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Propaganda für die Streitkräfte

Mit dem Strategiespiel POL&IS versucht die Bundeswehr, Nachwuchs zu werben

Von Markus Pflüger *

Das Simulationsspiel POL&IS (= Politik & Internationale Sicherheit), das Jugendoffiziere der Bundeswehr vor allem mit Schülern spielen, wird von Friedensgruppen stark kritisiert. Im Oktober stellte sich die Bundeswehr damit zum ersten Mal seinen Kritikern: 31 Friedensaktivisten fuhren in die Bundeswehr-Seminarstätte im sauerländischen Winterberg, um mit Jugendoffizieren POL&IS zu spielen. Ein Erfahrungsbericht.

Es war eine ziemlich bunte Gruppe aus der Friedensbewegung, die ins Sauerland fuhr: Mitglieder unabhängiger Friedensorganisationen wie der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) und der Informationsstelle Militarisierung (IMI), Personen aus Friedensdiensten, kirchliche Friedensaktivisten, Schüler- und Gewerkschaftsvertreter. In den drei Tagen, die so ein Spiel dauert, wurden sie Regierungschefs, Wirtschaftsminister, UN-Generalsekretärin, die Weltpresse oder Nichtregierungsorganisationen. Wir fuhren in der Hoffnung, durch unsere Teilnahme neue Erkenntnisse für unser friedenspolitisches und pädagogisches Engagement zu bekommen.

»Polis heißt: Realitätsnah ein paar Tage Weltpolitik zu spielen«, sagt ein Jugendoffizier. Schon bei der Rollenverteilung war diese Aussage zweifelhaft: Denn die Opposition wurde nicht besetzt. Dafür seien größere Gruppen notwendig, erklärte der Jugendoffizier. Laut Spielvorgabe ist die Opposition in Europa sowieso nur »konservativ« oder »liberal« – grundsätzliche Fragen und linke Perspektiven hätte sie also nicht eingefordert. Aber sie fiel ja eh aus.

Hungersnöte, Streiks oder Aufstände drohen

Die Jugendoffiziere sind die einflussreichen Spielleiter. Sie können Streiks, Aufstände und Guerillas einwerfen und bewerten die Programme der einzelnen Akteure nach Gutdünken, sprich: aus Militärsicht. Damit beeinflussen sie den Lerneffekt entscheidend – nach ihren Interessen und ihrer Ethik.

Zu Beginn wurden unsere wirtschaftlichen und militärischen Grundlagen berechnet. Wir mussten »politische Programme« für unsere jeweiligen Länder erstellen und Reden vor der UN-Versammlung vortragen. Die Wirtschaftsminister handelten parallel mit Gütern, um den jeweiligen Bedarf sicherzustellen. Es ging nicht für alle Länder gut aus. Der Jugendoffizier meinte dazu: »Generell haben wir in der Polis-Welt keine Versorgungsprobleme, sondern ein Verteilungsproblem, wie in der wirklichen Welt auch.« Die strukturelle Ungerechtigkeit ist zwar teilweise erkennbar, aber sie kann in diesem System nicht überwunden werden. »Wir können nur an der Oberfläche kratzen, mehr geht leider nicht«, hieß es.

Teilweise drohten auch Hungersnöte und damit Aufstände oder Streiks, die von den Spielleitern initiiert werden. »Soziale Bewegungen«, die es direkt nicht gibt, erscheinen also wie ein schädliches Ereignis, nicht wie eine Chance auf Umverteilung oder demokratische Teilhabe von unten. Erstes Zwischenfazit: Polis versucht die Realität abzubilden, und dazu scheint zu gehören, dass sie nicht grundsätzlich geändert werden kann.

Einige Ländervertreter rüsteten auf – quantitative Abrüstung bei qualitativer Aufrüstung inklusive mehr Entwicklungshilfe galt als gutes Sicherheitskonzept. Wer in dem Spiel abrüstete, musste mit wirtschaftlichen Nachteilen klarkommen. Viele schlossen Handels- und Friedensverträge, manche versuchten auch Druck auf andere Länder auszuüben, um ihre Ziele zu erreichen. Zwischenfazit zwei: Versuche, andere als bisher bekannte Wege zur Lösung politischer Krisen oder zur Gestaltung der Welt zu gehen, sind unrealistisch. Wer darauf setzt, hat Nachteile. Eindeutiger Lerneffekt.

Der Schwerpunkt des Bundeswehr-Spiels liegt auf Wirtschaftsfragen, nicht auf Militäreinsätzen. Es zeigt ausführlich wirtschaftliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten auf – allerdings in einem festen Weltgefüge mit einem eher herrschaftsorientierten Menschenbild. Die Bevölkerung kommt nicht vor, nur Politiker. Auch das Parlament spielt in demokratischen Staaten der Polis-Welt keine Rolle – da gebe es nur Repräsentanten, so die Antwort auf unsere verwunderte Nachfrage. So kann Europa inklusive Deutschland also in der Polis-Welt ohne Parlament Kriegseinsätze starten.

