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Der Wolf im Bayerischen Hof

Scharfe Kritik von Friedensaktivisten an Programm und Rednern der Münchener Sicherheitskonferenz

Von Olaf Standke *

Für nicht wenige Teilnehmer der Sicherheitskonferenz führt die Anreise nach München in diesem Jahr über Brüssel. Dort tagen gerade die NATO-Verteidigungsminister, unter ihnen auch Pentagon-Chef Leon Panetta, der wie USA-Außenministerin Hillary Clinton zu den »großen« Namen gehört, mit denen sich die 1962 ins Leben gerufene Veranstaltung so gern schmückt. Damals hieß sie noch Wehrkundetagung und wurde vor allem durch den Ost-West-Konflikt geprägt.

Nach Ende des Kalten Kriegs in »Sicherheitskonferenz« umbenannt, um nun ihren globalen Charakter zu betonen, bleibt sie in den Augen der Kritiker doch eine NATO-Konferenz, deren Verquickung von Politik, Militär und Rüstungsindustrie Friedensaktivisten seit Jahren heftig kritisieren. Daran konnte auch der ehemalige Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger nichts ändern, der seit 2008 das inzwischen zur »Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz (gemeinnützige) GmbH« umgewandelte Forum leitet. Diese Rechtsform erleichtert Sponsoren das Spenden, können sie doch so die Gelder von der Steuer absetzen. Und für den Rest sorgt die Bundesregierung, die auch heuer wieder 350 000 Euro zuschieße, wie SiKo-Sprecher Oliver Rolofs mitteilte. So viel zur immer wieder beschworenen Unabhängigkeit der Konferenz.

Wie die Verteidigungsminister der 28 NATO-Staaten wird sich auch die Münchener Runde mit dem Thema Afghanistan und dem geplanten Rückzug der Kampftruppen befassen. Inzwischen drückt auch Washington aufs Tempo. Er hoffe, dass die US-Truppen spätestens in der zweiten Hälfte nächsten Jahres auf eine »Ausbildungs- und Beraterrolle« umschwenken könnten, so Panetta. »Wir erwarten, dass die letzten Provinzen an die afghanischen Sicherheitskräfte bis Mitte 2013 übergeben werden«, erklärte dann gestern auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen - im Unterschied zu Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, der bis Ende 2014 bleiben will. Genügend Diskussionsstoff also auch in München.

Wie sinnlos aber dieser Krieg ist, zeigt ein jetzt öffentlich gewordener geheimer NATO-Report mit dem Titel »State of Taleban«. Er analysiert nicht nur die engen Verbindungen zwischen pakistanischem Geheimdienst bzw. afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban. Er konstatiert auch einen wachsenden Einfluss der radikalen Islamisten am Hindukusch, die damit nach über zehn verheerenden Jahren wieder an die Macht kommen könnten.

Die NATO-Minister sprechen zudem über die Pläne für ein Raketenschild in Europa. Die ersten Teile sollen trotz massiver russischer Kritik beim nächsten Pakt-Gipfel im Mai in Chicago offiziell für einsatzbereit erklärt werden. Das Kommando für diese Raketenabwehr wird auf dem NATO-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein eingerichtet. Derweil will die Münchener Konferenz vermitteln. Ischinger hat einen entsprechenden Kompromissvorschlag angekündigt, der mit US-amerikanischen und russischen Experten in den vergangenen beiden Jahren erarbeitet wurde. Kern sei dabei ein Datenaustausch und eine gemeinsame Datenauswertung, ohne dass die verschiedenen Abwehrsysteme selbst zusammengeschaltet werden müssen, was Moskau bisher gefordert und Washington wegen der Gefahr eines möglichen Technologietransfers abgelehnt hat.

Neben dem Verhältnis zwischen Russland und den USA soll es in München aber auch um die geostrategischen Folgen der Finanzkrise, das wachsende Gewicht Asiens, den vermeintlichen politischen Frühling in der arabischen Welt, die neue machtpolitische Rolle Deutschlands und die Notwendigkeit verstärkter militärischer Anstrengungen Europas oder die Verhinderung des iranischen Atomprogramms gehen, wobei in diesem Jahr wahrscheinlich kein Gast aus Teheran am Konferenztisch sitzen wird.

