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Hintertüren in Genf

Nichtregierungsorganisationen warnen vor Aufweichung des Verbots von Streumunition

Von Wolfgang Kötter *

Im Genfer „Palais des Nations“ beginnt heute (14.11.) die 4. Überprüfungskonferenz der Konvention über Inhumane Waffen. Unter Vorsitz von Gancho Ganev aus Bulgarien werden die Vertragsmitglieder die Erfüllung des aus fünf Protokollen bestehenden Rahmenabkommens bewerten, die Wirksamkeit der Bestimmungen einschätzen und prüfen, ob diese ergänzt oder ausgeweitet werden müssen. Als Schwerpunkt seiner Bemühungen bezeichnete der Konferenzpräsident vor Beginn das Streben nach Universalität des Vertrages.

Humanitärer Schutz für die Zivilbevölkerung

Das Abkommen ist Teil des sogenannten humanitären Völkerrechts, das sich dem Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten widmet. Im Unterschied zu Abrüstungsabkommen - wie z.B. der Ottawa-Konvention, die eine vollständige Beseitigung aller Anti-Personenminen verlangt oder der Oslo-Konvention über das Verbot von Streumunition - geht es hier lediglich um Anwendungsverbote und - regeln. Nichtregierungsorganisationen warnten deshalb bereits vor Konferenzbeginn vor der Aufweichung des Streumunitionsverbots.

Obwohl Kriege durch die UNO-Charta generell verboten sind, werden sie tagtäglich in der ganzen Welt geführt. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung zählt allein für das vergangene Jahr 6 Kriege und 22 bewaffnete Auseinandersetzungen. Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung kommt sogar auf insgesamt 32 Kriege und bewaffnete Konflikte. Immer schmerzvoller leidet auch die Zivilbevölkerung unter derartigen Auseinandersetzungen. Obwohl die größte Bedrohung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungsmitteln ausgeht, sterben die meisten Menschen durch konventionelle Waffen. Dazu gehören neben schwerem Kriegsgerät auch die sogenannten Kleinwaffen und leichten Rüstungen wie Pistolen, Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Handgranaten, aber auch Minen, Mörser, tragbare Raketenwerfer und Luftabwehrgeschütze. Nach Angaben der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit verlieren täglich 1.500 Menschen durch Waffengewalt ihr Leben. Fast eine halbe Million Menschen sterben jedes Jahr durch Gewaltverbrechen, davon einer von zehn in bewaffneten Konflikten.

Das Kriegsvölkerrecht soll dieser Gefährdung entgegenwirken, denn auch im Krieg gibt es kein unbeschränktes Recht bei der Wahl der Waffen und den Methoden zur Kriegführung. Es zielt zum einen auf die Beschränkung bestimmter Waffenarten, zum anderen kodifiziert es als humanitäres Völkerrecht Verhaltensregeln, um das Leid nicht direkt an den Kämpfen beteiligter Personen zu lindern. Zu den grundlegenden Prinzipien gehören beispielsweise das Unterscheidungsgebot zwischen Zivilisten und Kombattanten, das Verhältnismäßigkeitsgebot sowie das Vorsichtsgebot und die Kontrollierbarkeit.

Schon die Haager Landkriegsordnung von 1907 wie auch die später ausgehandelten Genfer Konventionen und Protokolle setzen Rechtsnormen für den Schutz von Zivilisten, Kriegsgefangenen, Verwundeten und medizinischem Personal. Spezifische Reglementierungen enthält die im Jahre 1980 abgeschlossene Vereinbarung über Verbote und Einsatzbeschränkungen für „bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken" – kurz: Inhumane-Waffen-Konvention.

Anwendungsbeschränkungen mit Schlupflöchern

Der Rahmenvertrag besteht aus fünf Protokollen zu spezifischen Waffenarten. Ein Protokoll verbietet den Einsatz von durch Röntgenstrahlen im menschlichen Körper nicht entdeckbaren Splitterwaffen, ein weiteres beschränkt den Einsatz von Landminen und als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnte Sprengkörper („booby traps“). Untersagt ist in einem dritten Protokoll die Anwendung von Brandwaffen wie z.B. Flammenwerfern und Napalm, während das vierte Protokoll die Verwendung blindmachender Laserwaffen ächtet. Das jüngste Protokoll verpflichtet die Kriegsparteien zur Räumung zurückgelassener Munition. Die heute beginnende Überprüfungskonferenz wird den Bericht einer Arbeitsgruppe entgegennehmen, die bereits in der vergangenen Woche über die Umsetzung des Räumungsprotokolls beriet.

