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"Kinder halten Blindgänger leicht für Spielzeug"

Eine Konferenz in Oslo befaßte sich mit dem internationalen Verbot von Streubomben. Gespräch mit Eva Maria Fischer *



Am Freitag ist in Oslo die Konferenz der Vertragsstaaten des internationalen Streubombenverbots zu Ende gegangen. Wie bewerten Sie das Treffen?

Die 120 Unterzeichnerstaaten sind auf einem guten Weg, obwohl in Norwegen nichts Spektakuläres passiert ist – es gab z. b. keinen Beitritt eines neuen Mitglieds. Sehr erfreulich ist aber, daß 31 Länder als Beobachter teilgenommen haben. Das signalisiert, daß dort ein Interesse besteht, was auch den Rede zu entnehmen war. Wir können also annehmen, daß sich die Zahl der Vertragsstaaten bald erweitern wird.

Die Volksrepublik China hat sich als Gast an der Konferenz beteiligt. Was ist von Peking zu erwarten?

Die Chinesen werden sich zunächst kaum auf ein Streubombenverbot festlegen. Wie bei den Indern, Pakistanis, Russen und US-Amerikanern ist davon auszugehen, daß sich das Land zunächst sträuben wird, ein solches Abrüstungsabkommen zu unterzeichnen. Pekings Teilnahme in Oslo zeigt aber, daß es durchaus möglich ist, eine so unmenschliche Waffe, wie Streubomben es sind, in Zukunft völkerrechtlich zu ächten.

Ist das Verbot von Streubomben mit dem von Landminen vergleichbar?

Absolut. Wie schon der Kampf gegen Landminen wird die Kampagne von ähnlichen Nichtregierungsorganisationen getragen. Auch der Verlauf stimmt im wesentlichen überein. Es geht nun darum, die Tabuisierung noch weiter voranzutreiben.

Weltmächte wie die USA, Rußland, Indien oder China ringen sich nicht dazu durch, auf die gefährliche Munition zu verzichten. Welchen Effekt hat das Verbot denn überhaupt?

Natürlich wäre es besser, wenn es gelänge, alle ins Boot zu holen. Aber die Lagerbestände der Muni-tion sind erheblich zurückgegangen, weil die internationalen Waffenproduzenten Deutschland, Großbritannien und Frankreich die Fertigung eingestellt haben. Fast alle NATO-Staaten außer den USA und fast alle europäischen Länder haben Streubombenmunition verboten. Sie spielen wirtschaftlich, politisch und militärisch eine große Rolle. Und wenn NATO-Staaten eine Waffe ächten, wird es für die USA schwieriger, sie in gemeinsamen Operationen einzusetzen.

Warum weigern sich viele Großmächte dennoch, dem Verbot beizutreten? Ist die Motivation militärischer oder ökonomischer Natur?

Die Militärs halten Streubomben in bestimmten Situationen wohl für besonders effektiv. Wir sind aber nicht der Ansprechpartner, wenn es um solche Fragen geht. Wir gehen ohnehin davon aus, das in diesem Punkt die wirtschaftlichen und politischen Interessen überwiegen.

Wer könnte dem Abkommen schon früher beitreten?

Besonders wahrscheinlich ist das bei Ländern, in denen selbst viele noch scharfe Streubomben die Bevölkerung gefährden – etwa in Libyen oder Kambodscha. Gerade Kinder halten die Blindgänger für Spielzeug und bringen sie versehentlich zur Detonation, was oft tödlich endet.

Angeblich lagern die US-Streitkräfte in Deutschland solche Waffen ein, obwohl sich die Bundesrepublik dem Verbot verpflichtet hat. Wie gesichert ist diese Information?

Wir wissen es nicht, sondern haben die Frage aufgeworfen, weil auf dem Internetportal Wikileaks ein Bericht veröffentlicht wurde, der entsprechende Absprachen kurz vor Vertragsschluß dokumentiert. Tatsächlich ist die Bundesregierung sehr bestrebt, das Abkommen schnell in die Tat umzusetzen. Das reicht von einer prompten Ratifizierung bis hin zum Bestreben, den Prozeß zu beschleunigen. So hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) zu Beginn der Osloer Konferenz einen Aufruf an die Nicht-Unterzeichnerstaaten gerichtet, dem Vertrag beizutreten. Dennoch muß die Regierung aufklären, ob hierzulande US-Bestände eingelagert sind. Wenn dem so sein sollte, dann muß die Munition umgehend verschwinden.

Wie weit ist Deutschland mit der Abrüstung fortgeschritten?

Die Bundeswehr besaß zuletzt 63 Millionen Submunitionen, also Miniatursprengsätze. Der Vertrag gibt feste Fristen vor: Trotz der aufwendigen Vernichtung will die Bundesregierung bis 2015 alle Bestände vernichtet haben, das wäre drei Jahre früher als vereinbart. Auch andere Länder werden früher fertig sein, als sie es müssen. Es ist nicht wichtig genug einzuschätzen, wenn solch grausame Munition vernichtet wird.

Interview: Mirko Knoche *

* Dr. Eva Maria Fischer ist Sprecherin der Kampagne Handicap International

Aus: junge Welt, Montag, 17. September 2012


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