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Gegner der Lügen

Tausende demonstrierten in München für Frieden und Abrüstung

Von Rolf-Henning Hintze, München *

Während bei der Sicherheitskonferenz am Samstag (5. Feb.) Top-Politiker aus aller Welt Konfliktherde und Militärstrategien besprachen, gingen in München mehrere tausend Menschen gegen die »NATO-Kriegspolitik« auf die Straße.

In ungewöhnlich scharfen Worten hat der katholische Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann in München die Militarisierung der deutschen Außenpolitik kritisiert. »Von Grund auf verlogen« nannte er sie vor mehreren tausend Menschen beim Abschluss einer Protestdemonstration gegen die Sicherheitskonferenz. Der Bundesregierung warf er vor, junge Menschen zu »bezahlten Auftragsmördern« zu machen.

Rund 90 Organisationen hatten zu der Demonstration aufgerufen, darunter Gewerkschaften, Friedensgruppen und die Linkspartei. Ihre zentrale Forderung war der sofortige Abzug der Bundeswehr und aller NATO-Truppen aus Afghanistan. Der bunte Protestzug war am Sonnabend durch die Münchner Innenstadt gezogen. Besondere Aufmerksamkeit erregten zwölf schwarz gekleidete Frauen, die weiße Masken vor dem Gesicht trugen. Sie hatten Schilder in den Händen mit Namen von Ländern und Orten, die Ziele von NATO-Angriffen wurden.

In seiner immer wieder von Beifall unterbrochenen Rede auf dem Platz vor dem Münchner Rathaus griff Drewermann Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg scharf an. Dieser solle nicht so tun, als wenn er die Humanität verteidige. Guttenberg sei »nach vieler Lügerei« in einem Punkt aber ehrlich geworden, als er feststellte, Sicherheit sei nicht der Schutz der deutschen Bürger im In- und Ausland, sondern der Schutz unserer Finanz- und Wirtschaftsinteressen. »Dafür zu morden, dafür zu sterben, ist unwürdig eines jeden Menschen«, sagte der Linkskatholik.

An dem »Desaster« in Afghanistan sind nach Ansicht Drewermanns nicht nur CDU und FDP, sondern auch Rot-Grün schuld. »Sie alle haben gelogen und Weltverantwortung als Kriegseinsatz interpretiert.« Krieg lasse sich nicht schönreden, »er ist blutverschmiert«. Die vernetzte Strategie von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in Afghanistan Frieden und Krieg gleichermaßen zu haben, sei nicht möglich, meinte Drewermann. »Das ist wie Senf vermischt mit Pudding: Beides zusammen ist zum Kotzen.« Die Bundeswehr praktiziere in Afghanistan inzwischen, was die Amerikaner seit Langem machten: gezieltes Töten.

Drewermann forderte schließlich den Austritt Deutschlands aus der NATO, die zu einer »aggressiven Interventionsarmee« geworden sei. Stattdessen solle man sich um Ungerechtigkeit und Hunger als die Gründe von Kriegen kümmern.

An der Demonstration beteiligten sich Gruppen aus Afghanistan, Äthiopien, Somalia und Ägypten. Die Organisatoren wollen ihren Protest auch als Solidarität verstanden wissen mit den »Millionen Menschen, die in diesen Tagen für Demokratie und Menschenwürde kämpfen, die gegen die despotischen Regimes in ihren Ländern aufstehen«, erklärte der Sprecher des Aktionsbündnisses, Walter Listl. Er warf der Bundesregierung und den anderen NATO-Staaten in diesem Zusammenhang Scheinheiligkeit vor. Sie hätten die »Verbrecherregimes« unterstützt und würden sich jetzt nur mit »Lippenbekenntnissen« auf die Seite der Demonstranten stellen.

