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Die Bundeswehr in der Führungsrolle

Verteidigungsminister de Maizière eröffnete in München die 48. Sicherheitskonferenz

Von Olaf Standke *

Mit rund 350 Vertretern aus Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft aus über 60 Staaten begann am Freitag die 48. Münchner Sicherheitskonferenz. Zur Gegenveranstaltung treffen sich Kriegsgegner auf einer Friedenskonferenz, die gestern Abend zu einem Forum geladen hatte. Auf der heutigen Protestkundgebung werden 5000 Menschen erwartet.

»Deutschlands Rolle in Europa und der Welt«, so lautete der erste Tagesordnungspunkt gestern im Nobelhotel »Bayerischer Hof« beim laut Eigenwerbung weltweit wichtigsten informellen Forum zu sicherheitspolitischen Fragen. Eröffnungsredner Thomas de Maizière, seines Zeichens Bundesverteidigungsminister, hatte mit den Amtskollegen auf der Brüssler NATO-Tagung zuvor für eine Debattenvorlage gesorgt: Die technische Einsatzleitung der geplanten Raketenabwehr in Europa soll beim NATO-Luftwaffenkommando (Allied Air Command) im pfälzischen Ramstein liegen. Es ist im Pakt für die Verteidigung des Allianz-Luftraums zuständig - wozu auch der Weltraum gezählt wird.

Laut de Maizière könne sich Deutschland vorstellen, das System mit eigenen »Patriot«-Raketen zu unterstützen. Nach Berliner Angaben verfüge man über 24 sogenannte Feuereinheiten mit Flugkörpern dieses Typs, Abschussvorrichtungen und Radaranlagen. Sie könnten gemeinsam mit Elementen anderer Staaten und Anlagen der USA in ein neues großes System eingebunden werden. »Es geht um eine in Europa stationierte Raketenabwehr gegen Bedrohungen aus dem Nahen Osten, insbesondere Iran«, betonte de Maizière. Das dürften die russischen Teilnehmer in München etwas anders sehen.

Der Raketenschild ist nach Ansicht des russischen Regierungschefs und Präsidentenkandidaten Wladimir Putin eindeutig gegen sein Land gerichtet. »Heute gibt es keine Bedrohungen aus Iran und Nordkorea«, sagte Putin in einem Film, den das Staatsfernsehen am Donnerstagabend ausstrahlte. »Nach dem heutigen Stand soll das Raketenabwehrsystem ohne Frage das Atomwaffenpotenzial Russlands neutralisieren.«

Auch wenn De Maizière gestern in München noch einmal hervorhob, dass die NATO das System gemeinsam mit Russland auf den Weg bringen wolle - bisher kann man sich nicht über die Architektur einer gemeinsamen Raketenabwehr einigen. Moskau verlangt entweder seine gleichberechtigte Beteiligung oder schriftliche Garantien, dass dieser Schild nicht gegen Russland gerichtet sei. Beides wird in Washington abgelehnt, weshalb SiKo-Leiter Wolfgang Ischinger am Wochenende einen Kompromissvorschlag vorlegen will, um die Verhandlungen aus der Sackgasse zu führen. Wichtiger aber dürfte wohl sein, was der russische Außenminister Sergej Lawrow und seine USA-Kollegin Hillary Clinton in der zur Festung ausgebauten Tagungsstätte bereden werden.

Ischinger hatte im Vorfeld der Konferenz gefordert, Deutschland müsse seine neue Rolle als Führungsmacht in Europa offensiv annehmen. De Maizière bemühte sich zum Auftakt der Debatte besonders, die erheblichen militärischen Anstrengungen der Bundesrepublik herauszustellen; schließlich seien seit 1991 über 300 000 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz gewesen. So als wollte er den Vorwurf der Konferenzkritiker bestätigen, dass im »Bayerischen Hof« Spitzenpolitiker, hochrangige Militärs und Vertreter von Wirtschafts- und Rüstungskonzernen vor allem über neue Interventionspläne nachdenken.

* Aus: neues deutschland, 4. Februar 2012


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