Gegen Kriegführung vom NATO-Luftwaffenzentrum Kalkar aus
Von Bernhard Trautvetter, Essener Friedensforum *
Am 3. Oktober findet in Kalkar eine große Demonstration der Friedensbewegung statt. An diesem Ort hatte in den 80er Jahren der Hundertausendfache Protest der Anti-AKW-Bewegung den Bau des atomaren Schnellen Brüters verhindert, der atomwaffenfähiges Plutonium erbrütet hätte.
In den 80er Jahren hatte gleichzeitig die Friedensbewegung millionenfachen Zulauf, als es darum ging, zu verhindern, dass die NATO mit der Pershing II eine Waffe erhält, die den Atomkrieg führbar machen sollte. Damals galt die schnelle bunkerbrechende Waffe als Ent-hauptungswaffe gegen die Sowjetunion. Ihr Ziel haben die Strategen nicht aufgegeben.
Luft- und Raumfahrt in der NATO-Planung integriert
In einem Betonbunker-Gebäude des früheren AKW-Areals sitzt heute auch das NATO-Joint Air Power Competence Centre, das Luft- und Raumfahrt (Space Power)-Elemente der Verteidigung genannten Kriegsführung miteinander verbindet – man spricht in diesem Zusammenhang von einem „integral feature“, also von Integration beider Bereiche für die Kriegsführung. Man will sogenannte zentrale und strategische Kompetenzen entwickeln. Der Vertrag der beteiligten Staaten (sponsoring nations) wurde 2004 nach einer internen Konferenz namens ‚White Smoke’-Konferenz und nach finanziellen Klärungen per Unterschrift formell gültig, aber nicht entsprechend öffentlich bekannt.
Egal, was man sich dabei dachte, ‚White Smoke’ symbolisiert das weitgehend im Verborge-nen gehaltene Vorgehen, und es assoziiert die nukleare Wolke, wie dieses Zitat aus Fukushima zeigt: „Das japanische Fernsehen brachte die Katastrophe in Millionen Wohn-zimmer im ganzen Land, wobei die Zuschauer den Horror der Katastrophe als eine Explosion eines Atomreaktors in Fukushima erlebten. Die Explosion riss das Dach des Reaktorgebäudes hinweg, und es trat eine dicke ‚weiße Wolke’ aus.“ Bundeswehrführung und NATO haben dort ohne viel öffentliche Aufmerksamkeit Führungszentralen für Luftkriegsoperationen eingerichtet: Die Bundeswehr unterhält die „Führungszentrale Nationale Luftverteidigung“, die NATO das „Combined Air Operations Centre “ (CAOC). Man observiert offiziell den Luftraum Europas von den Alpen aus nordwärts. Turnusmäßig in diesem Jahr wird außerdem das Kommando der NATO-Eingreiftruppen in aller Welt von der Seydlitz-Kaserne in Kalkar aus geregelt.
Konkret geht es laut laut Rheinischer Post (27.1.11) um Folgendes:
„Vorgesehen ist ein neues Führungs- und Informationssystem, das ein Nato-einheitliches Lagebild erstellt und im Bedrohungsfall auf die Fähigkeiten der einzelnen Ländern zugreifen könnte. ... Das Auf-gabenspektrum umfasst dabei die Luftraumüberwachung und Identifizierung, die Planung, Koordination und Führung von zugewiesenen Luftstreitkräften, die Koordination von Operationen mit Heeres- und Marineeinheiten, ... sowie die Bereitstellung verlegefähiger Führungselemente.“
Kommandozentrale gegen Völkerrecht und Grundgesetz
Zum wiederholten Ignorieren von UNO-Beschlüssen, also Völkerrechtsbruch bei „Einsatz“ genannten Kriegen kommt hinzu, dass Angehörige der als Parlamentsarmee installierten Bundeswehr in Kriegshandlungen verwickelt werden, die nicht immer einen jeweils erforder-lichen Bundestagsbeschluss zur Grundlage haben – das läuft auf Verfassungsbruch hinaus; Demokratie wird ausgehöhlt. Kalkar aber soll noch mehr: Die Luftwaffe schreibt dazu:
"Konzentriert man nun den Blickwinkel auf die Streitkräfte so ist festzustellen, dass weltraumgestützte Systeme in immer mehr militärischen Bereichen Einzug finden. Klangen bis vor kurzem für die Bundeswehr noch Aussagen aus dem Bereich der amerikanischen Streitkräfte wie Science Fiction, als Generale offen postulierten, dass
ohne die gesicherte Weltraumnutzung kein militärischer Konflikt zu bestreiten sei, so kann diesem in Bezug auf die aktuellen Einsätze der Bundeswehr nun nicht mehr ernsthaft widersprochen werden. ... Grundsätzlich ist ... die Nutzung unterschiedlicher Anwendungen aus dem Weltraumbereich ohne Alternative, von der Gewinnung benötigter Zieldaten über die Navigation im Flug bis hin zur Wirkungsanalyse. Schließlich stellt die Einführung von unbemannten Luftfahrzeugen ... die Bundeswehr vor weitere Herausforderungen." (www.hardthoehenkurier.de)
Drohnen kennen wir unter anderem aus völkerrechtswidrigen Einsätzen Israels im Gaza-Streifen und der USA in Afghanistan/Pakistan, wo sie als Todesstrafen- Exekution Verdäch-tiger ohne Gerichtsurteil und völkerrechtliches Mandat das Recht des Stärkeren zur Anwen-dung bringen. Dass für das Joint Air Power Competence Centre Kalkar die Kriegsführung und nicht alleine die offizielle und Grundgesetz-konforme ‚Verteidigung des Friedens’ als Mission zählt, das zeigt sich auch daran, dass dort am 9. 10. dieses Jahres eine Konferenz unter dem Titel „Kriegsführung (Warfare) im 21. Jahrhundert“ stattfindet.
