Einladung zum Militärtourismus
Die Bundeswehr baut in der Colbitz-Letzlinger Heide eine riesige Übungsstadt – es gibt noch viele offene Fragen
Von Hendrik Lasch, Magdeburg *
Die Linkspartei verlangt von Sachsen-
Anhalts Landesregierung Auskünfte
zur Übungsstadt der Bundeswehr in
der Colbitz-Letzlinger Heide, um die
Geheimniskrämerei betrieben wird.
500 Häuser mit Kellern und 20 Kilometer
Straße samt Kanalisation,
ein 650 Meter langer Autobahnabschnitt
und sogar ein 1,5 Kilometer
langer Fluss – die Übungsstadt,
die von der Bundeswehr in
der Altmark errichtet werden soll,
ist mehr als nur eine Kulissensiedlung.
Sie hat vielmehr Dimensionen
einer echten Stadt: Über
6,25 Quadratkilometer soll sich der
Ort erstrecken, der nach einem
ehemaligen Altmarktdorf
»Schnöggersburg« genannt wird
und in dem Soldaten auf Auslandseinsätze
vorbereitet werden
sollen. Die Übungsstadt sei, sagt
Sachsen-Anhalts LINKE-Fraktionschef
Wulf Gallert, »so groß wie
Halle-Neustadt«.
Angesichts der Dimensionen
verwundern das große Tempo und
die spärlichen Informationen, die
mit dem Projekt einhergehen. Er
sei »erstaunt, wie rasant die Dinge
dort vorangetrieben werden«, ohne
dass Öffentlichkeit und Landtag
ausreichend informiert würden,
sagte Gallert. Das Bauvorhaben
könne es mit der Nordverlängerung
der Autobahn A14 durch die
Altmark aufnehmen. Während
dort aber umfangreiche Planungsund
Genehmigungsverfahren notwendig
sind, bei denen Öffentlichkeit
und Naturschutzverbände
einbezogen werden, liefen die Planungen
für die Übungsstadt weitgehend
im Verborgenen: »Offenbar
sind dort normale Verfahren
außer Kraft gesetzt«, sagte Gallert.
Mit einer großen Anfrage begehrt
die Fraktion jetzt deshalb
Auskünfte von der Regierung. Sie
will unter anderem wissen, wie die
Gelder vom Bund an das Land fließen:
»Im Haushalt und im Nachtragsetat
haben wir dazu nichts
gefunden«, sagt Gallert. Das Vorhaben
soll mindestens 62 Millionen
Euro kosten. Bauherr und
Projektsteuerer ist laut Linkspartei
der Landesbetrieb Bau.
Zudem seien Fragen von Natur-
und Gewässerschutz zu klären,
ergänzt Uwe-Volkmar Köck,
Experte für Landesentwicklung
und Raumplanung. In Schnöggersburg
würden allein 85 000
Quadratmeter Verkehrsfläche
versiegelt. Gleichzeitig wird in der
Colbitz-Letzlinger Heide aber das
Trinkwasser für viele Orte Sachsen-
Anhalts gewonnen. Die Umweltverträglichkeit
müsse daher geprüft werden.
Grundsätzlich bleibt die LINKE
bei ihrer ablehnenden Haltung zu
dem Vorhaben. In der Stadt, die
bis Ende des Jahres fertig geplant
und ab 2013 gebaut werden soll,
will die Bundeswehr ab 2016 ihre
Soldaten besser auf Einsätze im
Ausland vorbereiten. Sie wolle so
»ihre Qualitäten als Interventionsarmee
stärken«, sagte Gallert.
Er erwarte zudem einen »Militärtourismus
«, wenn Truppen aus
anderen Ländern das Gelände
nutzen. Es habe bereits Besuche
von Militärs aus Ländern wie Singapur
und Pakistan gegeben. Bei
den militärischen Aktivitäten wird
eine »deutlich andere Größenordnung
« als im bisherigen Gefechtsübungszentrum
erwartet. Weil
sich die Soldaten in der künftigen
Stadt eher auf die Bekämpfung von
Aufständen vorbereiten werden,
sei auch verstärkt mit Hubschraubereinsätzen
zu rechnen.
Aus Sicht der Linkspartei ist es
fraglich, ob der Ausbau mit dem
1997 beschlossenen und 2004 ergänzten
Heidekompromiss vereinbar
ist. Dieser sah sowohl eine
militärische als auch eine zivile
Nutzung der Colbitz-Letzlinger
Heide vor. »Ob das bei der geplanten
Intensivierung des
Übungsbetriebs möglich ist, bezweifeln
wir«, sagte Gallert. Seine
Fraktion erwartet auch dazu von
der Landesregierung bis zum
Herbst Antworten.
