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Kriegscamp unerwünscht

Bündnis "War starts here" stellt sein für September geplantes antimilitaristisches Zeltlager vor. Kommune verweigert Militärgegnern geeigneten Platz

Von Susan Bonath *

Eine Freifahrt mit der U-Bahn nach Schnöggersburg? »Das wird ein Bombenerlebnis«, versprach Torsten Grabbert vom Bündnis »War starts here« (Der Krieg beginnt hier), als er Ende vergangener Woche einen »Gratiskartenautomaten« in Haldensleben bei Magdeburg unter Beobachtung von Polizei, Ordnungsamt und Kriminalbeamten »freigab«. Und erntete ungläubige Blicke aus der Bevölkerung: Sachsen-Anhalt hat nämlich keine U-Bahn. »Bis jetzt«, erklärte Grabbert, »denn in Schnöggersburg geht man voran.« Gefahren wird auf den Gleisen im Untergrund allerdings nichts: Die Stadt mit Nobel- und Elendsvierteln, Bankentürmen, Gewerbegebiet, Krankenhaus und U-Bahntunnel, die ab 2013 im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide gebaut werden soll, ist allein für Kriegsübungen bestimmt.

Für das Bündnis ist es »ein Skandal, daß 100 Millionen Euro ausgegeben werden, damit Soldaten Angriffe auf urbane Zentren proben können, während Kommunen das Geld für soziale Belange fehlt«. Deshalb will es vom 12. bis 17. September ein antimilitaristisches Camp errichten – möglichst nah am GÜZ-Areal, das der Rüstungskonzern Rheinmetall unter anderem an die Bundeswehr vermietet. Man habe sich für diese Region in Sachsen-Anhalt entschieden, »weil sie ein Kristallisationspunkt für die militärische Aufrüstung ist«, so Grabbert. Seiner Ansicht nach finde dort eine »schleichende Militarisierung des zivilen Raums« statt. »Lokale Medien und Politiker verharmlosen das Geschehen im GÜZ und kolportieren das Märchen vom Jobbeschaffer Nummer eins. Umliegende Gemeinden haben Partnerschaften mit den Militärs geschlossen, Soldaten gehen bewaffnet einkaufen. Jährlich werden Menschen beim ›Tag der offenen Tür‹ auf dem Truppenübungsplatz mit Bier und Würstchen beglückt und bekommen ein paar hergerichtete Panzer zu sehen«, beschreibt er die Situation aus der Sicht der Kriegsgegner.

Im antimilitaristischen Camp sollen vor allem Kontakte geknüpft und Diskussionen geführt werden: über weltweite Militärstrukturen, Armeeübergriffe auf soziale Bewegungen, Möglichkeiten zur besseren Vernetzung internationaler Friedensgruppen und vieles mehr, so das Bündnis. Ein Aktionstag am 15. September soll unter dem Motto stehen »Das GÜZ entern, lahmlegen und umgestalten« mit Kundgebungen und Mahnwachen rund um das 232 Quadratkilometer große Gelände. Von verschiedenen Punkten aus sollen außerdem »friedliche Aktionen des zivilen Ungehorsams« starten, an denen sich jeder beteiligen kann. »Wir wollen versuchen, in kleinen Gruppen auf das Übungsgelände zu gehen und an Orten, an denen die Bundeswehr trainiert, Präsenz zeigen und etwas hinterlassen. Das könnten Transparente oder Gedenktafeln für zivile Kriegsopfer sein, man kann aber auch Bäume pflanzen«, sagte Grabbert. Eigene Ideen seien erwünscht. Das Bündnis erinnerte dazu an ein spontanes klassisches Konzert der Gruppe »Lebenslaute« im Sperrgebiet während einer Aktion der örtlichen Initiative »Offene Heide« vor zwei Jahren. Das zeige, wie ziviler Ungehorsam gelingen kann.

Etwa 300 bis 500 Teilnehmer aus mehreren Ländern erwarten die Kriegsgegner für das Camp. Allerdings gibt es ein gravierendes Problem: Es sei »angeblich kein Platz vorhanden.« Grabbert erklärte: »Wir haben lange mit der Bürgermeisterin des Ortes Letzlingen, den wir wegen der Nähe zum Kontrollzentrum des GÜZ anvisiert haben, verhandelt. Am Ende schickte sie uns in die Stadt Gardelegen«. Auch mit dem dortigen Bürgermeister Klaus Fuchs (SPD) habe es zahlreiche Gespräche gegeben. Dieser habe erklärt, die Grundstücke nahe des GÜZ befänden sich in Privathand. »Seine Ankündigung, uns eine Liste der Eigentümer zu geben, hat er wieder verworfen«, so Grabbert. Nun habe Fuchs angeboten, als »Ausweichplatz« ein ehemaliges Gewerbegebiet zu nutzen. Das sei aber kilometerweit vom Übungsplatz entfernt. Auf jW-Nachfrage sagte Fuchs am Freitag, daß er keine andere Möglichkeit sehe. Eigentümernamen dürfe er nicht herausgeben, selbst besitze die Stadt kaum noch Grundstücke. »Die Fläche in Letzlingen, die die Gruppe nutzen wollte, haben wir kürzlich an einen Investor verkauft«, so Fuchs. Selbstverständlich habe er sich Gedanken gemacht. Er räumte aber ein: »Wir sind Bundeswehrstandort, da ist es doch verständlich, daß ich mich nicht besonders über das Camp freue.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. August 2012


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