Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Profite um jeden Preis

Zwei Millionen Menschen unterschrieben bislang gegen TTIP. Die sieben vom Gipfel fordern, den transatlantischen Freihandelsvertrag "unverzüglich zu beschleunigen"

Von Sebastian Carlens *

Die Herren der westlichen Welt machen Druck: »Wir werden die Arbeit bei allen TTIP-Themen unverzüglich beschleunigen«, heißt es laut Nachrichtenagentur dpa in der vorbereiteten Abschlusserklärung des G7-Gipfels in Elmau zum geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Es solle Fortschritte bei »allen Bestandteilen der Verhandlungen« geben.

Auf ihrem gestern beendeten Treffen sorgten sich die Staats- und Regierungschefs von sieben Wirtschaftsmächten nicht grundlos um den raschen Abschluss des Abkommens. Denn ebenfalls am Montag konnte die Initiative »Stop TTIP« bekanntgeben, dass mehr als zwei Millionen Menschen in der EU den Aufruf der »selbstorganisierten europäischen Bürgerinitiative« unterzeichnet haben. Das von etwa 470 Gruppen und Organisationen unterstützte Bündnis hatte zur Unterschrift aufgerufen, nachdem die Europäische Kommission eine reguläre »Europäische Bürgerinitiative« (EBI) nicht angenommen hatte. Ihre Begründung: Die Verhandlungsmandate zu TTIP und CETA seien keine Rechtsakte, sondern nur »interne Vorbereitungsakte« zwischen EU-Organen und daher durch eine Bürgerinitiative nicht anfechtbar. Gegen die Ablehnung der Kommission klagt die Bürgerinitiative seit dem vergangenen November vor dem Europäischen Gerichtshof.

Bis Anfang Oktober würden weiter Unterschriften gesammelt, »um den politischen Druck zu erhöhen«, sagte Bündnissprecher Karl Bär. Das EU-Parlament müsse die »demokratiegefährdenden Abkommen« ablehnen, sich zumindest aber klar gegen das sogenannte Investor-Staat-Schiedsverfahren aussprechen. »Stop TTIP« fordert, die Verhandlungen mit den USA zu TTIP einzustellen und das Handelsabkommen mit Kanada (CETA) nicht zu ratifizieren. Wie die neue EU-Kommission im Oktober auf die Einreichung der Initiative reagieren wird, bleibt abzuwarten.

»Die Verhandlungen werden im geheimen geführt. Selbst unsere Volksvertreter wissen nichts über den Verlauf«, kritisiert die Initiative »Stop TTIP«. Ziel der beiden Abkommen ist die Entfesselung des internationalen Handels und die Bildung der weltweit größten Freihandelszone mit rund 800 Millionen Einwohnern. Im Mittelpunkt stehen sogenannte Regulierungsräte und private Schiedsgerichte. Dort können Konzerne Staaten auf Schadenersatz wegen entgangener Profite verklagen. Revisionsmöglichkeiten sind nicht vorgesehen. Die Regulierungsräte sollen neue Gesetze auf Vereinbarkeit mit Profitinteressen überprüfen, bevor sie überhaupt in die Parlamente gelangen. Entscheidend ist dabei nicht, was in den TTIP-Verträgen steht, sondern was nicht darin enthalten ist. Denn alles, was nicht ausdrücklich ausgeklammert ist, soll dem Abkommen unterworfen werden.

Alexander Ulrich, Obmann der Bundestagsfraktion Die Linke im Europaausschuss, gratulierte der Initiative am Montag zur zweimillionsten Unterschrift: »Damit ist die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA schon jetzt die größte aller Zeiten. Die EU muss nun endlich die Reißleine ziehen, statt immer weiter zu versuchen, diese Monsterverträge gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.«

Der Unmut von Millionen Menschen über derart intransparente Wirtschaftsprojekte zeigt durchaus Wirkung: Die Gruppe der sieben verlangte am Montag, dass »Vereinbarungen für den Umriss« des TTIP-Abkommens »bis Jahresende« abgeschlossen werden sollen. Nach Vorstellung der EU sollte das Vertragswerk bis dahin eigentlich längst unterschriftsreif vorliegen. Dieser Zeitplan scheint kaum noch realistisch.

https://stop-ttip.org/de/

* Aus: junge Welt, Dienstag, 9. Juni 2015


"Wir kommen wieder"

