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Bündnis gegen Münchner Sicherheitskonferenz

Wegen Afghanistan-Eskalation mehr Demonstrationsteilnehmer als in Vorjahren erwartet

Von Rolf-Henning Hintze, München *

Im Februar findet in der bayerischen Landeshauptstadt erneut die Sicherheitskonferenz statt. Etwa 80 Organisationen mobilisieren zum Protest.

Bei der diesjährigen Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz am 6. Februar rechnet das »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« mit 5000 Teilnehmern. Wegen der Eskalation des Krieges in Afghanistan erwarte er mehr Teilnehmer an den Protesten als in den vergangenen Jahren, sagte der Koordinator der Demonstration, Claus Schreer, am Montag vor Journalisten in München. Zu der Demonstration hat ein Bündnis von rund 80 Organisationen aufgerufen, darunter auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Schreer nannte die Münchner Konferenz eine »hochkarätige Kriegstagung zur Rechtfertigung der NATO-Angriffskriege«.

Heftige Kritik übte er an der so genannten »Taschenkarte« für Soldaten in Afghanistan. Darin heiße es, Afghanen, die ein »sonst wie feindseliges Verhalten« zeigten, seien als militärische Ziele anzusehen. Dies komme einem »Freibrief für präventive Kriegsführung« gleich, meinte Schreer. Zur Forderung des Leiters der Sicherheitskonferenz des früheren Botschafters Wolfgang Ischinger, die deutschen Truppen müssten verstärkt werden, um das deutsche Ansehen nicht zu beschädigen, sagte er: »Auf kriegerisches Ansehen Deutschlands pfeifen wir.«

Grundlegende Kritik an der Sicherheitskonferenz kommt auch von Attac. Hagen Pfaff, Mitglied des Münchner Attac-Koordinierungskreises, zitierte ausführlich aus einem von der Mitgliederversammlung angenommenen Papier, in dem unter anderem festgestellt wird, »dass die Sicherheitskonferenz mehr der Vorbereitung und Rechtfertigung als der Vermeidung von Kriegen dient«. Im Vordergrund der Konferenz stünden die Sicherung von Ressourcen und die Ausweitung von Einflusssphären, nicht friedenssichernde Maßnahmen. Die Konferenz sei aufgrund ihrer Teilnehmer, die »überwiegend aus militärischen, verteidigungspolitischen und industriellen Zusammenhängen« kämen, kein geeignetes Forum, um Lösungen zu finden. Attac hält die Sicherheitskonferenz »für nicht reformierbar« und fordert ihre Auflösung. An ihre Stelle sollte »eine wirkliche und von der Völkergemeinschaft legitimierte Friedenskonferenz« treten.

Auch autonome Gruppen werden sich erneut an den Protesten beteiligen. Ein Sprecher einer dieser Gruppen, des »Arbeitskreises Internationales«, Hans-Georg Eberl, sagte, der EU-Sicherheitspolitik gehe es um die Sicherung von Rohstoffen und der Energiezufuhr. Diese solle notfalls auch militärisch durchgesetzt werden.

Attac München trägt den diesjährigen Demonstrationsaufruf erstmals nicht mit. Dies gehe auf die Sprengung eines von Attac veranstalteten öffentlichen Streitgesprächs mit Siko-Leiter Wolfgang Ischinger durch eine Gruppe von Autonomen, u. a. den »Arbeitskreis Internationales«, zurück, sagte Attac-Sprecher Pfaff gegenüber ND. Im Anti-Siko-Bündnis sei die Aktion der Autonomen aber mehrheitlich missbilligt worden.

Erstmals hat ein prominentes Mitglied der Linkspartei eine Einladung zur Sicherheitskonferenz erhalten. Norman Paech, bekannt als harter Kritiker der deutschen Afghanistan-Politik war bis zum Sommer außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, hatte aber nicht wieder kandidiert. Im Bündnis gegen die Konferenz wird Paechs Teilnahme unterschiedlich gewertet. Schreer bezeichnete sie als »überflüssig«, Paech werde dort wahrscheinlich nicht zu Wort kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Januar 2010

Die Themen: Sicherheitsarchitektur, Absrüstung, Afghanistan, Naher Osten

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz im Interview

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus einem Interview mit Botschafter Wolfgang Ischinger, der die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) 2010 zum zweiten Mal organisiert. Das Interview ist veröffentlicht auf der offiziellen Website der MSC unter dem Titel "Ischinger: 'Der politische Frühling wird sich 2010 fortsetzen.'" **

Frage: Anfang November tagte die MSC erstmals im Rahmen eines Core Group Meeting mit hochrangigen Teilnehmern aus Europa und den USA in Washington. Geht die MSC neue Wege?