Das »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« kritisiert das Tagungsprogramm wie auch die angekündigten Redner nachdrücklich. Sie entlarvten Ischingers Behauptungen, auf der SiKo gehe es ausschließlich um »Konfliktverhütung und Friedenssicherung«, als schönfärberische Propaganda für eine gutgläubige Öffentlichkeit. Der Nordatlantik-Pakt sei nicht der verlängerte Arm von Amnesty International und kein Instrument der Konfliktlösung, sondern ein Kriegsbündnis. Wie in den Vorjahren versammelten sich im Hotel Bayerischer Hof vor allem die Hauptverantwortlichen für die Aggressionskriege der Allianz und ihre Militärstrategen, um sich mit internationalen Wirtschafts- und Finanzbossen über Konzepte zur Aufrechterhaltung ihrer weltweiten Hegemonie zu verständigen. Für die Friedensaktivisten ist Wolfgang Ischinger »ein Wolf im Schafspelz«.

* Aus: neues deutschland, 3. Februar 2012


Hochsicherheitstrakt

Militärs, Politiker, Manager konferieren in München: Abgeschirmt von 3100 Polizisten wird über Deutschlands Rolle in der Welt sowie die Zukunft Syriens und des Iran beraten

Von Claudia Wangerin **


Rund 5000 Demonstranten, schätzt das »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz«, werden am Samstag in München den 3100 Polizisten aus mehreren Bundesländern gegenüberstehen, die das elitäre Treffen im Luxushotel Bayerischer Hof abschirmen. Rund 350 Spitzenpolitiker, Militärs, Diplomaten und Topmanager sowie einzelne Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sollen hier über die Lage der Welt beraten. Fast 100 Organisationen haben zu Protesten gegen die diesjährige »Münchner Sicherheitskonferenz« aufgerufen, die am heutigen Freitag um 15 Uhr eröffnet wird. Es ist die 48. Veranstaltung dieser Art. Bei der Premiere 1962 hieß sie allerdings noch »Wehrkundetagung«. Die Friedensbewegung nennt es »Kriegstreibertreffen«.

In der Vergangenheit habe sich der Großteil der Demonstranten friedlich verhalten, räumt die Münchner Polizei ein. Trotzdem wurde ein Protest in Hör- und Sichtweite der Konferenzteilnehmer auch in diesem Jahr nicht erlaubt. Rund um das Tagungshotel wird für die Dauer der Konferenz bis Sonntag abend eine Sicherheitszone eingerichtet, die nur mit einer besonderen Erlaubnis oder »bei Nachweis eines berechtigten Anliegens« betreten werden darf. »Münchens Innenstadt wird im Rahmen des politischen Events zum Hochsicherheitstrakt«, kommentierte die Abendzeitung am Mittwoch. Reisen doch Schwergewichte wie ­NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und Weltbank-Präsident Robert Zoellick, für die Bundesregierung Außenminister Guido Westerwelle (FDP), Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) und Innenminister Hans-Peter Friedrich sowie aus den USA Außenministerin Hillary Clinton und Pentagonchef Leon Panetta an.

Wie die Nachrichtenagentur RIA Novosti am Donnerstag meldete, will auch der russische Außenminister Sergej Lawrow teilnehmen. Inhaltliche Schwerpunkte sind die Auswirkungen der europäischen Schuldenkrise auf die Stabilität der betroffenen Staaten, Deutschlands neue Rolle in der Welt, aber auch die neuen Wachstumszentren Asiens. Doch das offizielle Programm ist nicht alles. »Es wird am Rande der Konferenz sicher viele bilaterale Gespräche geben, bei denen es neben dem Iran auch um Syrien geht«, sagte Konferenzleiter Wolfgang Ischinger in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der Rheinischen Post. Er wolle »die Hoffnung nicht aufgeben«, daß in Syrien »ein Regimewechsel ohne noch größeren Bürgerkrieg gelingen kann«. Die Haltung der Vetomacht Rußland scheine ihm »nicht fest zementiert«, so der beurlaubte Spitzendiplomat. Allerdings sprach er sich im selben Interview für den Abzug von US-Nuklearwaffen aus Europa aus – wenn es für deren Präsenz »keine militärische Begründung mehr« gebe. Die Friedensbewegung beruhigt das nicht.