Überraschende Eintracht: Auf der Abschlusskundgebung gegen den G-7-Gipfel in Garmisch-Partenkirchen danken die Organisatoren den Anwohnern. Bündnis zieht positive Gesamtbilanz

Von Lena Kreymann, Claudia Wangerin **


Die Aktionen gegen den G-7-Gipfel auf Schloss Elmau haben am Montag mit einer kleinen Kundgebung in Garmisch-Partenkirchen ihren Abschluss gefunden. Knapp 200 Menschen protestierten auf dem Bahnhofsvorplatz zum vorerst letzten Mal gegen die Politik der sieben Industrienationen USA, Kanada, Japan, Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland. In der Kritik standen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, der soziale Kahlschlag, die Militarisierung und der unmenschliche Umgang der Regierungen mit den Flüchtlingen.

Im Mittelpunkt Kundgebung stand allerdings der Dank an die Anwohner des bayerischen Städtchens Garmisch-Partenkirchen. Diese hatten die Proteste in den vergangenen Tagen interessiert begleitet und immer wieder das Gespräch mit den Bewohnern des Camps gesucht. Als es hart auf hart kam und die Zelte am Samstag wegen eines Unwetters evakuiert werden mussten, stellten die Einheimischen Unterkünfte in ihren Häusern zur Verfügung. Wie Cornelia Teller, Pressesprecherin des Bündnisses »Stop G 7 Elmau« gegenüber jW berichtete, brachten viele von ihnen Decken, Getränke und Essen am Bahnhof vorbei, wo einige G-7-Gegner über Nacht Zuflucht gesucht hatten.

Mehrere Menschen aus dem Werdenfelser Land ergriffen auf der Kundgebung selbst das Wort und zeigten sich beruhigt, dass trotz der Panikmache im Vorfeld alles friedlich verlaufen sei. Der Bitte einer Anwohnerin, der Polizei doch nicht so feindselig gegenüber gestimmt zu sein und ihr auch einmal für ihre Arbeit zu danken, widersprachen andere aus der Region. »Ich habe erlebt, wie ein friedlicher, schöner Landkreis in einen Polizeistaat verwandelt wurde«, erzählte ein Bewohner von Oberau. Organisatorin Ingrid Scherf zeigte sich wütend darüber, dass es ihr und Claus Schreer am Vortag als Anmelder der Kundgebungen in Klais und Mittenwald unmöglich gemacht worden war, rechtzeitig an den jeweiligen Orten zu sein. Der Autokonvoi nach Mittenwald sei schließlich verboten worden, »wir hätten uns hinbeamen müssen.«

Eine eigentlich am Montag geplante Demonstration zum »Europäischen Zentrum für Sicherheitsstudien George C. Marshall«, einem US-amerikanisch-deutschen Thinktank für das Militär, wurde abgesagt. Statt dessen koordinierten die Veranstalter Mitfahrgelegenheiten für die Abreisenden, aus einem Kastenwagen wurde Brot mit Bohnenmus an die Verbliebenen ausgegeben. Im leichten Nieselregen tanzten mit Sicherheitsweste, Mantel und Perücken Verkleidete zu elektronischer Musik aus dem Lautsprecherwagen. Die Stimmung unter den Teilnehmern war wie am Ende eines Festivals. Viele Anwesende unterhielten sich über die vergangenen Tage, einige gaben Interviews oder tauschten sich mit den anwesenden Anwohnern aus.

Um dem Regen zu entkommen oder am Montag wieder auf der Arbeit zu erscheinen, waren zahlreiche G-7-Gegner schon am Sonntag abgereist. »Viele haben einen langen Rückweg, in alle Teile der BRD und ins europäische Ausland«, erklärte Bündnissprecherin Teller gegenüber jW. Mit dem Verlauf der Proteste zeigte sich sie sich zufrieden. »Angesichts der Umstände sind wir sehr, sehr glücklich darüber, was wir geschafft haben«. Es habe vielfältige, kreative Aktionen gegeben – am Freitag einen antimilitaristischen Aktionstag und eine Solidaritätsdemonstration mit der linken, türkischen Partei HDP, auf deren Wahlkampfkundgebung in Diyarbakir am gleichen Tag ein Anschlag verübt worden war, am Samstag eine Großdemonstration mit 7.500 Menschen und einen Sternmarsch sowie Blockadeversuche am Sonntag. Letztere wären sogar zweimal kurzzeitig geglückt. Und die mehreren tausend angekündigten gewaltbereiten Demonstranten? »Ich weiß nicht, wie die Sicherheitskräfte und das Innenministerium auf solche Zahlen kommen. Sie haben sich einer Kriegsrhetorik bedient, um die Proteste im Keim zu ersticken.« Zur Aussage des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU), die Proteste wären ohne die »abschreckende Wirkung« der Polizei anders verlaufen, erklärte sie: »Es ist ein Armutszeugnis und ein Skandal, tatsächlich zu sagen, dass es Methode hat, diesen Widerstand klein zu halten und zu kriminalisieren.«