Ischinger: Dies war zunächst ein Experiment, da die MSC noch nie im Ausland getagt hat. Wir wollten damit zu den Ursprüngen der eigentlichen Konferenz zurückkehren, die in ihrem Ursprung als "Wehrkundetagung" begann und in deren Kern eine deutsch-amerikanische Diskussion über Abschreckung und Verteidigung zu Zeiten des Kalten Krieges stand. In Washington erlebten wir eine gute, konstruktive Arbeitssitzung, die ein großer Erfolg war. Ich habe vor, dieses Veranstaltungsformat im nächsten Jahr an anderen Orten fortzusetzen.

Wie war die transatlantische Stimmung?

Wir haben erlebt, dass gerade die amerikanischen Teilnehmer, anders als es in München vor laufenden Kameras geschieht, sich zum Beispiel über die richtige oder falsche Afghanistan-Strategie oder über den Umgang mit Russland gestritten haben. Das war eine besonders interessante und aufschlussreiche Diskussion. Es wurde darüber hinaus deutlich, dass wir uns in der Einschätzung der Prioritäten transatlantischer Sicherheitspolitik durchaus einig sind, aber auf beiden Seiten des Atlantiks weiterhin ein enormer Diskussionsbedarf bei so brennenden Fragen wie Afghanistan, Russland oder der nuklearen Nichtverbreitung besteht.

Beherrschen die Themen und Ergebnisse der Washingtoner Tagung auch die Agenda der 46. MSC?

In Washington wurden vor allem Fragen der Abrüstung- und Rüstungskontrolle, der transatlantischen Zusammenarbeit mit Russland sowie Fragen der Energiesicherheit und Klimapolitik hinsichtlich des UN-Klimagipfels in Kopenhagen diskutiert. Weitere zentrale Themen waren die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise auf die Sicherheitspolitik sowie die Zukunft der transatlantischen Zusammenarbeit in der NATO und ihres Einsatzes in Afghanistan. Dies werden im Kern auch die Themen der kommenden Konferenz sein.

Gibt es wie im Vorjahr erneut Änderungen im Konferenzformat?

Ja, wir werden zur kommenden Konferenz das Spektrum an Themen gegenüber dem traditionellen Format erweitern. Wir möchten zusätzlich zu den klassischen Themen europäischer und transatlantischer Sicherheitspolitik, Fragen der europäischen und internationalen Energiesicherheit im Rahmen von „global governance“ diskutieren. Zudem sehe ich dringenden Diskussionsbedarf über die Lage im Nahen Osten und der dortigen regionalen Sicherheit.

Sie wollen zudem die Wirtschaft enger in die Konferenz einbinden. In welchen Bereichen?

Wir versuchen zunehmend, auch führende Vertreter aus der Wirtschaft für die Konferenz zu interessieren und wollen in einem bestimmten Konferenzteil Fragen ansprechen, die gerade auch für Wirtschaftsführer von Bedeutung sind. Hier geht es um Energie und Ressourcensicherheit und die Auswirkungen der Bemühungen aller internationalen Akteure einschließlich Chinas, sich strategisch so zu positionieren, dass Ressourcensicherheit für die nächsten Jahrzehnte gewährleistet ist. Diese neuen strategischen Herausforderungen der internationalen Sicherheitspolitik können ohne Beteiligung der Wirtschaft nicht mehr umfassend erörtern werden.

(...)

Wird sich der von Ihnen ausgerufene politische Frühling der letzten Konferenz auch 2010 fortsetzen?

Er muss sich fortsetzen, denn ohne intensive und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau werden sich nicht nur die Rüstungskontrollgespräche nicht weiterführen lassen, sondern wir werden auch keine Chance haben, den Iran und Afghanistan betreffende Fragen sowie viele andere Krisensituationen in den Griff zu bekommen. Wir werden im Februar hoffentlich über den Abschluss des START-Nachfolgeabkommens zwischen Russland und den USA berichten können, das eine weitere Runde einschneidender Reduzierungen der nuklearen Sprengköpfe auf beiden Seiten einläutet. Insoweit glaube ich auch an eine Fortsetzung des "Frühlings" im Jahr 2010.

(...)

