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Vorneverteidigung im Klassenzimmer

Das Engagement der Bundeswehr an Schulen nimmt zu

Von Jürgen Amendt *

Die Bundeswehr hat in den vergangenen Jahren ihr Engagement an den Schulen verstärkt. Neben der klassischen Nachwuchswerbung beziehen die Jugendoffiziere dabei vor allem zu sicherheitspolitischen Themen Stellung.

Für die 14 Schülerinnen und Schüler des Sophie-Charlotte-Gymnasiums im vornehmen Berliner Stadtteil Wilmersdorf bietet sich heute ein ungewohnter Anblick. Vor ihnen steht ein Mann in Uniform – Kapitänleutnant Pierre Lukas. Der 30-Jährige ist gekommen, um die Zwölftklässler über das interaktive Strategiespiel POL&IS (»Politik und Internationale Sicherheit«) zu informieren. In wenigen Tagen werden die Gymnasiasten an einem dieser Simulationsspiele teilnehmen. Ziel ist es, so Pierre Lukas, die Schüler mit der geopolitischen Wirklichkeit von heute vertraut zu machen. Die Schülerinnen und Schüler werden vier Tage lang in die Rollen von Regierungschefs, Vertretern der Weltbank oder von Nichtregierungsorganisationen (NGO) schlüpfen und sich um das Wohlergehen ihrer jeweiligen Weltregionen kümmern.

Die Bundeswehr ist auf dem Vormarsch ins Klassenzimmer. Allein im Jahr 2008 führten die 94 hauptamtlichen Jugendoffiziere laut Presse- und Informationsstab der Truppe 8061 Veranstaltungen mit annähernd 200 000 Teilnehmern durch. Die Offiziere waren bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Seminaren, Projektwochen und der Betreuung bei Truppenbesuchen im Einsatz. Zur Erfolgsgeschichte ist für die Bundeswehr das Simulationsspiel POL&IS geworden. 2008 gab es mehr als 360 solcher Planspiele für Schüler und Studenten. Das Militär hat das Spiel vor 20 Jahren erworben. Seit seiner Einführung haben die sicherheitspolitischen Optionen in diesem Strategiespiel zugenommen. »Die nachlassende Ordnungskraft der Staaten führt zur Zunahme von Kriegen und Konflikten – es drohen weltweit dauerhaft instabile Regionen. Die Reaktion auf diese Bedrohung bedarf eines neuen Mixes von robusten Fähigkeiten«, informieren die Jugendoffiziere der Bundeswehr auf ihrer Internetseite (www.polis.jugendoffiziere.eu).

Was unter einem »Mix von robusten Fähigkeiten« zu verstehen ist, beschreibt Klaus-Heinich Ehlers vom Bundesverteidigungsministerium so: In Deutschland sei durch die lange Friedensperiode in den letzten Jahrzehnten »das Gefühl für Bedrohung« nicht mehr vorhanden, meint der für den Einsatz der Jugendoffiziere an den Schulen zuständige Oberstleutnant. Durch die veränderte Weltlage und die Einsätze der Bundeswehr wie etwa in Afghanistan, müsse »diese Gesellschaft auch wieder eine Diskussion über Einsätze der Bundeswehr und deren Folgen führen, d.h. auch über verwundete und getötete Soldaten, und das eben auch an Schulen«.

Lange Zeit war die Anwesenheit von Uniformträgern an Schulen kein Thema in der Öffentlichkeit. Erst in letzter Zeit nimmt die Kritik an den Vorträgen und Schulungen des Militärs zu. In einem Beschluss des GEW-Hauptvorstandes vom März dieses Jahres etwa wird der Versuch der Streitkräfte kritisiert, Einfluss auf die politische Bildung in den Schulen zu nehmen. Diese sei die Aufgabe von Lehrkräften und nicht die von Offizieren. Kritik kommt auch von Friedensinitiativen. Den Schülern werde eine Politik vermittelt, »die den Einsatz des Militärs zur Sicherung von Rohstoffen als vollkommen legitim erachtet«, sagt beispielsweise Markus Pflüger von der »Arbeitsgemeinschaft Frieden e.V.« aus Trier.