Viele Kritiker in der Friedens- und Abrüstungsbewegung bemängeln die Begrenzung der Konvention auf Regeln für die Waffenanwendung statt deren Abrüstung. Das trifft ebenfalls für das Landminenprotokoll zu. Minengegner in aller Welt fordern deshalb bereits seit langem ein totales Verbot aller Minen und Sprengfallen. Zunächst sollte dieses Ziel durch eine Modifizierung des Minenprotokolls erreicht werden. Doch unter dem Druck der Minenlobby einigten sich die Vertragspartner lediglich auf einige Verschärfungen. Durch eine Kennzeichnungs- und Räumungspflicht der Verursacher sollen Hilfsmissionen und Friedenstruppen wirksamer geschützt werden. Metallose Anti-Personenminen - weil mit herkömmlichen Magnet-Suchgeräten nicht auffindbar - sind verboten oder mit mindestens 8 Gramm Metall nachzurüsten. Außerdem müssen fernverlegte Minen über Mechanismen zur Selbstzerstörung bzw. Neutralisierung verfügen. Allerdings bedeutet die erlaubte Fehlerquote von 10% immer noch ein tödliches Risiko für die Bewohner ehemals verminter Gebiete.

Zivilgesellschaft erkämpft radikale Waffenverbote

Die Minengegner empfanden die Revisionsergebnisse denn auch als unbefriedigendes Flickwerk voller Halbheiten und Schlupflöcher. Aus Protest gegen die Unfähigkeit der offiziellen Diplomatie schlossen sich rund 1100 Nichtregierungsorganisationen aus mehr als 70 Ländern zur "Internationalen Kampagne gegen Landminen" (ICBL) zusammen und mobilisierten die Weltöffentlichkeit. Gemeinsam mit der UNO, dem Internationalen Roten Kreuz, dem Kinderhilfswerk UNICEF, der UN-Flüchtlingsbehörde und Staaten wie Kanada, Schweden, Norwegen, Belgien Mexiko, Österreich und Südafrika bildeten sie ein wachsendes Druckpotential auf die Verweigerer. Im Dezember 1997 wurde dann der Vertrag in Kanadas Hauptstadt Ottawa unterzeichnetet und ist seit 1999 rechtswirksam.

Ähnlich problematisch verlief das Ringen um die Ächtung von Streumunition, die immer wieder auch lange nach dem Ende der Kämpfe Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert. Die internationale Zivilgesellschaft reagierte auf die Weigerung der Regierungen, im Rahmen der Inhumanen-Waffen-Konvention ein Verbot von Streumunition anzustreben mit dem "Oslo-Prozess". Eine breite Koalition verbündete sich mit abrüstungswilligen Staaten wie Norwegen, Neuseeland, Österreich, Peru und Mexiko. Gemeinsam trafen sie sich erstmals im Februar 2007 in der norwegischen Hauptstadt. Nach weiteren Treffen in Lima, Wien, Wellington und schließlich den abschließenden Vertragsverhandlungen in Dublin wurde 2008 der Vertrag in Oslo unterzeichnet und trat am 1. August vergangenen Jahres in Kraft.

Schluss mit der Doppelgleisigkeit

Somit gibt es für Landminen und für Streumunition jeweils zwei unterschiedliche völkerrechtliche Regime. Einerseits existieren mit der Ottawa-Konvention und der Oslo-Konvention völkerrechtliche Verträge mit umfassenden und konsequenten Verboten. Andererseits gilt nach wie vor Protokoll 2 der Inhumane-Waffen-Konvention, das aber lediglich die Waffenanwendung untersagt und viele Ausnahmen und Halbheiten enthält. Gleichzeitig laufen in Genf die Verhandlungen unter dem Dach der Inhumanen-Waffen-Konvention weiter, um möglicherweise weitere Einschränkungen zu vereinbaren. Der heute beginnenden Überprüfungskonferenz liegt ein Bericht der Arbeitsgruppe zur Ausweitung des Minenprotokolls vor. Beobachter warnen jedoch davor, dass die Verhandlungen zu aufgeweichten Verpflichtungen führen könnten, die die weitergehenden Bestimmungen der Minen- und Streumunitionsverbote unterlaufen könnten.