Das Thema Afghanistan beherrscht weiterhin die Schlagzeilen. Sie fordern schon seit längerem eine umfassende Afghanistan-Debatte in Deutschland. Nach der Bundestagswahl kam es lediglich zu Rückzugsdiskussionen. Ist das der richtige Ansatz?

Es wäre sicher falsch, wenn sich die Debatte nur auf die Rückzugsfrage reduzieren würde. Es ist ein wichtiges Element einer umfassenden Afghanistan-Strategie, nicht nur nach außen glaubwürdig zu sein, sondern auch in der eigenen politischen Öffentlichkeit eine hinreichende Unterstützung zu bekommen. Wichtig hierbei ist allerdings, eine glaubwürdige Exit-Strategie aufzuzeigen.

Die Debatte um eine Exit-Strategie dürfte auch die Afghanistan-Konferenz im Januar beschäftigen. Was erhoffen Sie sich von der Konferenz?

Ziel der Konferenz muss es sein, die verschiedenen Elemente einer umfassenden Afghanistan-Strategie umzusetzen und eine sinnvolle Übergabestrategie der Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit des Landes an die afghanischen Kräfte zu durchdenken und gemeinsam zu beschließen. Es darf nicht passieren, dass die entscheidenden Parameter einer umfassenden Afghanistan-Strategie in Washington bestimmt und dann von den Europäern abgenickt werden müssen. Im Bündnis sollten gemeinsam die strategischen Fragestellungen erörtert und auch gemeinsam beschlossen werden.

(...)

Ein weiteres Konfliktfeld ist und bleibt der Nahe Osten. Der Plan eines unabhängigen palästinensischen Staates sowie die Fortsetzung der israelischen Siedlungspolitik produzieren neuen politischen Sprengstoff. Was macht die internationale Gemeinschaft in ihren Vermittlungsbemühungen falsch?

Anfang 2003 habe ich in Amerika die Frage aufgeworfen, ob es richtig oder falsch ist, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen, der dann ja zwei Monate später tatsächlich von den USA geführt wurde. Meine Auffassung war damals wie heute, lieber eine sinnvolle Iran-Strategie zu entwickeln und sich massiv der Überwindung des arabisch-israelischen Konflikts zuzuwenden. Bis heute ist es leider nicht zu dem entscheidenden Durchbruch gekommen.

…weil es fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, diesen Konflikt derzeit zu lösen?

Es kann nur die Zielsetzung aller Europäer mit der amerikanischen Führungsmacht gemeinsam sein, eine wirkliche Wiederaufnahme des Friedensprozesses anzustreben. Ich gehöre aber nicht zu denen, die meinen, dass man diesen Konflikt nur einhegen kann und Lösungen unmöglich sind. Es gibt in der Außenpolitik nicht den Begriff der objektiven Unmöglichkeit. Jeder Konflikt ist lösbar. Hier ist die Führungsmacht USA gefragt. Ich hoffe sehr, dass Präsident Obama seinen Plan tatsächlich für die Region umsetzt und mit neuer Energie auf beide Seiten einwirkt.

Hier könnte doch auch Syrien ein neuer Impulsgeber sein?

Ohne Damaskus wird es nicht gehen. Die Mitwirkung und Einbeziehung Syriens ist ein wichtiges Element einer umfassenderen Friedensstrategie für die Region des Nahen Ostens.

Sie sind Co-Vorsitzender der "Euro Atlantic Security Initiative", die die intellektuellen Grundlagen für ein euro-atlantisches Sicherheitssystem des 21. Jahrhunderts beschreiben soll. Was sind dabei die konkreten Zielsetzungen der Initiative?

Hier handelt es sich um ein gemeinsames europäisches, amerikanisches und russisches Projekt, dessen Ziel es sein soll, die bisher unergiebig verlaufene Diskussion über die europäische Sicherheitsarchitektur des 21. Jahrhunderts zu verdichten. Wir wollen im Lauf der kommenden zwei Jahre Vorschläge machen, wie diese Sicherheitsarchitektur an die neuen Gegebenheiten angepasst werden könnte, damit das gemeinsame europäische Haus eine Hausordnung hat, in der sich alle Staaten Europas einschließlich der Russischen Föderation zu Hause fühlen.

(...)

** Dieses Interview ist in der Zeitschrift Europäische Sicherheit erschienen. Die Fragen stellte Oliver Rolofs.

Hier geht es zum ganzen Interview: Website der Münchner Sicherheitskonferenz, 12. Januar 2010; www.securityconference.de





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