Der anwaltliche Notdienst kritisierte die Brandmarkung der Proteste und die Panikmache der Polizei In Form von Falschmeldungen in den eigenen Reihen und auch gegenüber den Anwohnern. Einigen sei geraten worden, ihre Autos wegzufahren, weil diese sonst brennen würden. Unter den Beamten sei während der Demonstration aufgrund einer Twitter-Meldung der Polizei das Gerücht umgegangen, die G-7-Gegner würden brennbares Material herumreichen. Tatsächlich handelte es sich um Wasserflaschen zum Auswaschen der Augen nach Tränengasattacken. Die Polizei habe diese Meldung revidieren müssen, sie habe aber während der Demonstration zu einer gereizten Stimmung unter den Einsatzkräften geführt. Das dichte Polizeispalier habe Seitentransparente unlesbar gemacht und zusätzlich stigmatisierend gewirkt.

Insgesamt habe der riesige Polizeieinsatz »in groteskem Widerspruch« zu den Zwischenfällen gestanden, die tatsächlich von den Protesten ausgingen, sagte Rechtsanwalt Florian van Bracht am Montag auf einer Pressekonferenz des ehrenamtlich tätigen »Legal Teams« in Garmisch-Partenkirchen. Die Zahl dieser Vorfälle habe sich »im Bereich eines durchschnittlichen bayerischen Volksfestes« bewegt. Dennoch habe es nach vorläufigen Zahlen 84 Festnahmen und Ingewahrsamnahmen gegeben.

Angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen Tagen ließen die Veranstalter Vorsicht walten. Protestorganisatorin Scherf bat Anwälte des »Legal Teams« zum Lautsprecherwagen, damit es bei möglichen Polizeikontrollen bei der Abreise nicht zu Schwierigkeiten komme. Und sie machte darauf aufmerksam, dass das nächste Treffen der Mächtigen mit der Bilderberg-Konferenz in Tirol bereits in zwei Tagen ansteht: »Dort verbunkern sie sich noch mehr.« Doch auch dort seien Proteste geplant. In diesem Sinne verabschiedeten sich die Veranstalter mit den Worten: »Wir sehen uns wieder – egal ob mit 20.000 oder 100.000 Polizisten.«

** Aus: junge Welt, Dienstag, 9. Juni 2015


Gemeinsame Werte

Von André Scheer ***

Auf ihrer offiziellen Homepage zum G-7-Gipfel auf Schloss Elmau gab sich die Bundesregierung bescheiden: »Die Gruppe der Sieben (G7) besteht aus sieben führenden Industrienationen: USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und Deutschland.« Man überlas es leicht: Es waren nicht »die« führenden Staaten, die da auf Schloss Elmau zusammengekommen waren. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die G-7-Treffen noch hochtrabend »Weltwirtschaftsgipfel« nennen durften. Wollte man tatsächlich ein Treffen der sieben ökonomisch führenden Mächte einberufen, sähe die Gästeliste anders aus: Frankreich, Großbritannien, Kanada und Italien müssten zu Hause bleiben, wenn das Bruttoinlandsprodukt über die Teilnahme entscheiden würde. Statt dessen müsste Bundeskanzlerin Angela Merkel die Repräsentanten Chinas, Indiens, Russlands und Brasiliens bewirten. Das geht aus den Statistiken der Weltbank hervor. Das eigentliche Treffen der wichtigsten Wirtschaftsmächte findet deshalb eigentlich erst ab dem 9. Juli statt, wenn im russischen Ufa die Staats- und Regierungschefs der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) sowie des Shanghai-Kooperationsrates zusammenkommen.