Das bereits im Sommer vorgelegte Zwischenergebnis der Arbeitsgruppe zu Streumunition bestätigt derartige Sorgen. Der im Entwurf vorgesehene Vertrag würde nicht alle Typen von Streumunition verbieten, sondern lediglich die Nutzung der vor 1980 produzierten Munitionsbestände. Und dies, obwohl alle Typen von Streumunition, die seit Ende des Kalten Krieges in Konflikten eingesetzt wurden, nach 1980 produziert wurden. Für jüngere Munition wären lange Übergangsfristen vorgesehen – und Munition, die nach Herstellerangaben eine Blindgängerrate von weniger als 1% aufweist, bliebe auf Dauer erlaubt. „Wir wissen aus unserer Projekt- und Kampagnenerfahrung, dass die Zahl der Blindgänger im Einsatzfall immer höher ist als die Herstellerangaben behaupten“, warnt François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International. Zudem erlaubt der Entwurf die fortwährende Produktion und den Transfer von Streumunition und enthält keine konkreten Verpflichtungen zur Opferunterstützung, Munitionsbeseitigung sowie zur Vernichtung der Munitionsbestände. Steve Goose von der Hilfsorganisation, Human Rights Watch kritisiert ihn scharf: „Der Text ist immer noch ein verworrenes Dokument, das keinen sinnvollen humanitären Fortschritt leistet, es schafft einen schlechten Präzedenzfall im humanitären Völkerrecht und ist unvereinbar mit der Streubomben-Konvention. Die Annahme des Protokolls würde als Konsequenz den globalen Fortschritt gegen das Übel Streumunition schwächen und nicht voranbringen.“ Vor der Bundestagsdebatte in der vergangenen Woche appellierten Handicap International, Brot für die Welt und elf weitere Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief an die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP, "alles dafür zu tun, dass die mit der Oslo-Konvention erreichte Ächtung von Streumunition nicht wieder aufgeweicht wird".

Nicht erst seit heute wird nach dem Sinn des derzeitigen parallelen Vorgehens gefragt. Das in der Vergangenheit vorgebrachte Argument, die Konvention über inhumane Waffen erfasse immerhin mehr Staaten als die übrigen Abkommen und beschränke deren Einsatz grausamer Waffenarten, verliert zunehmend an Überzeugungskraft. Den 97 Angehörigen des Minenprotokolls stehen 157 Mitgliedstaaten der Anti-Personenminen-Konvention und 111 Unterzeichner des Streumunitionsverbots gegenüber.


Das Rahmenabkommen über "Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken" besteht aus fünf Protokollen:
  • Protokoll I verbietet den Einsatz von Splitterwaffen, die mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können können und deshalb deren operative Entfernung erschweren.;
  • Protokoll II schränkt die Anwendung von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper, der sogenannten booby traps . Nach Angaben der Internationalen Kampagne gegen Landminen werden jedes Jahr 15.000 bis 20.000 Menschen durch Minen verletzt, verstümmelt oder getötet.
  • Protokoll III untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm einschließlich von Phosphorgeschossen;
  • Protokoll IV verbietet Blendlaserwaffen, die die Netzhaut des menschlichen Auges zerstören und Gegner innerhalb von zwei Millionstel Sekunden irreparabel blenden.;
  • Protokoll V verpflichtet zur Räumung zur Räumung der Kriegsschauplätze von explosiven Kampfmittelrückständen wie nicht explodierte Granaten, Streumunition, Bomben und Blindgänger, die noch lange nachdem die Kämpfe beendet sind Hunderttausende Menschen, zumeist Zivilisten töten oder verletzen.



Zu den Unterzeichnern des offenen Briefes an die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP gehören:
"Brot für die Welt", Caritas international, der Evangelische Entwicklungsdienst (EED), der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, FACING FINANCE (Cluster Munition Coalition in Deutschland), Handicap International Deutschland e.V., Human Rights Watch Deutschland e.V., Oxfam Deutschland e.V. , pax christi - Sekretariat der deutschen Sektion, solidaritätsdienst international e.V., terre des hommes Deutschland e.V., UNICEF Deutschland und urgewald e.V.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - im "neuen deutschland" vom 14. November 2011.


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