»Noch nie war die Situation so brandgefährlich wie heute«, sagte der Liedermacher Konstantin Wecker bei einer Pressekonferenz der »Siko«-Gegner in München. Besondere Sorgen bereitet ihm der Konflikt westlicher Staaten mit dem Iran: »Das Atomprogramm des Landes notfalls mit einem Atomkrieg stoppen zu wollen ist pervers.«

Offiziell ist das Treffen im Bayerischen Hof eine Privatveranstaltung, allerdings wird es mit Steuermitteln subventioniert: »Die jährliche Münchner Sicherheitskonferenz könnte nicht stattfinden ohne die Unterstützung von Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel und der Bundesregierung, die Gastfreundschaft der bayerischen Staatsregierung und die vielen Helfer der Bundeswehr«, heißt es auf der offiziellen Homepage www.­securityconference.de.

Wichtigster Partner aus der Privatwirtschaft ist der Linde-Konzern, der sich unter anderem mit Erdgasaufbereitung, Chemie- und Petrochemieanlagen befaßt. Neben der Rolle Deutschlands in Europa und der Welt stehen am heutigen Freitag »Energie, Ressourcen und die Umwelt – neue Sicherheitsparameter?« auf der Tagesordnung der Konferenz. Schönfärberei, meinen die »Siko«-Gegner: »Es geht um die Verfügungsgewalt über Rohstoffe, die Sicherung von Handelswegen und Machtinteressen«, sagte Hagen Pfaff, Pressesprecher des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC in München. »Wir betrachten die Sicherheitskonferenz nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems.«

Obwohl ATTAC und die Umweltorganisation Greenpeace International sonst oft im Protest vereint sind, gelang es Ischinger, dem Vorsitzenden der dreitätigen Veranstaltung in diesem Jahr einen Keil zwischen sie zu treiben: Er lud Greenpeace-Chef Kumi Naidoo ein – und erhielt eine Zusage. Parallel dazu soll Naidoos Büro aber auch beim Protestbündnis der »Siko«-Gegner angefragt haben, ob er auf ihrer Kundgebung sprechen könne. Naidoo sei mitgeteilt worden, er solle sich entscheiden, sagte Bündnissprecher Claus Schreer am Donnerstag gegenüber junge Welt. Für reformierbar hält der langjährige Protestorganisator das Großereignis im Bayerischen Hof nicht. Ein kleiner Verein mit dem Namen »Münchner Sicherheitskonferenz verändern« darf zwei Beobachterinnen in das Hotel schicken. Für sie ist dort aber keine Redezeit vorgesehen. Internationaler Gast der Protestbewegung ist die afghanische Politikerin und Menschenrechtlerin Malalai Joya.

** Aus: junge Welt, 3. Februar 2012


Russland fragt nach den Grenzen der NATO

Außenpolitiker Kossatschow: 2012 ein gefährliches Jahr

Von Detlef D. Pries ***


Russische Politiker sind inzwischen ständige Teilnehmer der Münchener Sicherheitskonferenz. Sie schätzen das Forum, bleiben aber misstrauisch.

Lange Zeit sei die Münchner Konferenz eine Art »Schule der transatlantischen Solidarität« gewesen, in der die USA-Vertreter stets die erste Geige spielten, sagt Konstantin Kossatschow, der bis Dezember dem außenpolitischen Komitee der russischen Staatsduma vorsaß, inzwischen aber auf den Stuhl des Stellvertreters verwiesen wurde. In den vergangenen acht Jahren war er selbst in München zu Gast und hat durchaus eine Änderung des Charakters festgestellt: Die NATO habe anerkennen müssen, dass ihre Instrumente allein nicht taugen, globale Sicherheitsprobleme zu lösen. Also sei der Teilnehmerkreis erweitert worden. Dennoch, äußerte Kossatschow bei einer von RIA Nowosti organisierten Videobrücke Moskau-Berlin, sei er besorgt darüber, wie sich die NATO formiert. Ihr ursprünglicher Daseinsgrund, der Schutz ihrer Mitglieder vor einer äußeren Bedrohung, werde durch den Anspruch ersetzt, »Prozesse in den Bereichen Demokratie, Sicherheit und Wirtschaft auch außerhalb der NATO-Grenzen mitzubestimmen«. Ob die Allianz demnächst den Nahen Osten zur Sphäre ihrer Lebensinteressen erklärt, in den indisch-pakistanischen Streit um Kaschmir oder den innerkoreanischen Konflikt eingreift, scheine nur eine Frage der Ressourcen und des Geldes zu sein. Prinzipielle Grenzen seien jedenfalls nicht zu erkennen, und das beunruhige Russland. Es sei schwer vorstellbar, dass sich die übrige Welt einer NATO-Führerschaft schweigend unterordnet. Eher seien Widerstände und die Bildung von Gegengewichten zu erwarten.