Die drei beteiligten Jugendoffiziere helfen den Spielern geduldig bei ihren Berechnungen und Maßnahmen. Sie sind »Freund und Helfer« im simulierten Weltgeschehen. Eine dankbare Rolle. Allein ihre Präsenz als Spielleiter sorgt dafür, dass Militär selbstverständlich und unentbehrlich ist. »Militär ist ein politisches Mittel, das leider hier und da in der Welt eingesetzt werden muss«, so die klare Ansage an die friedensbewegte Polis-Versammlung.

Noch haben die meisten Teilnehmer ihre Auswertungen des Spiels nicht abgeschlossen. Ausführliche Analysen werden also noch folgen, die genauer beispielsweise auf gesellschaftspolitische, sozialpsychologische oder völkerrechtliche Fragen eingehen. Klar ist: Die kapitalistischen Rahmenbedingungen, zivil-militärische Zusammenarbeit und eine herrschaftsorientierte Politiksicht sind im Spiel vorgegeben.

Mehrere Waffen im Polis-Werkzeugkasten

Überraschend fand ich, dass das Spiel nicht hauptsächlich und direkt Militärinterventionen zeigt oder propagiert, sondern diese als selbstverständlichen und manchmal notwendigen Bestandteil der Polis-Welt darstellt. Der Polis-Werkzeugkasten bietet verschiedene Waffen nebeneinander an: Diplomaten, Entwicklungshelfer, Handelsverträge, Streitkräfte sowie atomare oder chemische Waffen.

Das Spiel ist hochkomplex und in seiner Weltsicht trotzdem verkürzt. Polis ist nicht grundsätzlich anders als andere Strategiespiele, der Werbeeffekt für die Notwendigkeit von Waffen läuft eher subtil und indirekt. Für Schüler schwer zu durchschauen. Ein entscheidender Effekt hat mit der »positiven« Rolle der Jugendoffiziere in diesem Spiel zu tun. Zudem müssen sich die Jugendlichen in diesem Spiel in die Weltenlenker hineinversetzen, haben damit das Gefühl, die Richtung selbst zu gestalten und zu entscheiden. Sie lernen Zwänge der Herrschenden und Folgen kennen, mit denen »unsere Staatenlenker« alltäglich zu tun haben.

Tatsächliche politische Machtverhältnisse und Lobbygruppen – beispielsweise Korruption oder von Konzernen und Eigeninteressen gesteuerte Politik – werden in Polis weder thematisiert noch in Frage gestellt. Der Einfluss der Konzerne auf Politik, Waffenhandel, Landnahme oder Meinungsbildung wird einfach ausgeblendet. Die Funktion des Militärs wird so nebenbei als selbstverständlich dargestellt – der militärische Einsatz für wirtschaftliche Interessen damit normalisiert. Eine geschickte Militarisierung des Zivilen.

POL&IS im Kurzüberblick

Zielgruppe sind vor allem SchülerInnen der 10. bis 13. Klasse, aber auch Lehrer und Studierende, 30 bis 45 Teilnehmer, Dauer drei Tage, Anleitung durch zwei Jugendoffiziere. Die Polis-Welt ist in dreizehn Regionen aufgeteilt, in denen die Rollen des Regierungschefs, Staatsministers (Militär), Wirtschaftsministers und Umweltministers von Spielern übernommen werden (die Opposition spielt, soweit ersichtlich, eher eine untergeordnete Rolle). Darüber hinaus sind auch Nichtstaatliche Organisation wie zum Beispiel Greenpeace oder Amnesty International sowie die Weltbank, die Weltpresse und die Vereinten Nationen (in Form des Generalsekretärs) eingebunden. Es gibt je einen Umwelt-, Wirtschafts-, und Militärbereich. Im Zentrum des Wirtschaftsbausteins steht die Versorgung der eigenen Bevölkerung, wofür die Produktion in den Sektoren Energie, Rohstoffe, Industrie und Agrar gesteigert werden muss. Unterversorgung muss über den Weltmarkt ausgeglichen werden. Wirtschaftswachstum erzeugt wiederum Verschmutzung, die durch Investitionen in Umweltmaßnahmen abgeschwächt werden muss – oder man verschifft den Müll in eine der ärmeren Regionen.

Der Militärbereich spielt insgesamt eine eher untergeordnete Rolle, da zwischenstaatliche Kriege gemäß der Spielmechanik äußerst kostspielig sind und sanktioniert werden. Innerstaatliche sowie nichtstaatliche internationale Konflikte hingegen konnten (bei etwa gleichen »Kosten«) sowohl militärisch als auch zivil bearbeitet werden.

Während Militär, Ökologie und Ökonomie nach festen Regeln funktionieren, werden im politischen Bereich Programme entworfen, die Maßnahmen in nahezu jedem Politikbereich beinhalten können. Die Bewertung dieser Programme in Form eines Bonus oder einer Sanktion obliegt den leitenden Jugendoffizieren, die hierüber einen massiven Gestaltungsspielraum haben, indem sie Anreize für aus ihrer Sicht »richtige« Maßnahmen geben können.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2010


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