Für den 15. September laden
Kritiker des Ausbaus und der
Bundeswehr-Aktivitäten derweil
zu einem Protestcamp in die Altmark
ein. Man wolle den Übungsplatz
»entern und lahmlegen«,
heißt es in der Einladung, die über
die Indymedia verbreitet wird. Die
LINKE prüft nach Auskunft Gallerts
noch, ob sich der Ansatz mit
ihrer eigenen Herangehensweise
vereinbaren lässt. Die Fraktion
unterstützt seit Jahren die friedlichen
Proteste der
Initiative »Offene
Heide«. Diese lädt für den kommenden
Sonntag zum inzwischen 229. Friedensweg
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. August 2012
Häuserkampf in der Heide
Sachsen-Anhalt: Bundeswehr baut Übungsstadt in der Altmark. Linke kritisiert das Projekt und beklagt mangelnde Information der Öffentlichkeit
Von Susan Bonath **
Deutsche und amerikanische Kampfhubschrauber kreisen über der Altmark. Währenddessen üben internationale Truppenverbände den Häuserkampf in einer eigens dafür eingerichteten Geisterstadt mit Nobel-, Banken- und Elendsvierteln, Flugplatz, U-Bahn, Industriegebiet, Straßen und Parks. Dieses Szenario könnte 2016 Wirklichkeit sein. Der Bebauungsplan für die mit über sechs Quadratkilometern europaweit größte und etwa 100 Millionen Euro teure Kriegstrainingsstadt der Bundeswehr auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide ist nämlich in Sack und Tüten (junge Welt, 14. Mai 2012). Bis zum Ende des Jahres sollen die Vorbereitungen abgeschlossen sein, um Anfang 2013 mit dem Bau zu beginnen. Die Linke wirft Sachsen-Anhalts CDU-SPD-Regierung vor, Umweltbestimmungen und frühere Abkommen für das Trinkwasserversorgungs- und Naturschutzgebiet zu umgehen und die Öffentlichkeit »viel zu spät und unzureichend« informiert zu haben. Die Landesregierung muß nun auf eine Großen Anfrage antworten, um die »militärische Geheimniskrämerei« zu beenden.
»Die Bewohner der Altmark werden sich auf internationale militärische Übungen einstellen müssen, da die Bundeswehr das Gebiet ihren Verbündeten in aller Welt zur Verfügung stellt«, sagte der linke Abgeordnete Uwe Volkmar Köck am Mittwoch abend dem MDR. Dabei sei man sich in Sachsen-Anhalt zu Beginn der 90er Jahre über eine künftige zivile Heidenutzung einig gewesen, erinnert sich Köck in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung. Trotzdem habe sich die damalige Regierung nicht gegen einen Bundestagsbeschluß gewehrt, durch den das Militär einen Teil des Gebietes in Besitz nehmen konnte. Mit dem »Heidekompromiß« – eine 1997 zwischen Bund und Land getroffene Vereinbarung, den südlichen Teil der Heide ab 2006 komplett zivil zu nutzen – habe sich Sachsen-Anhalts damalige Minderheitsregierung aus SPD und Grünen auf »den kleinsten gemeinsamen Nenner« eingelassen. Dies torpedierte Schwarz-Gelb sieben Jahre später, indem sie auch den Südteil des Geländes der Bundeswehr überließ.
»Das beflügelte die Militärs offenbar derartig, daß sie jetzt ihren Wunschtraum, die Übungsstadt Schnöggersburg, verwirklichen«, so Köck. Dadurch brächen »bekannte Konflikte in weit größeren Dimensionen als bisher auf«. Von der Errichtung des Testgeländes wären sowohl der Naturschutz und die Trinkwasserversorgung als auch die Möglichkeiten zu Freizeit, Erholung und Tourismus betroffen. Die Trinkwasserversorgung Magdeburg GmbH bezeichnet die Colbitz-Letzlinger Heide als eins der Gebiete mit den bedeutendsten Wasservorkommen von hoher Qualität in Sachsen-Anhalt, das durch Grundwasseranreicherung und Möglichkeiten zur überjährlichen Speicherung deutschlandweit einmalig sei. Gerade deshalb müsse laut der Linksfraktion vermehrt auf Umweltschutz geachtet werden. Doch habe man in dieses »Projekt« nicht einmal die größten Umweltverbände einbezogen, sagte Köck dem MDR. »Wenn ich eine Straße baue, muß ich Planfeststellungsverfahren durchlaufen, Umweltverträglichkeitsprüfungen beibringen und öffentliche Träger beteiligen – all das ist bisher nicht passiert; und die Sache wird mit verblüffender Geschwindigkeit forciert.«
Auch die »enormen Kosten« kritisiert die Linksfraktion: »Für öffentliche Daseinsvorsorge, für Erhalt und Ausbau kommunaler Infrastruktur fehlt es überall an Geld – und hier sollen 100 Millionen Euro für solche Strukturen eingesetzt werden, um Kriegseinsätze in Städten zu üben.« Nun erwartet die Fraktion »klare Antworten« von der Landesregierung auf einen umfangreichen Fragenkatalog. Wissen will sie unter anderem, seit wann die Regierung von dem Vorhaben wußte und weshalb der Landtag nicht mit einbezogen wurde, inwiefern Bauvorschriften und Umweltschutz eingehalten werden und welche Übungsaktivitäten sich hinter »Zweckbeschreibungen« verbergen. Drei Monate hat die Regierung Zeit, die Große Anfrage zu beantworten. Unabhängig davon lehne die Linkspartei das Vorhaben komplett ab. Fraktionschef Wulf Gallert verwies auf das geplante Camp der Initiative »War starts here« vom 12. bis 17. September und auf den Aktionstag am 15. September (junge Welt, 16. Juli 2012).
** Aus: junge Welt, Freitag, 3. August 2012
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