Solchen Vorwürfen widerspricht Klaus-Heinrich Ehlers vehement. Er verweist auf den sogenannten Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr 1976. Damals verständigten sich Pädagogen auf einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung darauf, dass Schülerinnen und Schüler weder indoktriniert (»Überwältigungsverbot«), noch einseitig informiert werden dürfen (»Kontroversitätsgebot«). »Daran halten wir uns«, betont Ehlers. Die Jugendoffiziere stellten »im Unterricht durchaus abweichende Meinungen z.B. der Parteien zu bestimmten Themen wie den Auslandseinsätzen oder auch der Wehrpflicht dar«.

Dass die Bundeswehr sich an den »Beutelsbacher Konsens« hält, sagt auch Peter Becker von der »Stiftung Friedensbewegung«. Er wirft der Bundeswehr jedoch vor, diesen durch die Hintertür zu umgehen. Im Unterricht werde vielfach auf die Unterrichtsvorschläge für Friedens- und Sicherheitspolitik des gemeinnützigen Vereins »Jugend und Bildung« zurückgegriffen, der eng mit dem der FDP nahestehenden Universum-Verlag zusammenarbeitet. »In vielen dieser Materialien wird offen Position für die Haltung der Bundeswehr zu friedens- und sicherheitspolitischen Fragen eingenommen«, kritisiert der Jurist.

Die Neutralitätspflicht bei ihren schulischen Einsätzen ist der Bundeswehr dabei vom Deutschen Bundestag ins Stammbuch geschrieben worden. Tillmann Hoppe vom Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments erklärte Mitte März, dass Informationen über die Bundeswehr im Unterricht verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig seien, die Leitung der Veranstaltungen müssten allerdings bei der Schule verbleiben und diese müsse auf Ausgewogenheit achten. Dies gelte vor allem bei umstrittenen Inhalten wie z.B. den Einsätzen der Bundeswehr im Ausland. »Eine gezielte Beeinflussung der Schüler in eine bestimmte Richtung ist verfassungsrechtlich unzulässig.«

Die Bundeswehr kann jedoch darauf setzen, dass den Schulen die Übernahme dieser Verantwortung aufgrund der personellen und sachlichen Unterversorgung immer schwerer fällt – und sie nutzt diese Chance. Das dokumentiert der Bericht der Jugendoffiziere für das Jahr 2008. In vielen Bundesländern sei der Umfang des Faches Politik/Sozialkunde in den Schulen reduziert worden, heißt es da. Die Fachlehrer hätten daher zunehmend Probleme damit, »alle Themenbereiche der vorgegebenen Curricula behandeln zu können« und seien daher »froh, Referenten für Sicherheitspolitik einladen zu können, um den Jugendlichen diesen Themenkomplex (…) näherzubringen«.

Peter Becker wundert diese Entwicklung nicht. Die Friedensbewegung habe die Wirkung des Militärs an den Schulen lange Zeit unterschätzt, gibt er selbstkritisch zu. Becker sieht allerdings Signale aus einzelnen Landesministerien, Militärkritiker stärker als bislang in den Schulunterricht einzubeziehen. Die Stiftung will zusammen mit einem geeigneten Partner – man denkt dabei an die GEW – ein Konzept für die Darstellung sicherheitspolitischer Aspekte aus Sicht der Friedensbewegung für den Schulunterricht erarbeiten. Ziel ist eine Kooperationsvereinbarung mit den Ländern, vergleichbar mit jenen Regelungen, die mit der Bundeswehr geschlossen wurden. Bis es soweit ist, hat diese aber weiterhin eine Art »Alleinstellungsmerkmal« an den Schulen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Oktober 2010


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