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Appell zum gemeinsamen Widerstand

Zehnte Münchner Friedenskonferenz debattierte Alternativen zur Gewalt

Von Gisela Dürselen *

Ein Jubiläum feierte an diesem Wochenende das Aktionsbündnis Münchner Friedenskonferenz: Zum zehnten Mal bereicherte das alternative Forum mit inhaltlichen Debatten und hochkarätigen Gästen die Proteste auf der Straße gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz (SiKo).

Den Schwerpunkt der friedenspolitischen Fortbildungsangebote bildete in diesem Jahr die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Redner auf der Hauptveranstaltung, dem Internationalen Forum, waren die Mitbegründerin von Attac Dr. Susan George, die Ägypterin Prof. Randa Aboubakr und Bernd Hahnfeld von der Internationalen Organisation der Juristen gegen Atomwaffen. Gemeinsam riefen sie die Zivilgesellschaft zum Widerstand gegen die Pläne der Mächtigen und zum gemeinsamen Handeln über Ländergrenzen hinweg auf.

Susan George, Sozialwissenschaftlerin, Autorin und Anti-Globalisierungs-Aktivistin mit US-amerikanischer Geburtsurkunde, aber mittlerweile bewusst auch mit französischem Pass, brachte gleich zu Beginn ihre Sicht auf den Punkt: Heute sei »einer der gefährlichsten Momente in der menschlichen Geschichte - vielleicht gefährlicher als während des Kalten Kriegs«. In den vergangenen 20 Jahren habe der Kapitalismus die Welt überrannt - mit dem vorgegebenen Ziel, die Menschheit glücklich zu machen, in Wirklichkeit aber mit einer neoliberalen Globalisierung, die Susan George als gigantische »Maschinerie zum Ausschluss« bezeichnete, zum Ausschluss von Menschen, Staaten und ganzen Regionen.

Während des Kalten Kriegs sei jeder Platz auf dieser Erde wichtig gewesen, weil auch jeder ein potenzielles Einflussgebiet dargestellt habe, so George. Heute gebe es viele Orte, die strategisch nicht mehr zählten, und Menschen, die weder Lukratives produzierten noch genug konsumierten, um für die Mächtigen interessant zu sein. Ganz nach dem Motto: »Take the best and leave the rest« - nimm das Beste und lass den Rest.

Die Zivilgesellschaft müsse sich auch auf internationaler Ebene besser vernetzen, betonte George angesichts der aktuellen Konfliktverstärker wie Klima- und Finanzkrise - und weil die Regierenden nicht wirklich vorhätten, etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil: Sie entwickelten immer mehr Waffen, darunter auch die sogenannten nicht tödlichen, um Menschen einfach zu vertreiben. Sie seien für den Einsatz gegen die eigenen Völker geplant, sagte Susan George: »Sie richten sich gegen jeden, der sich traut zu protestieren.«

Randa Aboubakr, Professorin für Englisch und vergleichende Literatur in Kairo sowie Mitglied der »Bewegung des 9. März«, analysierte die arabischen Revolutionen. Auch wenn jede dieser Revolutionen individuell sei und es je nach Kontext viele verschiedene Gründe dafür gebe, eines hätten alle diese Bewegungen gemeinsam: »Sie sind der Ruf des Volkes nach freier Rede und nach Würde.« Dieses Phänomen verbinde die ganze Welt. Denn von der US-amerikanischen Occupy-Bewegung bis hin zu den arabischen Revolutionen übernehme das Volk nun Verantwortung und fordere die Regierungen heraus.

Einen Einblick ins Völkerrecht gewährte seinen Zuhörern Bernd Hahnfeld. Sein Fazit: Die Kriege der vergangenen Jahre waren völkerrechtswidrig, vor allem der »Krieg gegen den Terror«. Denn der Rahmen in der UN-Charta für militärische Gewalt sei äußerst eng gesteckt und schreibe vor der Gewalt den Einsatz aller denkbaren friedlichen Mittel vor. So dürften »die Entdeckung und Behebung der Ursachen von Terror nachhaltiger wirken als alle Kriege«, schloss Hahnfeld

* Aus: neues deutschland, 6. Februar 2012


Kein Frieden mit der NATO

Münchener Sicherheitskonferenz von lautstarkem Protest begleitet

Von Gisela Dürselen, München **


Die Stimmung auf der Münchener Sicherheitskonferenz (SiKo) und der Protestdemonstration war ähnlich: Empörung, Wut, Ratlosigkeit. In der Konferenz über das russisch-chinesische Veto gegen die Syrien-Resolution des Sicherheitsrats, außerhalb gegen die NATO, deren selbst erklärte Rolle als Friedensgarant den Demonstranten wie Hohn in den Ohren klingt.

Von »Skandal« und »Schande« war am Sonntag auf der Sicherheitskonferenz in München die Rede, wo mehr als 350 Spitzenpolitiker und Experten aus 60 Ländern versammelt waren. Die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman brachte die Stimmung am Abschlusstag auf den Punkt: Russland und China seien mitverantwortlich für die Verbrechen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, sagte sie. »Diese beiden Länder tragen die menschliche und moralische Verantwortung für die Massaker.«

Einen anderen Schwerpunkt in Sachen Verantwortung für die Gewalt legte die Gegendemonstration zur SiKo. »Kein Frieden mit der NATO - Kein Frieden mit dem Kriegsgeschäft« so das bekannte Motto der Protestbewegung. Laut Organisatoren waren rund 4000 Menschen am Samstag dem Aufruf gefolgt. Der Marsch vom Karlsplatz zum Marienplatz wurde Claus Schreer vom Aktionsbündnis zufolge wegen einiger Seitentransparente mehrmals gestoppt, weil die Stadt München im Vorfeld ein Verbot für diese erteilt hatte. Die Polizei nahm einige Teilnehmer fest, unter ihnen ein Teammitglied des Reggae-Wagens, weil dessen Musik zu laut war.

Zum »Lärm für den Weltfrieden« hatten knapp 100 Initiativen, Gruppen und Organisationen des Aktionsbündnisses gegen die SiKo aufgerufen. Die Teilnehmer der Aktion forderten Bildung statt Rüstung und protestierten lautstark und mit Fantasie gegen Krieg und Waffenexporte, gegen ein »deutsches Europa« und gegen die »Nord-Atlantische Terror-Organisation«, wie auf einem mitgeführten Banner zu lesen war.

Unter den Teilnehmern waren viele bekannte Namen. So die Hauptrednerin der zentralen Kundgebung auf dem Marienplatz, Malalai Joya aus Afghanistan. Die Aktivistin für Frauenrechte, gegen Besatzung und Korruption war 2005 jüngstes Mitglied des afghanischen Parlaments, wurde 2007 eben wegen ihres Engagements aus der Vertretung herausgedrängt und ist inzwischen viermal das Ziel von Mordanschlägen geworden. Malalai Joya forderte einen umgehenden Abzug aller Truppen aus Afghanistan: »Wir stehen zwischen drei Fronten«, sagte sie, »den Warlords, den Taliban und den ausländischen Besatzungstruppen.«

Auch die Grußredner kamen teils von weither: der Friedensaktivist Reuven Moskovitz aus Israel und Attac-Mitbegründerin Susan George aus Frankreich, die wie Konstantin Wecker bereits am Vorabend beim Internationalen Forum der Friedenskonferenz zu hören war. Unisono sahen die Redner die Münchner SiKo als Weichen stellend für künftige Kriegsplanungen an. Das machten auch viele Transparente deutlich: »Sicherheit: Wessen Sicherheit?«

** Aus: neues deutschland, 6. Februar 2012


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