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Fit für Großstadtkrieg

Sachsen-Anhalt: Friedensaktivisten bereiten internationales Antikriegscamp gegen das Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide vor

Von Susan Bonath *

In- und ausländische Kriegsgegner zieht es wieder in die Colbitz-Letzlinger Heide. Vom 21. bis 29. Juli wollen sie in der Nähe von Letzlingen bei Magdeburg ein antimilitaristisches Camp errichten. Dort befindet sich der Kontrollsitz des Gefechtsübungszentrums (GÜZ) Altmark, wo jährlich bis zu 20000 Bundeswehr- und NATO-Soldaten den »letzten Schliff« für den Einsatz in Krisengebieten erhalten. Wie schon im vergangenen September wollen die Antimilitaristen am Rand des Militärgeländes künftige Strategien diskutieren, Mahnwachen abhalten und mit verschiedenen Aktionen den Militärbetrieb stören. Am 27. Juli soll zudem ein Aktionstag rund um das GÜZ mit Ausgangspunkt in Letzlingen stattfinden.

Vorab will eine Gruppe von Frauen über die Elbe in Richtung Camp schippern. Mit ihrer Barkasse namens »Olga« will sie am 13. Juli in Hamburg aufbrechen und am 21. Juli in Magdeburg ankommen. Dort planen sie eine Fahrt mit Transparenten durch die Stadt. Die Frauen wollen zum einen über die geplanten Aktionen in der Heide informieren und zum anderen der Frage nachgehen: Was haben von Gewalt und Unterdrückung geprägte Geschlechterverhältnisse mit weltweiten Krisen zu tun? Wie das Zeltlager und der Aktionstag steht die Barkassenfahrt unter dem Motto »War starts here«.

Kriegsbeginn ist für die Aktivisten dort, wo Soldaten zum Töten ausgebildet werden – wie auf dem nahen 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz des GÜZ. Er ist einer der modernsten Europas und wird vom Waffenkonzern Rheinmetall betrieben. Ab etwa 2015 soll das Militär dort auch speziell für Kriegseinsätze in Großstädten trainieren. Dafür entsteht auf dem Gelände derzeit die Übungsstadt »Schnöggersburg« nach dem Muster westlicher Metropolen. Mehr als 100 Millionen Euro Steuergelder sollen in das lange vor der Öffentlichkeit geheim gehaltene Militärprojekt fließen. Friedensaktivisten und linke Politiker gehen davon aus, daß die Soldaten in dem »urbanen Zentrum« mit Flugplatz, U-Bahn-Tunnel sowie Wohn-, Vergnügungs-, Industrie- und Elendsvierteln auch üben sollen, wie sich soziale Unruhen in Europa zerschlagen lassen.

Die örtliche Bürgerinitiative »Offene Heide« unterstützt die Organisatoren des Camps und der Aktionen bei ihren Vorbereitungen. Sie demonstriert seit 20 Jahren jeden ersten Sonntag im Monat für eine zivile Nutzung des Naturschutzgebietes zwischen Colbitz, Letzlingen, Magdeburg und Stendal, auf dem sich der Truppenübungsplatz befindet. Doch wer wie sie die Bundeswehr kritisiert, ist in Sachsen-Anhalt nicht gern gesehen. Landes und Kommunalpolitiker punkten in der von Erwerbslosigkeit gebeutelten Region mit dem Argument, das Heer sei ein wichtiger Arbeitsplatzgeber und Konjunkturmotor. Jüngst warb die Bundeswehr beim Sachsen-Anhalt-Tag in Gommern am vergangenen Wochenende um neue Rekruten. Mitglieder der Initiative wurden dort jedoch von Ordnungshütern zurückgepfiffen, als sie Informationsmaterial zu den Protesten verteilten. An einem Festumzug durften sie ebenfalls nicht teilnehmen. Sie diskreditierten die »staatliche Institution Bundeswehr«, hatten Stadt und Land im Vorfeld begründet. Auf ihrem 240. Friedensweg an diesem Sonntag im Tangerhütter Ortsteil Brunkau will das Bürgerbündnis dennoch weiter mobilisieren.

Die lokalen Medien schweigen bisher zu den bevorstehenden Ereignissen. Im vergangenen Jahr war das anders: Damals warnte etwa die Magdeburger Volksstimme vor »militanten Antimilitaristen« und »gewaltbereiten Linksextremisten«. Die Bundeswehr ahnte in einem MDR-Interview gar »Verletzte und Tote« in den eigenen Reihen voraus und sicherte GÜZ-Zäune und Militäranlagen. Der Landkreis rief eine der größten Protestverbotszonen in der BRD-Geschichte aus und ließ Straßen sperren. Auch das Campen wollte man den Akteuren verwehren. Beim Aktionstag hielten über 1000 Polizisten sowie Feldjäger­einheiten knapp 400 Demonstranten in Schach. Am Ende trat keine der Schreckensvisionen ein.

www.warstartsherecamp.org

* Aus: junge welt, Samstag, 6. Juli 2013


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