Kein Terror - Kein Krieg! Die Parole bleibt richtig.
Zeugt es von Besonnenheit, wenn man Truppen aufmarschieren lässt?
Nach den Anschläge von New York und Washington, so sagt man, sei nichts mehr wie vorher. Die Regierenden hüben wie drüben des Atlantik ziehen daraus vor allem die eine Lehre: Nun müsse auch wieder Krieg sein, Krieg gegen den weltweiten Terrorismus.
Die Friedensbewegung hält dagegen: Neu ist nicht der Terrorismus, neu ist die Wucht, mit der die Attentäter am 1. September zugeschlagen haben, das Ausmaß, die Monstrosität des Verbrechens. Und neu, so befürchten viele aus gutem Grund, werden die militärischen Reaktionen sein, die sich mit der verharmlosenden Vokabel von den "Vergeltungsschlägen" nicht beschreiben lassen. Während diese Zeilen geschrieben werden, überbieten sich die Medien hier zu Lande mit Beschwichtigungsversuchen: Allen "antiamerikanischen Unkenrufen" zum Trotz habe sich Präsident Bush entgegen seinem Cowboy-Image als außerordentlich besonnener Staatsmann erwiesen. Die USA wollten "überwiegend" politisch reagieren und die militärische Komponente nur "begleitend" einsetzen. Der SPIEGEL sieht die Friedensbewegung gar in einem "Dilemma", weil ihre Parole "Bestrafung: ja, Rache und Vergeltung: nein" von George Bush "momentan" umgesetzt werde. ("Die Friedensbewegung in der Zwickmühle?", Spiegel-online, 29.09.2001). Ich frage mich indessen: Gehört dies nicht auch zum militärischen Programm des "Tarnens und Täuschens"? Spricht nicht der größte Truppenaufmarsch, den die Welt seit Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, gegen die These von der "Besonnenheit"? Oder anders gefragt: Zeugt es schon von Besonnenheit, wenn man sich Zeit lässt für militärische Gegenschläge, wenn man die Kriege, die man zu führen gedenkt, etwas gründlicher vorbereitet? Als die Friedensbewegung zur Besonnenheit aufrief, meinte sie damit ein anderes Konzept zur Terrorismusbekämpfung, langfristige politische und strafrechtliche Antworten, die im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitet und umgesetzt werden müssen. So wie es heute aussieht, sind die USA nicht einmal bereit, die NATO in ihr Konzept einzubeziehen. Deshalb fürchte ich nach wie vor: Der Wucht des Terrors wird die Wucht neuer Kriege folgen.
Wenn das zurückliegende 20. Jahrhundert von berufener Seite als "Jahrhundert der Kriege und Massaker" (Eric Hobsbawm) bezeichnet wurde, so müssen wir uns nach Lage der Dinge nun auf ein Jahrhundert des permanenten Kriegszustands einstellen. Dass die meisten Kriege inzwischen nicht mehr zwischen souveränen Staaten ausgetragen werden, sondern innerhalb von Staaten und Gesellschaften stattfinden, gehört mittlerweile zum Allgemeingut jedes aufgeklärten Friedensaktivisten. Das macht ihre Gefährlichkeit und Brutalität aus und das lässt schließlich auch alle Grenzen zwischen "ordentlichen" Bürgerkriegen, profitorientierten Privatkriegen und völlig unkalkulierbaren Terroraktionen verschwinden. Die einzige sichere Größe dabei ist der - vergebliche - Versuch, diesen Entwicklungen durch militärische Maßnahmen der hochentwickelten Industriestaaten, der "zivilisierten" Welt also, entgegen zu steuern. Es gehört auch zum Erfahrungswissen der Friedensbewegung, dass ein solches Verhalten lediglich die Spirale von Gewalt, Krieg, Terrorismus, Gegengewalt und neuerlicher Gewalt weiter drehen und damit nichts zur wirklichen Lösung der Probleme beitragen wird.
Die Probleme selbst sind vielschichtig. Es ist zweifellos das Verdienst entwicklungspolitischer und Dritte-Welt-Gruppen, durch ihre langjährige Arbeit an vielen Projekten in "sozialen Brennpunkten", den analytischen Blick für die wirklichen Ursachen von Armut, Hunger, ökologischen Katastrophen und sozio-kultureller Verwahrlosung in der Welt geschärft zu haben. Die sich globalisierende Bewegung der Globalisierungskritiker hat einen äußerst wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die großen ökonomischen und sozialen Verwerfungen, auf die Spaltungen der Weltgesellschaft zu lenken und die Verursacher beim Namen zu nennen: die großen transnationalen Konzerne, die internationalen Waffenproduzenten und -händler, die Drogenmafia und die Profiteure an den Geschäften mit illegalen Waren einschließlich "lebendiger" Ware wie Frauen, Mädchen, Kinder oder menschlichen Organen und Erbgut.
Auch die Friedensbewegung muss sich auf einen langen Kampf gegen den Krieg und für den Frieden vorbereiten. Das Übel an der Wurzel zu packen, die Ursachen von Armut und Umweltzerstörung zu beseitigen, dauert sehr viel länger, als mit einer noch so modernen Kriegsmaschinerie ein paar vermeintliche Terroristen auszuschalten. Letzteres ist erstens meistens mit unabsehbaren "Kollateralschäden" unter der Zivilbevölkerung verbunden und lässt zweitens in der Regel für jeden getöteten Terroristen hier ein Mehrfaches an neuen Terroristen dort entstehen. Aus diesem Grund, und nicht etwa, weil sie sich schützend vor gemeine Verbrecher stellen will, lehnt die Friedensbewegung den Krieg als "Mittel" der Terrorismusbekämpfung entschieden ab. Wenn die Menschheit - gleichgültig welcher Glaubensrichtung sie sich zuordnet - einen großen zivilisatorischen Fortschritt in den letzten Jahrhunderten gemacht hat, dann den, dass sie das Prinzip der (Blut-)Rache und Vergeltung durch den Grundsatz der rechtsförmigen Bestrafung unter Beachtung der "Verhältnismäßigkeit" überwunden hat. Dies gilt nicht nur innerhalb von Rechtsstaaten, sondern mit der Entwicklung des modernen Völkerrechts und der Ausweitung der Befugnisse der Vereinten Nationen auch für die Beziehungen der Staaten zueinander.
In Zeiten nationalistischer Hysterie und von weit verbreiteter Kreuzzugsmentalität fällt es schwer, dem Krieg Einhalt zu gebieten. Die Menschen wollen schnelle "Erfolge" im Kampf gegen den Terrorismus und lassen sich mit Scheinergebnissen gern abspeisen. Dass sich dagegen in den USA selbst Widerstand regt und dass in Deutschland eine Kriegsteilnahme der Bundeswehr nicht mehrheitsfähig, die Bevölkerung also nicht kriegsbereit ist, stimmt hoffnungsfroh. Auch sind die Menschen heute viel aufmerksamer als etwa noch im "deutschen Herbst" Ende der 70er Jahre, wenn die Schilys, Schills und Kochs unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung im Eiltempo demokratische Grund- und Freiheitsrechte einschränken wollen. Die Pflanzen des Pazifimus und der Demokratie, die in den 70er und 80er Jahren überall im Land gesät worden waren, gedeihen immer noch. Pflegen wir sie auch, wenn die Zeiten kälter werden.
Widerstehen wir dem Krieg - stehen wir auf für den Frieden! Die bundesweiten Demonstrationen am 13. Oktober in Berlin und Stuttgart müssen unübersehbar werden.
Peter Strutynski
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