Von seinen deutschen Gesprächspartnern auf »neue völkerrechtliche Normen« hingewiesen, etwa die »Schutzverantwortung«, auf die sich die Interventionsmächte im Falle Libyen beriefen, erwiderte Kossatschow, dass es sich dabei leider oft um Angriffe auf das geltende Völkerrecht handle, zumindest um eigenwillige Interpretationen. Das Jahr 2012, meinte er, sei ein besonders gefährliches: »Wir alle sind Geiseln der Wahlen in den USA und Frankreich«, wo unter dem Druck des Wahlkampfes politische Fehlentscheidungen getroffen werden könnten. Die Wahlen in Russland erwähnte Kossatschow in diesem Zusammenhang nicht.

*** Aus: neues deutschland, 3. Februar 2012


Wehdam

Konstantin Wecker tritt in München auf der Gegenveranstaltung zur Sicherheitskonferenz auf ****

Dass Konstantin Wecker auf einer Friedenskundgebung auftritt, ist im Grunde nicht mal Ortsveränderung. Frieden singt er immer und überall. Für dieses eine Wort feierten oder beschimpften sie ihn. Als er 2003 mit einer Friedensdelegation nach Irak fuhr, geriet er ins Bashing der Bush-Sklaven in deutschen Medien - die heute kaum noch wissen wollen, wie hündisch sie damals Freiheit kläfften und Krieg meinten. Und Krieg bekamen.

Wecker, geboren 1947 in München, hatte seinen internationalen Durchbruch mit der LP »Genug ist nicht genug«. Die Ballade vom erschlagenen Willy wurde Kult. 1996 dann Drogenprozess mit Bewährungsstrafe. Wecker, das sind die Song-Klassiker (»Im Namen des Wahnsinns«, »Wenn die Börsianer tanzen«, »Wenn der Sommer nicht mehr weit ist«). Die Filmmusiken (»Die weiße Rose«, »Schtonk«, »Kir Royal«). Die Musicals. Als Zwölfjähriger sang er mit seinem Vater im Wohnzimmer große Oper. Das wichtige Früherlebnis: in Arien diese Welt verlassen können; die fortlaufende Zeit als Bedürfnis begreifen, nie Armut erleben zu müssen. Armut tritt ein, wenn Musik aufhört.

Wenn es einen Blues auf Bayerisch gibt - er hat ihn erfunden: den Wehdam. Jene Gemütsbewegung, bei der man meint, dass statt der Elstern dicke Hunde durch die Luft fliegen, und der Mensch latscht »vollgepackt mit ungelösten Fragen« durch den Park. Er wird so irre an der normalen Welt, dass er plötzlich »überm Anzug gern Dessous« trägt.

Man kann sich heute noch, da der Sänger längst meditative Ruhe fand, sehr gut vorstellen, wie dieser schwitzende, schonungslose Kerl in früheren Rauschzuständen Säle zum Kochen brachte. Er will mit Liedern seit über dreißig Jahren die Welt verändern, und sie hat sich verändert - »aber stets nur durch Idioten, nie durch mich«.

Ein König Kinderleicht - Weckers Immergrün ist gleichsam das Unkraut, das er gegen den eigenen Lorbeer wuchern lässt. Aber: auch ein König Schinderschwer im Weitblick - der nicht nur Eleganz hat, sondern auch ein arbeitendes Bewusstsein. Das faucht böse, witzig gegen Repression und Einschüchterung. Derzeit wieder. Er gibt, für den Frieden, keinen Frieden. Hans-Dieter Schütt

**** Aus: neues deutschland, 3. Februar 2012


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