"Feindbild Soldat hilft uns nicht weiter"
Kriegsgegner Andreas Speck über die Zukunft der Anti-Rekrutierungsarbeit *
Am Wochenende treffen sich Friedensaktivisten aus aller Welt zur Fachtagung »Militarisierung der Jugend« in Darmstadt. Derzeit haben sich mehr als 60 Gäste angemeldet, unter anderem aus Kolumbien, Südkorea, Finnland, Südafrika und den USA. Die Konferenz wird organisiert von der Internationalen der Kriegsverweigerer (»War Resisters' International«) zusammen mit deutschen Partnerorganisationen. Andreas Speck arbeitet für die Organisation in London. Mit ihm sprach für "neues deutschland" (nd) Fritz Walders.
nd: Herr Speck, Sie organisieren einen internationalen Kongress zur Militarisierung der Jugend. Was kann die Friedensbewegung denn noch lernen, um Rekrutierungsstrategien des Militärs etwas entgegenzusetzen?
Speck: In den USA gibt es beispielsweise sehr gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit ehemaligen Soldaten. Viele Veteranen haben einen besseren Zugang zu den Schülern als Friedensaktivisten, die noch nie bei der Armee waren. Die Ex-Soldaten kommen authentischer rüber, wenn sie erzählen: Das ist nicht ganz so, wie die Militärwerber euch das erzählen.
Also ist der Spruch »Soldaten sind Mörder« überholt?
Nein, er hat eine wichtige Funktion in der öffentlichen Debatte. Doch ein Feindbild eines Soldaten aufzubauen, hilft uns als Friedensbewegung nicht weiter. Das gilt insbesondere für das persönliche Gespräch mit Jugendlichen, die sich für die Armee interessieren. Sie erhoffen sich neue Chancen auf einen Beruf. Das müssen wir ernst nehmen. Wer behauptet, das seien alles Idioten, die nur Leute umbringen wollen, dem fehlt es an der notwendigen Sensibilität.
Was heißt das für die Anti-Rekrutierungsarbeit?
Ich denke, dass wir oft zu moralisierend vorgehen. Wir sollten stattdessen Alternativen aufzeigen zum Militärdienst.
Gerät dann nicht die generelle Ablehnung von militärischer Gewalt aus dem Blick?
Für eine antimilitaristische Haltung sind solche Argumente sehr wichtig. Aber da geht es um eine Debatte im öffentlichen Raum. Wenn wir von Mensch zu Mensch sprechen, dann frage ich mich, ob das die richtige Herangehensweise ist. Wobei wir unsere Meinung auch nicht verschweigen sollten.
Welche Jugendlichen sind denn besonders im Visier der Militärs?
Aus verschiedenen Ländern wissen wir, dass dies in erster Linie Jugendliche aus benachteiligten Schichten, aus ärmeren Bevölkerungsteilen sind. Wer in eine schlechte wirtschaftliche Zukunft blickt, findet eine Berufsausbildung beim Militär eher attraktiv. In den USA wird daher schon von einer »Armutswehrpflicht« gesprochen, weil die Armee fast schon die einzige Möglichkeit ist, aus dem Armenghetto herauszukommen. Aber auch in Großbritannien zeigen Untersuchungen, dass die Armee deutlich häufiger an Schulen in ärmeren Stadtteilen wirbt.
Die Bundeswehr sucht für ihre Hightech-Waffen aber händeringend nach Akademikern.
Dieses Problem haben viele Armeen - vor allem aber auch, die Akademiker beim Militär zu halten. Wer mehr Optionen hat, fühlt sich durch Autorität und Gehorsam schneller eingeschränkt in der persönlichen Freiheit.
Würde das Militär in der Öffentlichkeit weniger aggressiv auftreten, wenn es nicht die Nachwuchssorgen hätte?
Ich denke, es geht vor allem um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung, um eine Wiederbelebung nationaler Interessen. So wollen die Armeen die Kriege rechtfertigen, die sie führen. Bessere Ausgangsbedingungen bei der Rekrutierung sind da nur ein Nebeneffekt.
Verrät ein Blick in die Vereinigten Staaten, was auf uns zukommt in Sachen Rekrutierung?
In den USA bemüht sich das Militär massiv um den Zugang zu allen Schülern. Jede Schule und jede Universität, die vom Staat gefördert wird, muss die Daten an die Armee übermitteln. Die kann dann direkt zu Hause anrufen. Das ist ein Ausmaß, das wir in Europa noch nicht kennen. Aber auch in Europa hat die Militarisierung der Gesellschaft in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen.
Also wird es hier bald auch so aussehen?
Das lässt sich natürlich nicht vorhersehen. Aber die Militärs tauschen ihre Erfahrungen aus. So gibt es etwa eine NATO-Arbeitsgruppe zur Rekrutierung. Die Armeen lernen voneinander, deshalb sollten wir auch als Kriegsgegner gemeinsam überlegen, wie wir darauf reagieren können.
Welche Ansätze gibt es?
Neben direkten Aktionen in Schulen können wir zum Beispiel auf die UN-Konvention zum Schutz von Kindern verweisen. Länder wie Großbritannien, Deutschland und die USA haben die unterschrieben, verstoßen aber gleichzeitig dagegen, indem das Militär an Schulen werben darf. In Großbritannien dürfen auch schon Minderjährige zur Armee gehen. Rund 30 Prozent der Neuen sind jünger als 18 Jahre.
Wird es denn besser, wenn die Jugendlichen erst später zur Armee gehen?
Mir ist das nicht recht, egal in welchem Alter. Aber das würde es dem Militär schwerer machen. Die Armee sagt selbst: Die Jugendlichen sind in den früheren Jahren leichter zu überzeugen und lassen sich einfacher formen.
Infos zum Kongress: wri-irg.org/de/militarisierungderjugend
* Aus: neues deutschland, Mittwoch 6. Juni 2012
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