß man nicht zugeben: Eine solche Strategie eines schießwütigen, skrupellosen globalen Sheriffs würde die Saat säen für Generationen von " Kämpfern", die sich in Hilflosigkeit und Haß und mit allen Mitteln des Terrors gegen dieses globale System wenden würden. Der von den USA propagierte " Feldzug gegen den Terror" würde Terror und Gegenterror auf allen Seiten und auf alle absehbare Zeit gebären. In unserer Nachbarschaft würden Moscheen und Synagogen, Kirchen, Ausländerwohnheime, öffentliche Gebäude, Schulen und Kasernen, Banken und Börsen in Flammen aufgehen. Niemand könnte mehr sicher sein, ob morgen das Grundwasser in seiner Stadt noch unvergiftet ist, ob er das Flugzeug oder die U-Bahn besteigen kann, ob ein Konzert oder ein Fußballspiel unbeschadet zu Ende geht . Jeder aber kann sicher sein, daß alles öffentliche und private Leben total überwacht, kontrolliert und reglementiert ist. Kein vernünftiger Mensch kann sich eine solche Zukunft wünschen. Kein vernünftiger Mensch kann also diese Art von " Feldzug gegen den Terrorismus" unterstützen, der in Wahrheit den Terror multipliziert.

Wir brauchen einen " Feldzug gegen den Terrorismus", der den Ursachen des Terrorismus wirklich zu Leibe rückt. Die britische Tageszeitung Guardian hat ihren Bericht über die Attentate in den USA überschrieben: " Terror comes home". Der Terror kommt heim, zurück nach Hause, zurück in die USA. Denn von hier ist er ausgegangen. Dies gilt im engen Sinn für den angeblichen Draht- zieher Bin Laden. Denn es war die CIA, die diesen " heiligen Krieger" 1984 ausbildete und ausrüstete, damit er mit seiner Terrorgruppe gegen die Sowjets und die von diesen gestützte Regierung in Afghanistan vorgehen konnte. Es waren die USA, die die Taliban-Herrschaft in Afghanistan stabilisierten, um Zugangswege zu Erdöl und Erdgas in der früheren Sowjetunion zu sichern. Jetzt, da Bin Laden die arabische Welt aufruft, das Erdöl der Region nicht länger den USA zu überlassen, ist aus dem guten ein böser Terrorist geworden. Jeder, der diese Politik der USA und ihrer Verbündeten kennt, weiß, daß sie nichts mit Moral, sondern mit Geschäft und Macht zu tun hat.

Die bittere Wahrheit ist: Daß immer mehr Menschen bereit sind, Terror und Gewalt und ihr eigenes Leben einzusetzen, ist die Folge eines globalen Systems, das unter Führung der USA einen großen Teil der Menschheit zu Armut und Hun- ger, zu Unfreiheit und Existenzangst verurteilt. Alle drei Stunden verhungern mehr Menschen auf der Welt, als die Terrorakte in Washington und New York an Opfern forderten. Eine Milliarde Menschen, jeder vierte Erwerbsfähige, ist ohne Arbeit. Jeder vierte Erdenbewohner lebt an und unter der Armutsgrenze. Hunderte Millionen sind auf der Flucht, weil sie in ihrer Heimat keine Chance des Überlebens mehr sehen. Und die Schere zwischen den Reichen in den In- dustrieländern und der Armen Welt öffnet sich immer weiter. Die drei reichsten Männer der Welt, drei US-Amerikaner, nennen Vermögenswerte ihr eigen, die denen von 600 Millionen Menschen in den 48 ärmsten Ländern entsprechen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen-UNDP weist aus, daß 510 Konzerne 76% des Welthandels kontrollieren und 80% aller Auslandsinvestitionen. Kein vernünftiger Mensch kann doch annehmen, daß die Mehrheit der Menschheit auf Dauer still hält und sich von diesen Konzernen und ihren Staaten um Zukunft und Leben bringen läßt.

Wer eine Welt ohne Terror und Krieg will, muß demnach diesen Ursachen der Gewalt zu Leibe rücken. Wir brauchen eine Weltwirtschaft, die sich an den Lebensbedürfnissen der Menschen und nicht an Profit und Standortstra- tegien der Transnationalen Konzerne orientiert. Wir müssen die Interventions- politik der USA und der Nato überwinden, die nichts mit Menschenrechten zu tun hat, sondern skrupellose Machtsicherung darstellt. Die Sanktionen ge- gen den Irak haben Hunderttausenden Zivilisten das Leben gekostet - zu- vor ist der Irak hochgerüstet und unterstützt worden, um ihn gegen den Iran einzusetzen. Der Vater des jetzigen US-Präsidenten, Bush senior, hat in seiner Amtszeit Panama bombardieren und in einer Nacht 2000 Menschen umbringen lassen, angeblich eine Schlacht im Krieg gegen die Drogen. Tat- sächlich stand der Präsident Panamas, Noriega, auf der Gehaltsliste der CIA, war ein Geschöpf der USA. Nun soll zum Krieg gegen die Drogen der Krieg gegen den Terror kommen. Die Spirale der Gewalt soll weiter gedreht werden, alle, die sich der Herrschaft dieses globalen Systems entgegen stellen, sollen als Sympathisanten des Terrors stigmatisiert und ausgeschaltet werden.

Wir reden hier nicht nur über das Vorgehen der USA, sondern auch über un- sere eigene Regierung. Die Bundesregierung hat wie alle übrigen Nato-Mitglie- der den USA einen Blankoscheck ausgestellt über jede Art von sogenannter Vergeltung. So wie Deutschland Teilhaber und Profiteur des Systems der glo- balen Ausbeutung ist, so ist man jetzt Akteur bei der Ausdehnung der globalen Gewalt. Wenn wir eintreten wollen für eine Welt ohne Terror und Krieg, so muß unsere erste, ganz konkrete Forderung in unserem eigenen Land lauten: Die Bundesregierung muß ihre Komplizenschaft mit den Strategen der Rachefeld- züge aufgeben. Jedem muß klar sein, daß dies an die Grundlagen, an die Sub- stanz der Politik geht. Tatsächlich stehen wir vor einer Wendemarke - gehen wir den Weg weiter wie bisher, gelangen wir zu einem globalen System von Terror und Gegenterror, zu einem Alltag von Überwachung, Kontrolle und stetiger Angst. Wollen wir umkehren, einen anderen Weg einschlagen, dann bekommen wir es mit der Macht derer zu tun, die die Welt in ihrer aktuellen Form an sich gerissen haben. Wir haben uns auf einen harten, langen politischen Kampf einzurichten. Aber Stillhalten wäre keine Alternative.

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