Die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen unterstrich diese Kritik mit den Worten von Außenminister Westerwelle. Dieser habe noch im vergangenen Jahr die »große Weisheit« des ägyptischen Staatschefs Mubarak gelobt, jetzt wolle er den langjährigen Geheimdienstchef Suleiman installieren. Heftige Kritik übte die Abgeordnete an den Medien. In ARD und ZDF habe es lange keine kritischen Berichte über Ägypten gegeben. Es sei eine Schande, dass sich Journalisten zum Werkzeug von Politikern machen ließen. Der ARD-Chefredakteur hatte sich dafür entschuldigt. Dagdelen glaubt der Einsicht nicht. Auch über die Münchner Sicherheitskonferenz gebe es »Hofberichterstattung«, kritisierte sie.

An den Protesten am Sonnabend beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter 5500 Menschen. Die Polizei zählte 3200. 3400 Polizisten waren im Einsatz. Das Gelände um den »Bayerischen Hof«, den Ort der Sicherheitskonferenz, war weiträumig abgesperrt. Am Sonntag ging zudem eine dreitägige Gegenkonferenz zu Ende. Dort wurden in der bayerischen Hauptstadt zivile Alternativen zu Kriegseinsätzen diskutiert.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2011


Gegen Krieg und Doppelmoral

Bis zu 5000 Menschen haben am Samstag (5. Feb.) in der bayerischen Landeshauptstadt gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz« protestiert, zu der mehrere Staatsoberhäupter sowie Außen- und Militärpolitiker aus NATO-Ländern angereist waren. Ihretwegen war in der Innenstadt eine Sicherheitszone eingerichtet worden. Rund um den Tagungsort waren die Straßen gesperrt. Rund 3400 Polizisten waren im Einsatz, darunter auch Einheiten aus anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Unter den Demonstranten waren laut Polizei auch 400 Autonome, die friedlich blieben. Polizeisprecher schätzten die Zahl der Demonstranten insgesamt auf 3200; die Protestorganisatoren warfen ihnen vor, nicht bis 5000 zählen zu können.

Etwa 90 Organisationen hatten zu der Kundgebung unter dem Motto »Gegen die NATO-Kriegspolitik – Bundeswehr raus aus Afghanistan« aufgerufen, die um 13 Uhr auf dem Marienplatz begann, darunter Gewerkschaften und die Linkspartei. »Diesen NATO-Politikern, Kriegsstrategen und Waffenhändlern können wir unsere Sicherheit nicht überlassen«, sagte Walter Listl vom »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« in der Eröffnungsrede. Als »Nebelkerze« bezeichnete er das Reden vom bevorstehenden Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, der laut Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erst beginnen soll, wenn es die Sicherheitslage erlaube. Auf Plakaten war der Aufruf »Blockieren, Desertieren, Sabotieren, Generalstreik« zu lesen. Wie Listl forderte auch der Kirchenkritiker und Theologe Eugen Drewermann als Kundgebungsredner den sofortigen Abzug aus Afghanistan. Es sei nicht möglich, Krieg und Frieden zu vermengen, sagte Drewermann. »Das ist wie Senf mit Pudding. Beides zusammen ist zum Kotzen.«

Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen kritisierte die Doppelmoral, mit der die Bundesregierung mit den Protesten in den arabischen Ländern umgehe. Die dortigen Machthaber seien »jahrzehntelang von den westlichen Staaten, insbesondere auch von Deutschland, gepäppelt« worden, hätten Waffen und Polizeihilfe für die Repression gegen die Bevölkerung erhalten. Teilnehmer der Sicherheitskonferenz waren unterdessen eifrig bemüht, Sympathien für die demokratische Opposition in Ägypten zu bekunden, nachdem sie sich von deren Aufstand weitgehend überrascht gezeigt hatten. Zwar forderten weder Bundeskanzlerin Angela Merkel noch US-Außenministerin Hillary Clinton den ägyptischen Präsidenten Mubarak zum Rücktritt auf, Merkel sagte jedoch mit Blick auf die heterogene Protestbewegung am Nil: »Wer wären wir denn, wenn wir nicht auf der Seite dieser Menschen stünden.« Draußen bei den »Siko«-Gegnern übte auch die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) scharfe Kritik an der bisherigen Komplizenschaft Deutschlands mit Diktatoren in arabischen Staaten

** Aus: junge Welt, 7. Februar 2011


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