Auf der Website des Joint Air Power Competence Centrums heißt es in Englisch, dass Experten aus Armee, Industrie, Regierungen und Nichtregierungs-organisationen auf der Konferenz in Kalkar über das Potential der Luftstreitkräfte im 21. Jahrhundert diskutieren werden. So wird die militärische Logik der NATO-Strategen immer weiter in den Alltag selbst vor Ort integriert, wenn wir uns nicht machtvoll wie einst dagegen stellen.
Raketen-Abwehrschirm ist NATO-Atomkriegsplanung
Der Aufruf der Friedensbewegung zur Demonstration am 3.Oktober in Kalkar besagt, dass dort die NATO auch Teile des Raketenabwehrschirms in Simulationen testet. Da durch einen solchen Abwehrschirm ein eventueller Gegenschlag wirkungslos verpuffen würde, macht er den Atomkrieg durch eine größere Aussicht auf seine Führbarkeit wahrscheinlicher: Wenn in einem Erstschlag, den sich die NATO immer noch vorbehält, fast alle Raketen-depots eines Supermachtgegners wie Russland zerstört sind, können die wenigen Raketen des Reaktionsschlages neutralisiert werden.
Die NATO begründete auf ihrem letzten Gipfel in Chicago den Raketenabwehrschirm in Punkt 58 der Abschlusserklärung von Chicago unter Bezug auf ihren Gipfel in Lissabon, wo sie das Abwehrprogramm gegen ballistische Raketen beschlossen hatte. Ziel sei die "Vertei-digung der Europäischen NATO-Bevölkerung" und von "Gebieten und Truppen gegen die wachsenden Bedrohungen durch die Weiterverbreitung ballistischer Raketen." Im Text sieht die NATO ein Anwachsen entsprechender Bedrohungen vor allem auf Seiten Nordkoreas und des Iran.
Dazu sagte der UNO-Waffeninspekteur und ehemalige IAEA-Generalsekretär Hans Blix:
"Verhandlungen sind der einzige Weg. Verhandlungen sind nicht zuletzt eine Frage der Psy-chologie, und sie wurden vom Westen teilweise in selbstherrlicher Art und Weise geführt. Die Iraner haben, wie viele andere auch, ihren Stolz und fühlten sich behandelt wie Parias. ... Wenn der Westen sagt, wir verhandeln mit euch, aber erst wenn ihr die Anreicherung von Uran ausgesetzt habt, dann ist das psychologisch nicht klug."
Wenn laut Faktenlage der Iran nur Vorwand für die NATO ist, den Raketenabwehrschirm in der Öffentlichkeit zu legitimieren, dann geht es logischerweise eben doch darum, die Fähig-keit zu erringen, einen Atomkrieg führbarer zu machen und die russischen Bedenken hätten eine Logik, die bereits für die frühere Sowjetunion Gültigkeit hatte. Demgemäß war auch die Reaktion der russischen Administration noch im Mai dieses Jahres: Moskau glaube den Beteuerungen Washingtons nicht, dass der Schild nur gegen andere Staaten und nicht gegen Russland gerichtet sei, betonte Russlands Generalstabschef Makarow. Wörtlich:
"Wenn die USA und die NATO es für möglich halten, bei Gewährleistung der eigenen Sicherheit, die Sicherheit ihrer Nachbarn außer Acht zu lassen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als passende Gegenmaßnahmen zu ergreifen."
Demonstration gegen wachsende Kriegsgefahr
Wenn für Militärs wieder ein Atomkrieg für führbar angesehen wird, so gilt das erst recht für die konventionelle Kriegführung. Die NATO-Strategie, gegen die die Friedensbewegung am 3.Oktober demonstriert, ist alles in allem unwahr, eskalationsanfällig, teuer, völkerrechtswidrig und zudem auch noch für uns alle lebensbedrohlich. Wir stehen vor der Aufgabe, die Proteste nicht nur am 3.10. in Kalkar so breit wie möglich in die Bevölkerung zu tragen, denn die Gefahr ist angesichts des Pulverfasses Naher und Mittlerer Osten, von dem die NATO für ihre Planungen begründend spricht, nicht geringer als in den 80er Jahren. Damals demonstrierte die Friedensbewegung massenhaft gegen die Strategie, den Atomkrieg führbar zu machen. Aktuell und vor Ort ist es eine unserer wichtigsten Aufgaben, was Willi Hoffmeister vom Ostermarsch-Komitee Rhein/Ruhr fordert: „Wir verlangen die Entfernung des NATO-Luftwaffen-Führungshauptquartiers in Kalkar“.
Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 5, September 2012
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