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Zu nah am Sperrgebiet

Nach antimilitaristischen Protesten in Sachsen-Anhalt stehen demnächst zwei Kriegsgegner im brandenburgischen Strausberg vor Gericht

Von Susan Bonath *

So etwas hatte Sachsen-Anhalt bis dahin noch nicht erlebt: Am 15. September 2012 sorgten knapp 400 Friedensaktivisten für einen polizeilichen und militärischen Großeinsatz in der Colbitz-Letzlinger Heide. Zehn Hundertschaften, dazu Bundespolizei und Feldjäger, kontrollierten alles, was sich auf Beinen oder Rädern rings um das 232 Quadratkilometer große Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark, oder besser um die vom Altmarkkreis Salzwedel verhängte Verbotszone herum bewegte. Diese Proteste gegen Europas modernsten Truppenübungsplatz bei Magdeburg haben für einige Aktivisten bis heute Folgen. Zwei von ihnen müssen sich am 16. Dezember vor dem Amtsgericht im brandenburgischen Strausberg verantworten, wie die Deutsche Friedensgesellschaft–Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG–VK) informierte. Sie hätten unbefugt Militärgelände betreten, so der Vorwurf.

Im Frühjahr 2012 war bekannt geworden, daß die Bundeswehr auf dem Übungsplatz für über 100 Millionen Euro eine Militärstadt nach westlichem Vorbild errichten will. NATO-Soldaten sollen dort ab 2017 für Kriegseinsätze trainieren. Die Pläne für das 6,5 Quadratkilometer große »Schnöggersburg«, an dem mittlerweile seit über einem Jahr gebaut wird, waren damals bereits in Sack und Tüten. Die Berichterstattung über das jahrelang geheimgehaltene Projekt rief auch Friedensaktivisten auf den Plan: Anfang September 2012 bezog das »War starts here«-Camp Stellung in der dünnbesiedelten Heide. Mit ihrem Motto »Der Krieg beginnt hier – laßt ihn uns hier stoppen!« stießen sie dort jedoch auf wenig Gegenliebe. So mußten sie auf ein privates Areal zum Zelten ausweichen, weil ihnen Gemeinden einen Platz in GÜZ-Nähe verwehrt hatten.

Lokale Medien schürten Angst vor »militanten Antimilitaristen« und lobten die Bundeswehr als Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor. Der Landkreis verfügte für einen Umkreis von über 400 Quadratkilometern ein Verbot für Versammlungen unter freiem Himmel. Das Recht, eine einzige Kundgebung Hunderte Meter entfernt vom Sperrgebiet abzuhalten, mußten sich die Aktivsten über zwei Instanzen erstreiten. Auch dorthin gelangte am Aktionstag nur, wer sich von der Polizei registrieren ließ. Später stellte sich heraus, daß an diesem Tag knapp 400 Kriegsgegner insgesamt über 700 mal kontrolliert worden waren. Nur wenige gelangten auf das Militärgelände, um farbige Friedensbotschaften zu hinterlassen oder zu musizieren.

Die beiden Aktivisten, die sich nun vor Gericht verantworten sollen, haben nach Angaben der DFG–VK zusammen mit zwei weiteren Personen mit dem Auto eine sonst frei zugängliche Straße in GÜZ-Nähe passiert. Dort seien sie von Soldaten angehalten und zu einem Bußgeld verdonnert worden. Weil das Verbot in dem Bereich jedoch nur für Versammlungen ausgeschrieben und die Zone nicht mit Schildern gekennzeichnet war, wollten die vier nicht zahlen. Nun müssen die Strausberger Richter entscheiden. Bereits in diesem Sommer hatten sie einen der Beschuldigten zur Zahlung verurteilt.

Laut DFG-VK findet der Prozeß in Strausberg statt, weil die dort bis Juni 2013 ansässige Wehrbereichsverwaltung Ost das Bußgeld erlassen hatte. Bis zur Reform bildete die Bundeswehr dort Soldaten der Luftwaffe aus. Bis heute sitzen die Akademie und ein Sanitätszentrum des Militärs in der Stadt. Neu hinzugekommen ist das Kommando Heer. Wie mehrere Kommunen in Sachsen-Anhalt hat auch Strausberg einen »Patenschaftsvertrag« mit der Bundeswehr. Für Monty Schädel von der DFG-VK sind solche Vereinbarungen »ein typisches Mittel für schleichende Militarisierung«: »So wird der Bevölkerung die Bundeswehr als Freund verordnet; die Kriege aber, in denen sie vor allem für wirtschaftliche Interessen mitmordet, werden ausgeblendet.« Von solchen Prozessen lasse man sich nicht einschüchtern, so Schädel. Das hatten die Friedensaktivisten schon im Juli 2013 mit ihrem zweiten »War starts here«-Camp in der Altmark bewiesen.

* Aus: junge welt, Dienstag, 3. Dezember 2013


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