Trotzdem machten sich die selbsternannten Führer an diesem Wochenende in Bayern breit, behinderten Urlaubsverkehr und Fronleichnamsprozessionen, verpulverten mehrere hundert Millionen Euro, prügelten auf Kritiker ein und versetzten einen ganzen Landstrich in den Belagerungszustand – um »ihre Standpunkte im persönlichen Gespräch auszutauschen«, wie es auf der offiziellen Homepage des Treffens heißt. Die Standpunkte der von ihnen Regierten waren dabei nicht gefragt. Offiziell 17.000 deutsche und 2.100 österreichische Polizisten (später war sogar von 30.000 Beamten die Rede) sollten dafür sorgen, dass niemand den Staatschefs in die vom hauseigenen Sternekoch im Schloss gereichte Suppe spucken kann.

Die Gegner des Treffens mussten hingegen um jeden Meter kämpfen. Das Protestcamp musste vor Gericht durchgesetzt werden, Demonstrationen in Garmisch-Partenkirchen glichen oft Gefangenentransporten. Dutzende Verletzte, immer wieder Festnahmen, Schikanen. Journalisten wurden von Beamten ins Gesicht geschlagen, mit Pfeffergas traktiert oder mit Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei ihrer Arbeit behindert. Doch wo waren denn nun die »mindestens zwei- bis dreitausend gewaltbereiten Leute«, von denen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im Vorfeld geredet hatte? Wo waren denn nun die bösen Anarchisten aus Italien?

Statt dessen patrouillierten italienische Polizisten durch Garmisch, Bundeswehr-Soldaten filmten die Großdemonstration ab und sorgten für den Journalistentransport. Aufklärungshelikopter aus den USA überwachten die Proteste. Was wir in Garmisch-Partenkirchen erlebt haben, war nichts anderes als ein großangelegtes Manöver für die innere Kriegführung. Die von den G7 beschworenen »gemeinsamen Werte« wurden in Oberbayern demonstriert. Es sind dieselben, die ihre Soldaten schon in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Jugoslawien und an vielen anderen Orten demonstriert haben.


Russland-Sanktionen und Goldforellenfilet ****

Pünktlich zum G-7-Gipfel in den bayerischen Bergen hat der prowestliche ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Kämpfe im Osten seines Landes wiederaufleben lassen. Die auf Schloss Elmau versammelten sieben Staats- und Regierungschefs nutzen die Vorlage, Russland mit schärferen Sanktionen zu drohen, sollte der Konflikt im Donbass weiter eskalieren. Bekannt wurden die angedachten Strafmaßnahmen nach dem »Arbeitsmittagessen«. Bei dem ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel thailändische Hühnersuppe sowie Goldforellenfilet und Kartoffel-Lauch-Fondue mit Thymiansauce auffahren, zum Nachtisch geliertes Pfirsichsüppchen mit Mandeln.

Die EU wird noch in diesem Monat entscheiden, ob sie ihre bereits geltenden Sanktionen wie Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Moskau verlängert. Nichts deutet auf ein Umdenken hin. Die Strafmaßnahmen gegen Russland sollen demnach erst aufgehoben werden, wenn die Vereinbarungen des Minsker Friedensplanes komplett bis Jahresende umgesetzt sind. Mantra des Westens: Moskau unterstützt die »prorussischen Separatisten« in der Ostukraine und trägt damit zu Destabilisierung des Landes bei.

Russland wies die G-7-Kritik an seiner Ukraine-Politik zurück und rief den Westen seinerseits zu mehr Druck auf die Führung in Kiew auf. Kremlsprecher Dmitri Peskow forderte die EU und die USA auf, sich daran zu erinnern, wer die Vereinbarungen im Minsker Friedensprozess umsetzen müsse. Die Aufrufe sollten demnach nicht an Russland, sondern an die Ukraine und deren prowestliche Führung gerichtet werden, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Russlands Außenminister Sergej Lawrow appellierte an den Westen, kein neues Aufflammen der Kämpfe im Kriegsgebiet Donbass zuzulassen. Er warf der Ukraine vor, die jüngsten Gewaltexzesse vor dem G-7-Gipfel gezielt provoziert zu haben, um Vorwände für eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland zu liefern.

In der Klimadebatte wollen die G-7-Staaten das verbindliche Zwei-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung bekräftigen. Damit wollen sie eine Mindestvoraussetzung schaffen, dass die UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember ein Erfolg werden kann.

**** Aus: junge Welt, Dienstag, 9. Juni 2015




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